Sprechen wir nicht über Unterschiede, verfallen wir nicht in Vergleiche, zumindest für den Augenblick; lassen wir uns stattdessen in eben jenen fallen, in die breitgebauschte Gitarre von „Kids im Park“, das grotesk lockere „Frisbee“, dieses sommerliche Blubbern, das an allen Ecken wimmelt und von zudringlichen Synthesizern und gierigen Effekten wieder verschlungen wird, bis am Ende des zehnminütigen „Europa 22“ einfach alles ausläuft, in einen krautigen Jam, der fünf Minuten lang jede Fabulierung vom großen Finale verweigert, das man sich bei diesem (und nun kommen wir aus den Umständen doch nicht raus) potentiellen Split-Doppelalbum ja auch hätte vorstellen können. Doch die Öffnung, die „Europa 22“ proklamiert, ist keinesfalls rein politisch zu verstehen, sie symbolisiert auch eine stilistische wie formale Offenheit – so stehen „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“, sein vergangenen Dezember veröffentlicher Vorgänger, zwar im Dialog, teilen sich auch ein, zwei Ideen, funktionieren aber ganz anders, sind zurecht für sich stehende Alben. „Vernissage My Heart“ stolpert wiederholt über die eigenen Ideen, aber nicht unbeholfen, sondern berauscht, von der wieder voll zum Zuge kommenden Gitarre, den Möglichkeiten, den Gegensätzen. Hittig könnte hier manches sein, der Titeltrack hat eine erstklassige Hook (ist das jetzt nicht wirklich eine Seal-Referenz am Ende?), „LED Go“ ist zurecht erste Single geworden, doch dass diese Kategorien im Fall Bilderbuch höchstens sekundär sind, haben wir bereits im Dezember geklärt und ist glücklicherweise heute noch gültig. (VÖ: 22.02.2019, via Maschin Records)
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Wir wollen hier keine individuelle Leistung schmälern, aber so kurz vor Ende der Dekade muss es doch kurz erlaubt sein, Sacred Bones Records dafür zu loben, eines der wandlungsfähigst-wiedererkennbarsten und schlicht notorisch besten Labels der letzten Jahre zu sein. Jüngster Beweis (und damit zurück zur individuellen Leistung): Die Verpflichtung der Künstlerin Chrystia Cabral, die diesen Umstand mit einem herausragenden zweiten Album ihres Projekts Spellling quittiert. Es schnarrt, scheppert und wummert auf „Mazy Fly“, das von den 80er Jahren ebenso weiß wie von Trip Hop, von Soul mindestens so viel versteht wie von Witch House und doch irgendwie über den Kategorien zu stehen scheint. Cabrals Songs tapsen bisweilen so lange durch trist-verdrehte Landschaften, dass man schon gewillt ist, sie als Instrumental abzustempeln, nur um dann doch noch von dieser eigenartigen Stimme heimgesucht zu werden, die jauchzt, kiekst, am Boden rumkraucht und Finsteres beschwört. Sommerliche Zirkus-Alptraumhits („Under The Sun“) kann sie ebenso wir polternde Psych-Ausritte („Dirty Desert Dreams“), die dann wiederum zum sinistren Country-Kuh-Artwork der Platte passen. Dass all das noch angenehm ungeschliffen wirkt, schmälert „Mazy Fly“ nicht, lässt aber bei aller Qualität im Jetzt auf die Zukunft hoffen. (VÖ: 22.02. 2019, via Sacred Bones Records)
