„Kommst du mit zum Summer´s Tale?“- „Auf dieses Ü 30 Festival?“
In meinem Kopf rattert es. Ü 30?- Das wäre mir nie zu diesem Festival eingefallen. Ich denke nach: die Bands, ja schon teilweise älter. Das Publikum, ja vielleicht. Es gibt einen Komfortzeltplatz…Ich schätze sie hat recht. Aber ich finde die Bands allesamt so super. Ich meine: Damien Rice kommt, William Fitzsimmons, Belle&Sebastian, Get Well Soon, Sophie Hunger…. Finde den Fehler.
Achja, ich bin ja auch Ü30 und vermutlich genau die Zielgruppe. Das hatte ich mal kurz verdrängt.
Gesagt, getan. Wir reisen mit dem Auto an. Wer soll denn diesen ganzen Kram in der Bahn mitbekommen. Sorry Mutter Natur.
Es ist Mittwoch morgen, wir finden gut hin und müssen überhaupt nicht anstehen. Der Campingplatz: Wow, ganz schön klein. Ist das der Einzige? Es stehen gefühlt 20 Zelte, dabei wollten wir eigentlich schon Dienstag Abend anreisen. Wir haben freie Platzwahl, das heißt jedenfalls theoretisch. Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Kleingartenverein. Alle haben sich in Reih` und Glied an den Wegesrand aufgestellt. Die Pipi (Langstrumpf) in mir schreit kurz auf und will mitten rein platzen. Aber wir schließen uns dann doch an. Ab in die Reihe!
Zum Glück sind die Wege kurz und die überlebenswichtigen 20 Taschen sind schnell aus dem Auto geholt. Die Regeln hier sind ganz schön hart. Wir kriegen die Schokocreme kaum durch die Kontrolle. Ich frage mich, wie das die Familien mit ihren 15 Kindern (okay vielleicht 3) machen, die hier mit dem kompletten Hausstand anreisen. Ein Blick zu den Klos verrät, es wird richtig edel. Es gibt WC´s, also richtige Toiletten. Jedes Klo besitzt eine Klobürste und ich werde das Festival aus mehreren Gründen in der nächsten Zeit das Klobürsten-Festival nennen. Ich bin beeindruckt und erleichtert. Wer steht schon auf Dixiklos?
Wir wollen sehr schnell das Gelände sehen, welches auch super nah ist und ohne Wartezeit begehbar. Auf dem Weg kommen wir am Infostand vorbei. Dort gibt es ein paar Dinge zu kaufen, die üblichen Infos und ungewöhnlicher Weise ein Foodsharing. Eine großartige Sache. Jedes Mal, wenn ich dort wieder vorbei komme, denke ich „ein riesiges Kompliment für diese Idee“.
Wir lassen uns treiben auf diesem Areal, welches wohl ein Militäry- Reitgelände ist. Überall Gräben und Hindernisse; und landen zunächst an der Waldbühne. Hier ist es richtig schön. Natürlich tut das tolle Wetter sein Übriges dazu. Hier wollen wir für immer sein und diese Bühne wird unsere Liebste bleiben. Schön klein, umgeben von Bäumen, Kunst und ein paar Essensständen. Mehr braucht man eigentlich nicht. Aber sehen wollen wir schon alles und sind dann überrascht. Vor Allem über die Größe der Hauptbühne. Rechts davon gibt es sogar eine Tribüne und ich finde, das hat Stadioncharakter. Das Luhedeck ist ganz schön abgelegen, aber da dort Workshops wie z.B. Yoga stattfinden, ist das genau richtig. Dann gibt´s noch jede Menge Zelt. Die Zeltbühne, das Tale´s Café, ein Kinderzelt und einen Siebdruck „Iglu“. Außerdem gibt´s ein Festival Atelier in einer Art Scheune, einen Designmarkt und das Tale´s Dinnerzelt. Irgendwie ist alles schön. Es ist so liebevoll gestaltet. Sogar der Müll sieht gut aus!
