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Album der Woche: Heisskalt – Idylle (Kritik)

Es gibt diese vollkommen wirre Tendenz in der Pop-Musik – diesem Phänomen, das ja eigentlich massiv von Gegenwärtigkeit lebt -, situative Strukturen abzuwerten. Was auf aktuelle Gegebenheiten verweist oder sonst irgendwie provisorisch wirkt, gilt es abzulehnen, möchte man nicht bei möglichem Misserfolg der entsprechenden Platte als Depp dastehen. Alben für die Ewigkeit, danach wird gesucht, die man direkt einordnen kann, die Größe ausstrahlen, und in gewisser Weise hatten Heisskalt mit Vom Wissen und Wollen ein eben solches vorgelegt. Roch ihre Musik vorher immer ein wenig nach Oberstufenparty und Gleichgültigkeit, versuchte sich das Quartett hier an Postcore und fand bei dieser Bewegung in die Breite, hin zum Epos, eine eigene Identität.

Im Nachhinein funktioniert „Vom Wissen und Wollen“ an vielen Stellen noch genau so,  zugleich lässt sich der Sound aber auch als Suchbewegung verstehen, gerade wenn man einen Track wie „Absorber“ mit seinen verstohlenen Blicken Richtung elektronischer Musik einrechnet. So massig die Platte auch erschien, steckt in ihr doch eine Prozesshaftigkeit, die „Idylle“ nun 2018 deutlich aggressiver ausstellt und damit zwangsläufig polarisieren wird. Die Agenda ist klar erkennbar, führt aber nicht zu einer Vorhersehbarkeit der Platte: Strukturen und Sounds werden konsequent variiert, so häufig wie möglich werden Erwartungen enttäuscht. Das alte Laut-Leise-Spiel, an dem sich Alternative Rock seit Jahrzehnten effektiv abarbeitet, wird hier hinterfragt, erweitert und in Teilen abgeschafft.

„Idylle“, das dürfte sich herumgesprochen haben, ist eine möglichst unabhängige Veröffentlichung: Kein Label, keine externen Produzenten, kein üppiger Promoplan, sondern lediglich die Veröffentlichung der Single „Bürgerliche Herkunft“ und kurz darauf die Möglichkeit, das Album über den eigenen Shop zu erwerben. Video und Song deuteten bereits in Richtung DIY, haben zwar die Explosion an Bord, setzen aber auch bewusst auf Reduktion und den Effekt einer Gitarre, die vom rechten Weg abkommt und irgendwo im Graben landet. Textlich wird das Verhältnis von gerade-noch-so-jugendlichem Individuum und der umliegenden Gesellschaft ausgehandelt; irgendwie ging es bei Heisskalt darum schon immer, aber stärker abstrahiert und mit klarerem Blick auf Befindlichkeiten.

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Generell dürfte Sänger Mathias Bloech als Gewinner aus dieser Platte hervorgehen: Sein Vokabular ist geschärft, profitiert davon, nicht immer das ganz große Bild malen zu wollen, sondern Anekdoten anzureißen, Fährten zu legen und sich in Andeutungen zu ergehen, die das Publikum dann nach Belieben zusammenbasteln kann. Nebenbei wirft er sich bereitwillig in jeden Loop und Effekt, den die Platte zu bieten hat, und lässt die letzten 30 Jahre Rockgeschichte durch sich sprechen. Seine kleinteilige, unaufgeregte, Ich-und-Du-fixierte Erzählkunst im hervorragenden, angenehm zeitgeistigen und eben doch nicht festgelegten „Tapas & Merlot“ erinnert an den jungen Dirk von Lowtzow, das ungeduldige Winden um eine nervöse Gitarre in „Tassenrand“ an Adolars Tom Mischok, und manchmal, im Effektgewitter von „Wie Sterne“ etwa, schimmert auch die naive Hymnenhaftigkeit Sebastian Madsens durch.

Zugegeben: Viel Namedropping, das nicht zu Missverständnissen führen soll. Heisskalt sind keine Punkband mit limitierten Fähigkeiten, die hier auf der Suche nach tragfähigen Zukunftskonzepten durch ihre Plattensammlung stolpert und sich in halbgaren Zitaten verliert. Vielmehr hat man das Gefühl, dass die Musik beständig an der Auflösung von Konzepten arbeitet. Selten steuern die Songs entschieden auf eine Explosion hin, gehen lieber den Umweg, bauen sich behutsam aus dem Feedback auf (im exzellent betitelten „Du denkst ich lächle dich an doch mich blendet die Sonne“), schaukeln sich dynamisch, durch kleine Verschiebungen und Ergänzungen hoch („Wiederhaben“) oder verweigern sich komplett, wie der eiernde Titeltrack, in dem die Gitarre vor allem ornamentale Funktionen übernimmt, während Schlagzeug und Bass den Track am Laufen halten.

Bis zu New Wave ist es da nicht weit, aber an dieser Stelle darf man die Vergleiche und Einordnungen vielleicht einfach mal ruhen lassenn, die Heisskalt nicht nicht gerecht werden, weil sie sich außerhalb aller Referenzen, sondern zwischen und vor allem mit ihnen bewegen. „Idylle“ funktioniert gerade, weil die Platte nicht zu Ende gedacht erscheint, dabei aber paradoxerweise zu einer Kohärenz findet, die etlichen anderen Bands derzeit abgeht. Nach dem überlangen Vorgänger sind die neun, im Schnitt auch noch kürzeren Songs hier ein klares Bekenntnis zur Reduktion, die ihren Gipfel im hypnotischen, teils beinahe mittelalterlichen Lagerfeuerstück „Herbstlied“ findet, in dem die Band alle Wut fahren lässt und am Ende einfach aufhört; kein Fade-Out, erst recht keine Explosion und auch kein Kollaps. Kann sein, dass sich all das am Ende als Studie für ein folgendes Meisterwerk erweist, auf das sich dann alle einigen können, aber „Idylle“ reizt ja eigentlich gerade, weil es der Losung „Keine Meisterwerke mehr“ folgt, die Band an derartigen Kategorien gar nicht interessiert scheint. Von Avantgarde muss man hier nicht sprechen, wohl aber von einem Mut, nicht auf erprobte Stärken zu setzen, sondern ohne Absicherung zu agieren. Mit dem Vorgänger sind Heisskalt zu einer ziemlich guten Postcore-Band geworden; jetzt sind sie eine der spannendsten Rockbands des Landes.

„Idylle“ erschien am 23.05. im Alleingang digital, auf Vinyl und CD. Credit Beitragsbild: FKP Scorpio Presse/Viktor Schanz.

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