Erzähl‘ nichts von Bargeld, Mercedes und Frauen, du Lappen
Du hast noch nicht mal Kekse zuhause
Du hast noch nicht mal ein Zuhause
Du bist ein Parasit der nie Para sieht
– Du hast noch nicht mal Kekse zuhause (vom Album BB.U.M.SS.N)
Klare florale Akzente: Für SSIO unverzichtbar! (Credits: Der Bomber der Herzen)SSIO bewegt sich in seinen Narrationen problemlos zwischen Rotlichtmilieu und dem Otto-Normal-Diesseits. Eine große Stärke offenbart sich durch Selbstironie, die die Ghettostorys kein Stück weniger authentisch macht, das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Denn es ist sein leichter Zugang beim Illustrieren illegaler Machenschaften in verwegenen Randbezirken, ohne die rhetorischen Anführungszeichen von „Das ist nur was für die Härtesten der Harten“, der sein Standing zu Hip Hop ausmacht und damit bereichernd zum komplexbehafteten Thema „Street Credibility im Deutschrap“ beiträgt.
Was seine Wahrnehmung als musikübergreifend ernstzunehmende Stimme abzuschwächen scheint, ist die Tatsache, dass SSIO eben kein ernster Typ ist. Wenn Hip Hop schon mal im Feuilleton Platz findet, dann werden doch lieber die Typen fokussiert, die ihre von diversen vermeintlichen autobiografischen Schusswunden durchsetzte Kunst zu Markte tragen.
SSIO, dessen Biografie als Teil einer Familie die politisch verfolgt Afghanistan verlassen musste, sicher auch „nicht ohne“ ist, arbeitet anders und benötigt keine Integritäts-Pusher. Aber auch er wird an Deutschlands dummem Trugschluss, Humor sei kein gleichwertiges künstlerisches Sujet, nicht rütteln können.
Wer holt die SIM-Karte raus?
SSIO!
– Nuttööö (vom Album BB.U.M.SS.N)
Als Bonner war Köln praktisch SSIOs Tour-Heimspiel. Sein 0,9-Pop-Up-Plattencover im Stile von Robert Crumb, wurde überdimensional groß auf die Bühne übersetzt und bildet den Konzert-Schauplatz – schönes Ding! Auf beachtlich hohem Niveau zieht SSIO die Show durch, seine Stimme verliert auch nach 90 Minuten nicht an Präsenz und Dynamik und geht für keine Line in den mächtigen Beats Xatars unter. Zur allgemeinen Begeisterung läuft Xatar auch noch selbst beim Ticker-Krimi „Don & Fuß“ auf der Bühne auf.
SSIO führt weder auf plumpe „Macht mal Lärm“-Basis durch die Show, noch gibt er unglaubwürdig einstudierte Monologe zum Besten – seine Sprüche sind so pointiert, wie eben das ganze Konzert. Warum allerdings zwar ein Live-Schlagzeuger, die Beats unterstreichend, zum Einsatz kommt, sämtliche für SSIOs Songs so signifikanten Female Parts aber ganz selbstverständlich als Playback eingespielt werden, ist doch recht unverständlich.
Was im ausverkauften Palladium bei Auskopplungen wie „Nullkommaneun“ los war, kann man sich denken. Der wirklich große Verdienst des SSIO-Teams erschließt sich aber weniger in jenen Selbstläuferaugenblicken, sondern vor allem darin, dass die komplette Show auf allen Ebenen getragen und überrascht hat.
Ich piss‘ auf das Mic
Und die Mucke klingt fetter
Als 90 Prozent
Der Hurensohnrapper
– Nullkommaneun (vom Album 0,9)
Dass SSIO nach ersten ausverkauften Clubtouren 2013 jetzt bereits größere Hallen ans organisatorische Limit bringt, wirft die Frage auf, welche Dimensionen das Ganze noch annehmen wird. Die Drogendurchsuchungen vom völlig aufgestachelten Sicherheitspersonal am Eingang des Palladiums und das Raststättenflair an den Getränkeständen, wo vorgezapfte Ware aus Plastikbechern feil geboten wird, lassen sich beim Gesamtereignis nicht ausblenden und verpassen dem Abend eine kleine Schramme. Es ist halt genau das wofür die Musik nicht steht, wie sollten diese Welten auch nur ansatzweise miteinander harmonieren.
SSIO bald auch in den verdammten Arenen, die temporär wechselnde Großkonzerne im Namen tragen? Soweit könnte es kommen. Von künstlerischer Warte aus gesehen, ist zu hoffen, dass das Ding bereits jetzt den Zenit seines kommerziellen Erfolgs erreicht hat. Andererseits hat SSIO in seiner kurzen Laufbahn bis hierhin schon so viel zum Qualitätsstandard im deutschen Hip Hop beigetragen, dass er sich wie kein Zweiter Haus und Boot verdient hätte.
– Julian Gerhard