Platzieren Produzenten in ihren Beats kleine Tags, um auf ihre Urheberschaft zu verweisen, ist das manchmal nervig, teils auch einschwörend, selten jedoch so intensiv wie jenes „Kenny“, mit dem Rico Nasty im vergangenen Jahr bisweilen ihre Tracks einläutete. Bedrohlich war nicht nur der spitz fallengelassene Name, sondern auch die kaputten Produktionen, mit denen der angekündigte Kenny Beats gegen Rico Nastys unbezwingbaren Stil antrat. Man weiß also gar nicht, was weniger überraschen soll: Dass es mit „Anger Management“ nun ein Kollabo-Projekt zwischen den beiden gibt, oder dass es hervorragend geworden ist. Nasty zögert damit zwar noch immer ein definitives, künstlerisches Statement hinaus, acht Tracks (+ ein Skit) erweisen sich jedoch als hervorragendes Format für dieses Mixtape: Auf den ersten vier Tracks wird alles umgeharkt, mit überraschender Unterstützung von Baauer (ja, genau) und einer Jay-Z-Referenz, über die das Internet gerade noch diskutiert – vollkommen an der Attitüde von Nasty vorbei, freilich. Während beflissene Who-Sampled-Chronisten noch nach den passenden Referenzen suchen, ist „Anger Management“ schon ganz woanders: Auf „Mood“ zischen Rico Nasty und der angenehm-unverständliche Splunge sich einfach an, „Again“ springt furchtlos in die Coud, „Relative“ vereint ein Klavier und jenes Beat-Gewitter, das am Anfang losbricht, und bevor man all das irgendwie unter einem Hut hat, ist das Tape auch schon durch. Was danach von Spotify an ähnlichen Tracks angeboten wird, kann nicht dem hier aufgefahrenen Furor mithalten. (VÖ: 26.04.2019, via Sugar Trap)
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Wie soll die zweite Dekade des Indie-Rock-Posterboys Pete Doherty, der nicht nur Heroin, sondern auch schludrige Gitarrenmusik zwischen all den Strebern und notorisch depressiven New Yorkern wieder sexy machte, angemessen zu Ende gehen? Diese schwer zu bestimmende Zeitspanne zwischen Stadionstatus, Relapse, Rehab, Rockarbeit und Solomaterial für eine zunehmend esoterische Hörerschaft? „Peter Doherty & The Puta Madres“ geht den einzig logischen Weg und haut ab, wie es Doherty eben immer schon getan hat – bar jeder Logik schart er einfach eine neue Band um sich, mit frischer Liebe und Geige, und setzt sich dann an die französische Küste ab, um ein Album aufzunehmen, das nach Salz riecht, nach Wein schmeckt und zwischendrin so beherzt im Dreck landet, Gesicht voraus, wie es nur Doherty schafft. Auf dem Papier lässt sich über die Puta Madres streiten, auf Platte gehen sie auf, begleiten käsige Balladen („Paradise Is Under Your Nose“), gruseligen Country („Who’s Been Havin You Over“), schrabbeligen Jam-Rock („The Steam“) und ellenlange Folk-Romantik („Travelling Tinker“), tragen Doherty sogar durch das ein wenig zu routinierte letzte Drittel dieses Albums, das zwischen den verschiedenen Erwartungen an Doherty so gut vermittelt wie zuletzt das dritte Babyshambles Album 2013 – im Gegensatz zu diesem gibt es hier jedoch gar keine Ansprüche mehr, irgendeinem Starstatus gerecht zu werden. (VÖ: 26.04.2019, via Strap Originals)
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Und noch eine letzte Kollaboration für diesen Monat: Unter dem Dach des an dieser Stelle vor zwei Monaten nochmal hochgelobten Labels Sacred Bones haben sich Grabstein-Folksterin Marissa Nadler und der umtriebige Metal-Konstrukteur Stephen Brodsky getroffen, um natürlich nicht nur einfach ihre beiden Stilkonzepte zusammenzuwerfen, sondern gemeinsam zu einer Formsprache zu finden, die der Titel „Droneflower“ so ein wenig vorwegnimmt, denn ja, Schönheit hat hier irgendwie ihren Platz, und ja, bisweilen auch ein Dröhnen, doch vor allem konsequent am Abgrund agierender, seine Instrumente (bis auf die strenge Gitarre in „Waiting For The Sun“) wattierender Singer-Songwriter-Goth-Rock-Entwurf, in dessen Mitte eine wundervolle Version der G’n’R-Schmonzette „Estranged“ steht, die eben nicht laut schreit, dass sie anders als das Original ist, sondern sich einfach in dessen gammlige Überreste kuschelt. Generell ist „Droneflower“ am besten, wenn sich Nadler und Brodksy durch den amerikanischen Westen schleichen und schauen, was Country und Western dort für sie haben liegen lassen. Mit ein wenig mehr Willen zum Experiment und unter Beibehaltung des hervorragend-ruckeligen Gespürs für Dramaturgie könnte eine zweite Kollaboration sensationell sein. (VÖ: 26.04.2019, via Sacred Bones)