Tag 1
Wir starten mit Liza&Kay an der Waldbühne, meines Wissens Hamburger, aber in Hamburg habe ich sie mir noch nie angeschaut. Sie machen deutsche Pop- Balladen und wirken unaufgeregt, sympathisch und nah dran am Publikum. Ihre Zugaben spielen sie dann auch auf der Wiese ohne Mikro. Ein schöner Start. Dann wird zum grünen Salon geschlendert. Den hatten wir uns noch gar nicht angeschaut. Es ist ein kleines Retro- Wohnzimmer mit Lesung von Sven Amtsberg. Nebenan planschen die Kinder im Teich. Friede, Freude, Eierkuchen…
Auf der Hauptbühne wird Soundcheck gemacht und es macht sogar Spaß denen beim Einstellen zuzuhören. Oasis` Wonderwall wird da mal eben gespielt. Wir sitzen im Gras und lassen erste Eindrücke auf uns wirken. Dann geht´s das erste Mal ins Zelt (Zeltbühne). Eigentlich schade, wenn draußen 30 Grad und Sonnenschein ist. Und natürlich heiß. Wir stehen in der zweiten Reihe. Vor uns eine Mutter mit Kind auf dem Arm. Dazu kommen noch drei weitere Töchter, wie die Orgelpfeifen. „Luhmühlen, halb fünf, Familienausflug“. To Kill A King sind ganz spannend. Das Programmheft nennt es Indie- Folk. Ich bin im Genre raten raus. Mir gefällt aber die markante Stimme des Sänger unglaublich. Man merkt, der Tag zieht tempomäßig an. Es kann schon etwas getanzt werden.
Endlich kommen Menschen zum draußen hören: Dotan. Mir unbekannt, aber bereits der Anblick ist super. Sehr zurückgehaltene schwarze Kleidung mit einem schwarz-weißen Bühnenbild. Da stehen Unmengen von Musikern auf der Bühne und das merkt man auch. Gänsehautmoment! Ich denke von denen wird man in Deutschland noch mehr hören.
Das Line-up wechselt angenehm von Drinnen nach Draußen, wobei man sich bei diesen Temperaturen natürlich nicht unbedingt ein Zelt wünscht. Außerdem kann man (zumindest theoretisch) alle Acts sehen, weil nicht parallel gespielt wird. Das ist nicht nur organisatorisch und akustisch top für das Festival, sondern auch super für uns.
Dann wieder im Zelt die wundervolle NNEKA. Ich kannte sie nur vom hören sagen und Reggae kriegt mich eigentlich nie so, aber verflucht nochmal was für eine Frau. Als sie rein kommt hat sie einen Umhang an und sieht aus wie eine alte Frau. Ich denke kurz, dass ich sie mir irgendwie jung vorgestellt habe. Bis sie ihren Mantel lüftet. Total verrückte, taffe Frau mit unnachahmlichem Sound und die weniger Reggae- lastigen Stücke sind dann auch für mich zum mitgehen.
William Fitzsimmons einer meiner Lieblings-Singer-Songwriter und Anwärter auf die „Krone des Tages“. Als wir am Zelt ankommen dürfen wir nicht rein. Der Herr soundcheckt und wir müssen draußen bleiben. Ein Habitus, der im weiteren Verlauf bei anderen Künstlern nicht mehr vorkommt. Hinter mir wird dann auch schon über die Zickereien des Herrn Fitzsimmons getuschelt. „Vielleicht spielt er auch gar nicht, also wenn jetzt seine Gitarre verstimmt ist“. Ich finde ihn toll, basta. Aber auch ich muss zugeben, dass er das Zelt stimmlich nicht füllt, etwas zu ruhig für so eine Masse Menschen ist und eine andere Location bräuchte; wahrscheinlich eine Kirche, aber auch auf der Waldbühne bestimmt schöner. Tageskrone leider nicht bekommen. Er stimmt einen Song an: „You are…“. Ich säusele meiner Freundin „my fire“ ins Ohr und bin dann sowas von perplex als er es auch singt. William covert die Backstreet Boys. Kaum zu glauben und irre witzig. Nun sind wohl die meisten von dem eher durchschnittlichen Auftritt doch noch ganz amüsiert.