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Xiu Xiu hatten es sich zuletzt auf „Forget“ schön gemütlich gemacht: Klar gab es da den Weltschmerz, auch mal das ein oder andere Dröhnen, aber eben vor allem schöne Melodien, tanzbare Beats und einfühlsame Zeilen, die viele über den minimalistischen Alptraum „Angel Guts: Red Classroom“, mit dem Jamie Stewart sein Publikum zuvor belästigte, trösteten. Wer nun jedoch auf die endgültige Pop-Werdung des obligatorisch selbstzerfleischenden Projekts gesetzt hat, erlebt auf „Girl With Basket Of Fruit“ ein finsteres Erwachen. Der Titeltrack eröffnet als ins Endlose übersteigerter Klingelstreich, lässt zu Ehren von Neu-Mitglied Thor Harris dutzende Schlaginstrumente übereinander kloppen, während Stewart ausrastet und im Refrain mechanisch den Titel der Platte wiederholt. Damit ist der Rahmen eröffnet, in dem die Sache über die Bühne geht: Statt wie auf dem Vor-Vorgänger inneres Elend abzubilden, über abstrakte, kaum vorhandene Skizzen zu huschen und ab und zu den Schlagbohrer auszupacken, ist „Girl With Basket Of Fruit“ fein gearbeitet, mit Streichern gespickt, menschliche Stimmen an den Rand des Zusammenbruchs führend und mit grausamen Balladen („Mary Turner Mary Turner“) ebenso wie wirren Orgien („Pumpkin Attack On Mommy And Daddy“) ausgestattet. Interesse an Harmonie besteht kaum, nachlässig ist die Angelegenheit dennoch nicht, im Gegenteil: Xiu Xiu liefern hier erneut ein Meisterstück ab, nur eben in einer ganz anderen Ecke ihres Möglichkeitenspektrums. (VÖ: 08.02.2019, via Altin Village)
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Wuff, wuff, wuff, ja, ja, klar, wir könnten jetzt doch mal grundsätzlich drüber sprechen, ob es die Goldenen Zitronen heute noch braucht, ob die gestrig sind, zu kritisch, zu wenig kritisch, vielleicht nur noch blasse, schlimmstenfalls sogar allzu selbstreferenzielle Alt-Rocker, und all das (oder zumindest manches davon) zu diskutieren ist wichtig und andernorts jetzt, fast einen Monat nach Release, schon längst passiert, doch ganz grundsätzlich muss man ja auch mal festhalten, dass die Goldies mit ihrer seit jeher nervigen Art solche Reaktionen gerade offensiv einfordern – und zwar nicht in selbstgerecht-vorwegnehmender, sondern geradezu masochistischer Art. Nicht umsonst haben sie ehedem den Punk nicht einfach, wie viele andere, über Bord geworfen oder aufgeplustert, sondern viel eher befragt, ins Theater geschleppt, mit Kraut bekannt gemacht, und nun also für elf neue Songs nochmal aus der Kostümkiste geholt. Über diese (die Songs, nicht die Kiste) lässt sich erstmal sagen, dass sie sich ganz schön anhören und stringenter aufgereiht sind als noch auf „Who’s Bad“ vor sechs Jahren. Der Titel wühlt derweil abermals in der Popgeschichte und findet, dass gerade alles mal wieder „More Than A Feeling“ ist, dieses Mehr jedoch keine angenehme Steigerung der Intensität, sondern reale Konsequenzen, berechtigte Befürchtungen und ähnlich Düsteres meint. Gekleidet in gut gepanzerten Post-Punk-Elektro-Pop stochern die Goldies so lange in Sensationsjournalismus, japsenden Communities, dem Leben mit Postkolonialismus und in der guten, alten BRD herum, bis sie schließlich in die „Die alte Kaufmannstadt, Juli 2017“ bei der zuckenden, wechselnd von Schorsch Kamerun und Ted Gaier rezitierten Aufarbeitung von G20 landen. Klar, ihre heroischen Jahre mögen vorbei sein, da kann sich ein Stück wie „Katakombe“ noch so quer stellen. Das Große an dieser Band ist ja aber eben, neben der dieses Mal wieder ziemlich gelungenen Musik, die vollkommene Ignoranz gegenüber der pophistorischen Notwendigkeit, jetzt endlich langweilig zu werden. (VÖ: 08.02.2019, via Buback)