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Einen auf mittleren Westen machen auch King Gizzard & The Lizard Wizard auf ihrem vierzehnten Album, was ja erstmal passt – wer außer einer gesetzten Band sollte sich sonst an derart abgestandener Musik wie Boogie versuchen? Nun handelt es sich bei diesen Australiern aber natürlich um eine Band, die sich mit ihrem Retrorock (sic) innerhalb weniger Jahre in jene Zahlenregionen gespielt hat, in denen sich sonst eher Bands bewegen, die in dem Sound der Australier lediglich referenziert werden. „Fishing For Fishies“ ist nun für alle ein sonderbares Album, weil niemand so recht zu wissen scheint, was diese Platte eigentlich leisten soll – war es doch 2017, als King Gizzard einen Lauf von fünf Alben vorlegten, vor allem der Rausch zwischen den Alben, der diese Band so bemerkenswert scheinen ließ. Der Wahnwitz wird nun nicht auf einem Album komprimiert, stattdessen spielen die Australier mit Boogie-Klischees, führen sie teils mitreißend auf, erinnern vor allem in „Plastic Boogie“ an The Men, die zu Beginn der Dekade mit permanenten Verwandlungen das Format Rockband ins digitale Zeitalter retten wollten, spielen auch mal mit Erwartungen, wenn sie etwa die Luft aus dem feisten „Real’s Not Real“ lassen, und finden am Ende gar zu so einer Art Retrofuturismus, zu Vocoderstimmen und schweren Moroder-Beats, ohne dass es daran eine größere, also über das Album und seine Dramaturgie hinausweisende Pointe gäbe. Entsprechend ratlos steht das Internet davor: Wie sind die Ökountertöne der Platte zu verstehen? Was haben sie mit dem Verlauf des Albums ins Frühdigitale zu tun? Und wo ist die Euphorie? Vielleicht war es in den letzten Jahren selten schwieriger, sich von Erwartungen frei zu machen, gerade weil der Modus dieser Band so unklar ist. Eigentlich macht es „Fishing For Fishies“, und das ist dann vielleicht doch die Pointe, aber niemandem schwer, mit seinem Humor, den lockeren Songs und der schlüssigen Dramaturgie. (VÖ: 26.04.2019, via Flightless/PIAS/Rough Trade)
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Und wo wir dabei sind, kommen wir auch im Fall Lizzo gleich auf die Sachen: Die Produktionen auf „Cuz I Love You“ sind altbacken, und zwar so sehr, dass es erst gar nicht unbedingt auffällt – weil in Zeiten von Billie Eilish und Ariana Grande eben keiner mehr diesen polierten Stilmix serviert, der sich an Funk, Disco, Rap und Rock bedient, aber eben so abflacht, dass sie nebeneinander funktionieren, sich nicht zu sehr sträuben. Über den Effekt dieser Reanimation kann man nun streiten, beeindruckend ist aber unbedingt, wie wenig die Produktionen hier neben Lizzo zählen, die nicht nur inhaltlich sehr gradlinig auf ihre Themen (zwischen Empowerment und Liebe) zugeht, sondern bevor auch nur ein überflüssiges Instrument die Bühne betritt den Showtreppen-Opener-Titeltrack an sich reißt und im Grunde klar macht, dass hier nichts mehr fundamental schief gehen kann. Lizzo croont, Lizzo verflucht, kreischt, stupst an, liefert exzentrischen Rap und fluffigen Soul, und so lange die Beats darunter hüpfen oder verstohlen in Richtung John Mayer blicken, ist daran nichts komplett falsch. Etwas mehr Mut über das Missy Elliott Feature „Tempo“ hinaus hätte der Platte jedoch nicht geschadet, selbst wenn es einer der besten Rap-Momente des Jahres ist, Gucci Mane in „Exactly How I Feel“ über einen Retro-Pop-Rap-Beat stolpern zu sehen.(VÖ: 19.04.2019, via Nice Life/Atlantic)
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Nach all den Hypes und Streitpunkten tut es gut, eine Platte wie „Sulphur English“ im vergangenen Monat zu wissen: Inter Arma graben sich auf ihrem vierten Album nämlich einfach noch tiefer als bislang sowieso in einen fiesen Dreck aus Death-, Doom- und Post-Metal ein, der ab und an auch von Heavy Metal, Folk oder Ambient träumen, aber auf keinen Fall unter gutem Stern stehen darf. Damit hat sich die Band aus Richmond einen besonderen Platz in der aktuellen Metal-Welt erspielt – sie arbeiten in einer eigenen Nische, in die im Gegensatz zu all den spektakulären Sludge-Bands der vergangenen Dekade aber keiner rein möchte, vor dem Inter Arma dann wiederum abhauen müssten. „Sulphur English“ liefert das alte Dräuen, besorgniserregendes Raunen, ambitionierte Melodien, die aus den verkrusteten Schichten jahrtausendealten Drecks herausstoßen, aus dem diese Musik eben so gebaut ist. „Citadel“ macht das besonders gut, ebenso wie das besonnene „Stillness“, um das sichdie Platte zu drehen schiene, wäre sie nicht so frei von Fixpunkten, frei von Attraktionen. Inter Arma schleppen sich schwerfällig von Katastrophe zu Katastrophe, und machen genau damit mal wieder alles richtig. (VÖ: 12.04.2019, via Relapse/Rough Trade)
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