Hauptakt des heutigen Abends ist RósÃn Murphy, die Ex-Moloko Sängerin. Wie war nochmal der musikalische Part der Show? Ich erinnere mich nicht genau. Ich bin damit beschäftigt dem Bühnenspektakel zuzuschauen. Es ist echte Performencekunst. RósÃn Murphy zieht sich gefühlt alle 5 Minuten um, spielt Theater. Sie sieht aus wie ein Vogel in ihrem schwarzen Feder-Allover. Dann ist sie in Fellhose. Sie arbeitet mit Masken, agiert mit ihren Musikern und lässt sie dann wieder allein, um sich umzuziehen. Sie hat einen Hut auf, der aussieht wie ein Frisurenteil in goldblond, welches im nächsten Moment dann neonfarben leuchtet. Ich kann gar nicht so schnell folgen. Ihre Songs sind teilweise um die 10 Minuten lang. Nur die Moloko Songs vermisse ich ein wenig. Sie werden in einem titellängen üblichen Song im Medley zusammen gefasst. Krone des Tages.
Ein langer Tag und da wir den Eingang zur Party nicht finden, (da war sich das Management am ersten Tag wohl noch nicht so einig, wie die Aftershow laufen soll) schlendern wir ins Bett. Wir sind dann doch sehr wehmütig, da die Musik natürlich bis zum Zeltplatz zu hören ist und tanzbaren Indie verspricht.
Tag 2
Die Nacht war dann doch ganz schön kalt und dementsprechend schlaflos. Das hindert uns aber nicht daran gut gelaunt in den Tag zu starten und uns wieder früh auf´s Festivalgelände zu machen um I Have A Tribe zu sehen. Wir müssen noch chillen und klatschen dem netten Singer-Songwriter im Liegen.
Heinz Strunk wollte ich immer mal sehen. Er hantiert wild mit Querflöte, spielt ein bisschen Theater, liest dann wieder. Ich kann ihn aber leider gar nicht lustig finden. Außer seiner Abneigung gegen Pferde und Quallen, die er sehr aufbauscht, kommt mir kaum ein Lächeln über die Lippen.
Die Augustines sind sowas von cool. Es neigt sich gen Nachmittag und alle sind von der Sonne völlig erschlagen. Auch der Sänger witzelt: It´s early afternoon and i´m already dead…I mean dead in a good way. I have never been so great dead“. Damit hat er wohl volle Aufmerksamkeit. Er ist charismatisch und die Musik gibt Indie par exellence wieder. Nicht aufregend, aber schön. Aufgrund der Hitze laufen K´s Choice und Young Rebel Set leider nur im Background mit.
Uns fällt zu spät ein, dass wir was essen wollen/müssen und torkeln mit der Crowd. Die Schlangen sind soo lang, überall. Ich finde die Auswahl sowieso recht dürftig. Vor Allem für Vegetarier. Und das bei einem Festival, das sich kulinarisch nennt. Klar sind Falafel nicht der Hochgenuss per se, dürfen aber meines Erachtens nicht auf einem Festival fehlen. Mich spricht nichts so wirklich an. Ich dachte, dass Vincent Vegan kommt. So könnte man wenigstens einen leckeren Burger essen. Meine Freundin möchte den Lachsdöner, der zugegebener Maßen, sehr speziell ist und sollte man der Schlange glauben auch recht lecker. Doch auch da lohnt sich anstellen nicht, denn noch bevor sie dran gekommen wäre, ist er ausverkauft. Es ist so gegen 20 Uhr! Wir essen eine solide Pizza. Später erfahre ich, dass „Wild in Hamburg“ und der Foodtruck mit einer Wurst auf dem Dach auch vegetarische Varianten haben, darauf wäre ich allerdings nicht gekommen und da möchte ich auch nicht unbedingt essen. Auch Vincent Vegan erscheint zum Wochenende noch. Einen Burger bekomme ich trotzdem nicht.