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Einschneidende Personalwechsel verarbeitet jede Band anders, Health haben sich nach dem Abgang von Jupiter Keys, den innerhalb des Quartetts stets ein Hauch von Mastermind umwehte, für zwei Lösungen zur gleichen Zeit entschieden: Die eine heißt Bewahrung des Status Quo, die andere Fusion. Letztere betreiben sie mit wechselnden Gästen (darunter stilistisch diverse, aber durchweg geschmackssichere Namen wie Perturbator, Soccer Mommy oder JPEGMafia) seit ein paar Monaten in One-Shot-Singles, die „Vol. 4: Slaves Of Fear“ fernbleiben müssen. Dort setzen Health auf die erprobte, dicht-ätherische Mischung aus kühlem Synth-Pop, prügelndem Industrial und einzelnen Noise-Passagen, die weniger dramaturgisch gegeneinander ausgespielt werden als auf dem grandiosen Vorgänger „Death Magic“. Stattdessen bewegen sich Health hier in permanentem Zwielicht, das in seinen besten Momenten (das hämmernd-apathische „Black Static“, der Fließband-Loop „Strange Days (1999)“) eine faszinierende Wirkung entwickelt, in der Mitte jedoch oft an eine zu schlichte Reproduktion und Komprimierung der schillernden Momente des letzten Albums erinnert. Dass mit dem vielschichtigen, grandiosen „Psychonaut“ und dem einfühlsamen „Decimation“ zwei Ausreißer das Album rahmen, ändert nichts daran, dass „Vol. 4: Slaves Of Fear“ im Vergleich zu seinen Vorgängern zu konservativ, zu richtungslos ausfällt. Dennoch, gerade auf Songebene, noch immer ein Beweis für die von außen unangetastete Klasse dieser Band, der lediglich ihre Fallhöhe zum Verhängnis wird. (VÖ: 08.02.2019, via Caroline)
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Einmal kommt im Leben aller Leute, die sowas wie wirkliche, große Pop-Stars werden wollen der Moment, in dem sie mehr werden müssen als eine beliebige Stimme auf ein paar Hits. In Wahrheit ist dieser Moment natürlich ein gewisses Kontinuum von Momenten, das auch davon lebt, dass das Publikum bei irgendeinem dieser Angebote anbeißt – bei mir und Ariana Grande war es in der Tat, wie bei vermutlich gar nicht so wenigen Leuten, die nicht schon von „Dangerous Woman“ oder „Sweetener“ angefixt wurden, das Video zu „Thank U, Next“. Ich kam wegen des Hypes, blieb wegen der Memes und Melodien und ehe ich mich versah, war ich infiziert. Das zugehörige Album löst nun all die Versprechen ein, von denen ich gar nicht wusste, dass mir Grandes Karriere sie bisher gemacht hatte: „Thank U, Next“ ist eines der seltenen Mainstream-Pop-Alben, auf denen es keinen einzigen Filler-Track gibt, und das nicht unbedingt aufgrund einer unbeweglichen Dramaturgie, sondern weil Grande in der Tat Track um Track die schwierige Balance zwischen Zeitgeist, Harmonie und Anspruch hält. „Imagine“ zeigt zu Beginn, was hier in Sachen Show-Off möglich wäre, ist große Ballade mit noch größerem Stimmregister, zugleich jedoch ein Beweis dafür, dass es Grande nicht nötig hat, ihre Songs mit Ausrufezeichen zu versehen. Banger, Balladen und Radiosongs müssen nicht in Klischees ersaufen, um in ihrer jeweiligen Kategorie zu reüssieren, „Ghostin“ gelingt es sogar, einen Großteil der Spielzeit eher schwebende Reflektion als tonnenschweres Klagelied zu sein. Nicht weniger beeindruckend ist das zackige „Bad Idea“, das sich überraschend, aber absolut schlüssig hochschraubt und dann ebenso unvermittelt zerfließt. Über das Innovationspotential dieser Angelegenheit lässt sich streiten, doch die erbarmungslose Attitüde, mit der Grande hier Privates verhandelt, gegenwärtige Langeweile verarbeitet und auf große Pop-Gesten verweist, ist gerade unerreicht. (VÖ: 08.02.2019, via Republic)
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