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Album der Woche: Drangsal – Zores (Kritik)

Eigentlich soll es in dieser Rezension nicht allzu sehr um den Schelm Max Gruber gehen, der bereits vor zwei Jahren bei Veröffentlichung seines Debütalbums möglichst viele Hebel bediente, um das träge Deutschpoppublikum aus seiner Reservehaltung zu locken und jedem irgendwie eine Referenz mit auf den Weg zu geben, von der man sich angegriffen fühlen durfte. Dass die Musik gleichzeitig sehr kunstvoll gebaut war, tat ein übriges dazu, Auskenner freudig nicken zu lassen: War er da endlich, der potentiell internationale Popstar, den sich viele schon bei den ebenfalls aus der Pfalz stammenden Sizarr ausgemalt hatten?

All den Hoffenden spielt Gruber mit „Zores“ einen Streich, den vorhersehen konnte, wer Drangsal 2016 live erlebt hat: Auf den entsprechenden Konzerten stellte er nämlich ein (nach einigen Modifikationen) nun als „Und du (Vol. II)“ veröffentlichte Lied vor, das textlich, musikalisch und ästhetisch vieles anders, strategisch aber eben auch vieles ähnlich macht wie das von „Harieschaim“ bekannte Material: Stimme und Sound sind sanfter, haben mehr Raum, Gitarren bestimmen das Klangbild, getextet ist es auf deutsch und erzählt in schwülstigen Bildern von einer diffusen Unruhe, irgendwo zwischen Disney und Schnulze. Die Reaktionen waren gespalten, das dürfte dem Provokateur Gruber gefallen haben -verlängert hat sich der Effekt jedenfalls über die Single „Turmbau zu Babel“.

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Diese entfachte eine Diskussion darüber, wie sehr Drangsal 2018 von den frühen Ärzten und insbesondere Farin Urlaub inspiriert sei, die der Musiker verständlicherweise nur widerwillig führen wollte. Viel spannender ist ohnehin, in welches Referenzchaos alleine diese Single führt, und genau in diesem Punkt liegt „Zores“ in direkter Nachbarschaft zu „Harieschaim“: Wo auf dem Debüt Gothrock, deutsch-provinzielles Gruftitum mit Hang zur Schauerromantik, The Cure, alte Synthesizer von Depeche Mode und ballernde Gitarren (ca. schwarze Szene) nebeneinandergestellt wurden, liegt der Fokus dieses Mal auf unerwarteten, aber nicht weniger treffenden Begegnungen zwischen Schlager, später NDW, Proto-Hamburger-Schule, The Cure, viel The Smiths und anderen Restbeständen des Debüts.

Rahmen bleibt also der Rückblick auf die 80er, nur die Referenzpunkte haben sich verschoben – ständiger Begleiter bleibt jedoch die Frage, ob Gruber all das hier eigentlich ernst meint. Damit scheint er nicht weit weg von Dagobert, dessen Reiz ja oft nicht so sehr in der eigentlichen Musik als der permanenten Befragung von Kategorien wie eben Pop oder Schlager besteht. Naheliegender Link ist (neben diversen Berliner Vernetzungen) der notorische Markus Ganter, dessen dicker Sound dieses Mal jedoch gewinnbringend von Max Rieger (danke übrigens für das aktuelle Die Nerven Album!) entschlackt und aufgefächert wurde. „Zores“ wirkt dadurch weniger kompakt als der Vorgänger, in Details zudem deutlich angreifbarer, dafür jedoch seltener auch Songebene misslungen. Wo der Vorgänger immer alles in verdichteter Form wollte und damit eben auch mal ordentlich danebenlag, da lässt sich „Zores“ mehr Zeit, gibt den Ideen Platz zur Entfaltung und lässt häufiger Nuancen zu, die nicht immer gefallen, aber meist bereichern.

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Am ehesten knüpft wohl „Arche Gruber“ mit einem Wink Richtung Depeche Mode und englischsprachigen Lyrics an den Vorgänger an, doch als dieser Song kommt, hat sich Drangsal schon so weit von seinem bekannten Sound entfernt, dass der Sprachwechsel rückwärts wie ein (gelungener, bewusster, aber dennoch) Fremdkörper wirkt. Auf die Spitze treibt es dann das schunkelige „All The Poor Ships At Sea“, das musikalisch entschlossen am Schlager lehnt, sich mit Hilfe der Lyrics aber irgendwo im Einflussgebiet von Rod Stewart verortet. Es sind diese Volten, die Gruber noch konsequenter als auf dem Drangsal Debüt vollzieht, etwa wenn der Sound nach dem pompösen Intro „Eine Geschichte“ erstmal abflacht. Deftig wird es später nur vereinzelt, wenn der Bass in „Sirenen“ anzerrt oder es im instrumentalen Finale des düsteren „ACME“ dann doch einmal richtig scheppert, scheppes Saxohon inklusive.

Für Handfestes bleibt auch wenig Platz, weil „Zores“ aller ausgestellten Zufriedenheit zum Trotz von großem Hadern berichtet, von noch nicht ganz erfüllter Jugend und dem Warten auf ein nicht näher definitertes Erwachsenenleben. Gruber klingt dabei bisweilen so krampfig-emotional wie der junge Jochen Distelmeyer, lässt die Melodien über seine Texte stolpern (Signalmoment: „Magst Du Mich (Oder Magst Du Bloß Noch Dein Altes Bild Von Mir)“) und befragt die eigenen Gefühle mit einer Verkopftheit, die jegliche sonst zur Schau gestellte Naivität über den Haufen wirft. Darüber zu streiten, wie viel Ironie dabei genau im Spiel ist, dürfte sich als müßiges Unterfangen erweisen, ist aber letzten Endes auch egal: Es geht hier schließlich nicht um Persiflagen, sondern um spielerische Aneignungen und unerwartete Rekontextualisierungen. In beiden Kategorien gibt es derzeit kaum einen besseren hiesigen Künstler als Drangsal.

„Zores“ erscheint am 27.04. via Caroline auf Platte, CD und digital. Credit Titelbild: Thomas Hauser.