Mit Damien Rice und Kokos-Eis bin ich schließlich im siebten Himmel. Er schafft, was William Fitzsimmons nicht geschafft hat. Er füllt die ganze Fläche mit seiner Präsenz, mit Gitarre und Gesang. Ich singe mit Eis im Mund. Es kann keine bessere Kombi geben. Glücksgefühle olé. Jetzt kann ich sterben. Ja, ich weiß, vielleicht etwas theatralisch, aber der Mann ist es wert. Der Typ hinter uns hat gleich mehrere Persönlichkeiten. Er gröhlt und singt Parts für verschiedene Leute. Etwas suspekt erheiternd. Damiens Set endet in einem fulminanten musikalischen Feuerwerk, dass er mit Loop-Station hinbekommt. Getragen von der Lightshow. Krone des Tages. So muss es enden! Keine Party, ab ins Bett.
Tag 3
15 Uhr, wo ist eigentlich der Tag hin. Im Kaffeezelt verschwunden und bei Manuel Möglich, weil er so fantastisch kurzweilig ist. Ich bin Fan von „Wild Germany“ und wie es aussieht nun auch von seinem Buch. Er versucht nicht krampfhaft lustig zu sein, ist es zuweilen aber doch. Er berichtet von seinem kuriosen Trip in eine deutsche Stadt in Brasilien und was er dort an deutsch sein und an Nationalstolz erlebt. Ziemlich gruselig, aber auch so grotesk, dass es schon wieder lustig ist. Außerdem redet der über Pornographie und Sekten, bzw. lässt in seinen Clips die Protagonisten reden. Genau richtig für 14 Uhr und Familienfestival ;). Sehr schön, rund und macht nachdenklich. In was für einer Welt leben wir eigentlich?!
Wir essen was (unbedeutendes) und werden Teil des Elektroswing- Workshops. So ziemlich exakt 100 Menschen stehen hier kreuz und quer. Kennt ihr das, wenn ein Trainer so Geräusche macht, um den Takt vorzugeben? Es geht meistens so „ha,ha,hu,hu“ oder so. Aber hier geht alles „schikidilala“. Es wird viel gelacht. Das erste Mal sind richtig viele Leute vor der Waldbühne am Tanzen. Und sie sind ziemlich schnell richtig gut. Super Ding!
Als wir zurück am Zelt unseren Müll wegbringen, witzelt der Ordner: „Habt ihr euren Müll auch getrennt?“ Wir schauen uns kurz irritiert an, weil wir uns nicht 100 prozentig sicher sind, ob das wirklich ein Scherz ist. Zuweilen ist es sehr absurd hier. Die Masse erzieht sich quasi gegenseitig. Nirgends liegt Müll. Ich denke kurz über eine Theorie nach, die „Broken Window Theorie“, diese besagt in Kurzform: Wo ein kaputtes Fenster ist, wird es schnell ein weiteres geben. (Ich hoffe ich jage mir jetzt nicht die Theoretiker auf den Hals, bei dieser lapidaren, vielleicht irrtümlichen Beschreibung). Gibt es diese Theorie vielleicht auch anders herum? Ich bin davon überzeugt. Da wo kein Müll liegt, wird auch kein Müll hingeworfen. Ich habe noch nie so ein sauberes Festival gesehen. Das mag natürlich auch an den 1000 Helfern liegen, die tolle Arbeit machen, aber sie sind wahrscheinlich unsichtbar. Nur ganz selten trifft man auf einen Aufräumtrupp. Viel öfter sehe ich allerdings den Mann vom Klo, Entschuldigung Wasserklosett. Egal zu welcher Uhrzeit man dort hin kommt, es ist immer sauber und gibt immer Klopapier. Hut ab vor diesem Mann…und den Festivalbesuchern natürlich.
Wir sind zu Mighty Oaks wieder zurück an der Konzertbühne. Eine Band, die für mich nicht reizvoll ist. So eine Band, die schnöden Indie spielt und das immer im Nachmittagsprogramm aller! Festivals. Ich nehme es vorweg, diese Band wird die Krone des Tages bekommen. Und es folgen noch Patti Smith und ZAZ. Die Stimmung packt einen einfach. Die Sonne steht tief und die Band singt Gute-Laune-Musik. Es wird getanzt. Mit uns tanzen Seifenblasen. Ein Sommernachmittagstraum.
Heute sind ziemlich viele grauhaarige Menschen angereist. Sie scheinen sich alle untereinander zu kennen und nur aus einem Grund hier zu sein: Patti Smith. Insgesamt sind wir doch die einzigen um die 30, habe ich das Gefühl. Viele Teenie- Mädchen sind mit ihren Müttern hier, unglaublich aber war. Jede Menge Familien mit kleineren Kindern. Ja gut, vielleicht sind die um die 30. Und dann noch deutlich über 40 jährige. Wir fühlen uns trotzdem pudelwohl. Wir wollten ja nicht auf eine Technoparty, sondern auf ein angenehmes Singer- Songwriter- Indie Event.
So viel Musik geht verloren, wenn man so viele Bands auf einen Schlag hört. Patti Smith beeindruckt mich mit zwei Dingen: Ihren wundervollen langen, grauen Haaren und ihrem Ausspruch: „This is a song I wrote for my boyfriend in 1978… and he is still my boyfriend!“. Ein Raunen geht durch die Massen und nicht nur ich bin beeindruckt. Ich merke ich hätte mich auf Patti Smith besser vorbereiten müssen, aber sie ist nun wirklich nicht mein Alter und hat meine Musikbiographie zumindest nicht aktiv beeinflusst. Ähnlich ist es mit ZAZ, deren „Champs Élysées“ mich am nächsten Morgen aus dem Nachbarzelt weckt.
Tag 4
Alles ist erleuchtet. Es gibt ein riesiges Gewitter. Ich liebe Gewitter für gewöhnlich. Allerdings nicht unbedingt, wenn ich allein in einem Zelt liege (Madame musste auf eine Hochzeit), das quasi umringt von Bäumen ist. Selbstberuhigungsstrategien müssen her und helfen. Pünktlich zum Aufstehen hört es jedoch auch auf zu regnen. Ich starte früh und versuche mich zum x-ten Mal bei einem der Workshops anzumelden. Endlich klappt es. Natürlich nicht direkt, sondern am frühen Nachmittag. Jetzt erstmal Akku aufladen im doppelten Sinne. Ich lausche nebenher Andreas Liebert. Eigentlich nur, weil er ein Freund von einem Freund ist. Er spielt deutschen Pop und reiht sich damit in eine lange Schlange Künstler ein. Ganz sympathischer Typ.
Beim Woodworking wird schon heiß debattiert über Fleischmassenproduktion. Da mache ich gern mit und starte dann mit Traumfänger basteln. Leider gab es den anderen Workshop nicht mehr. Der Kursleiter erzählt ein bisschen von seiner Arbeit hier. Er ist Tischler und hat die Holzbauten für das Festival gemacht. Jetzt hat er noch dazu jeden Tag ca. 400 Traumfänger mit den Teilnehmern gebastelt. Er hätte nicht gedacht, dass es eine so hohe Nachfrage gibt. Das Material wurde schon mehrmals nachgekauft und trotzdem steht uns kaum noch etwas zur Verfügung. Eigentlich ist woodworking generell einer der wenigen Workshops, bei dem man keine Anmeldung benötigt. Aber auch hier sind Sie auf Kurse mit Anmeldungen umgeschwenkt, weil die Kurse sonst nicht zu realisieren sind. Alle basteln ruhig weg. Ich leide etwas unter meinem Perfektionismus, aber entspanne total und so ist die Zeit schnell wieder um. Fertig ist er nicht geworden. Es gibt nicht genug Material. „Aber jetzt wisst ihr wie´s geht und könnt zuhause weitermachen“. Ich bin trotzdem zufrieden und hänge mein Gerät stolz an meinen Rucksack.
Als ich etwas zu spät bei Jochen Diestelmeyer (Blumfeld) zur Lesung ankomme, faselt er etwas von Homer und die Charaktere in seiner „Odyssee“ und wie dieses alles verwoben ist mit seinem Roman „Otis“. Das ist nach 4 Tagen Festival definitiv intellektuell zu hoch für mich. Auch die Passagen aus dem Buch, die er vorliest, fesseln mich nicht. Ich gehe das erste Mal wirklich wieder bewusst von einer Veranstaltung weg. Kann man sich bestimmt gut an einem Dienstag Abend mit Rotwein antun.
Wegen Müde, Pipi, Hunger verpasse ich Torpus&the Art Directors fast komplett. Ich kann nur erahnen, dass ich hier etwas phantastisches verpasst habe. Es klingt sehr atmosphärisch, so „dunkelbunt“. Hundreds packen mich nicht. Für die braucht es auch den Abend und ein/zwei Bier. Aber sehr schön, dass sie zum Ende Björk gecovert haben. Eine gut tanzbare Band mit einer Mischung aus Indie und Electro.
Am Zelt lernen ich die Nachbarn endlich genauer kennen. Wir verquatschen uns spurten dann gemeinsam zu Sophie Hunger. Die ist wirklich grandios. Die Texte sind tiefgehend, deutsch, englisch, französisch und ergreifen mich. Sie hat eine außergewöhnliche Stimme. Außerdem ist sie lustig ohne aufgesetzt mit dem Publikum zu interagieren. Ihre Band kommt fast ausschließlich aus dem französisch sprachigen Ausland. Krone des Tages. Vielleicht liegt meine Liebe für die Middleliner auch an meinem Leistungshoch am Nachmittag oder an der tiefstehenden Sonne, ich weiß es nicht. „Hast du gerade gepfiffen?“ frage ich die Nachbarin. Ich lächele anerkennend. „Das würd ich so gerne können, gerade hier fällt es mir wieder auf“. Sie bringt es mir bei. Das heißt sie versucht es. Ich muss wohl noch viel üben, aber für mein nächstes Konzert möchte ich es unbedingt können.
„Jetzt kommt mein bekanntester Song. Sing along“ moderiert Tori Amos an. Ich kenne ihn…überhaupt nicht. Als ich an der Theke stehe, kommt dann ein mir sehr bekannter Song. Es hält mich kaum an der Theke. Ist der von ihr oder ist es ein Cover? Ich finde raus, das es ein Song von Don Henley ist: „Boys of Summer“. Ich tanze für gewöhnlich auf guten Parties zu der schnelleren Version von The Ataris. Ab jetzt bin ich voll dabei. Misses Amos sitzt zwischen Klavier und Keyboard und wechselt dazwischen wie Jekyll und Hyde.
Neben mir steht wenig später eine Frau mit Kind auf dem Arm, dazu der Mann mit Kinderwagen und das beim Hauptact. Das wird ihnen dann aber doch recht schnell zu eng und sie weichen aus Reihe drei. Calexico spielen Sommerurlaub. Vor mir tanzt ein junges Pärchen Standard- Latein. Calexico singen auf spanisch und haben Bläser dabei. Ich hasse Trompeten. Da kann man einfach nichts machen. Plötzlich kommt ein Gast auf die Bühne. Tom Schilling sagen sie. Hab ich das richtiig verstanden? Nichts wäre unvorstellbarer. Allerdings müsste er ja da sein, da es heute bereits einen Talk zum Film „Oh Boy“ gab. Er ist es wirklich und singt Joy Divisions „Love will tear us apart“. Sehr schön, tolle Stimme.
Heute muss ich es aber nochmal krachen lassen und besuche endlich mal die Partyreihe. „Nur noch einen Song“ sage ich mir gedanklich, mehrmals…
Wissenswertes in Kürze
+ tolle Musiker
+ umfangreiches Drumrum- Programm (Performance, Lesungen, Workshops)
+ professionelle Organisation (und das im ersten Jahr)
+ schöne Location
+ bestens für Familien geeignet
+ es wird großer Wert auf Nachhaltigkeit gelegt (Komposttoiletten etc.)
+ Toiletten und Wasserversorgung
+ große Theken
– Essensauswahl und Menge eher mau
– so durchorganisiert, dass man häufiger dachte, man tut was verbotenes
– unter der Woche Festival
– ziemlich teure Ticketpreise
– Anmeldungen zu den Workshops mussten spätestens 3 Wochen vorher erfolgen
Wir hatten großen Spaß, haben so viele Bands gesehen, dass alles andere etwas hinten herunter gefallen ist. Wir sind etwas müde, aber auch sehr entspannt. Es war ein Festival- Traum.
Alle Bilder by Mareike Reuter