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Album der Woche: Young Fathers – Cocoa Sugar (Kritik)

Ignoranz, in den meisten Gesellschaftsbereichen mittlerweile ja eher negativ konnotiert, hat im Hip-Hop noch immer einen hohen Stellenwert. In Haltung und Inhalt auf alles einen Scheiß zu geben, das gilt als Zeichen von Stärke und Unabhängigkeit, möglicherweise sogar als Motor von Innovationen. Wenn Young Fathers nun auf einem Song ihres dritten Albums möglichst emotionlos mit Slogans wie „What a time to be alive“ oder „Imma put myself first“ um sich werfen, während im Hintergrund vollkommen überdrehte, verzerrte Chöre ihrer entstellten Euphorie mit einem beängstigenden „Wow“ Ausdruck verleihen, kann das im Hörer den Verdacht wecken, dass hinter dieser Ignoranz womöglich ganz andere Motive stecken.

Das Eröffnen neuer Perspektiven zählt seit jeher zu den Kernkompetenzen des schottischen Trios, das zu Beginn der Dekade in jenem kleinen Zeitfenster zwischen Bling-Ära und Trap-Gegenwart auftauchte, als konkurierende Ansätze wie Cloud Rap, die synthetischen Provokationen der Odd Future Wolf Gang oder der esoterischer Psychedelic Rap von Shabazz Palaces um Zukunftsfähigkeit buhlten. Spätestens mit „Cocoa Sugar“ beweisen Young Fathers nun, zumindest für sich selbst eine tragfähige Zukunft gefunden zu haben: Ihr Stil bleibt von Trends unberührt, bedient sich noch immer an Einflüssen aus afrikanischer und elektronischer Musik, mehr denn je stehen aber auch Genres wie Soul oder Gospel Pate für einen Sound, der den Rahmen für Hits wie Obskuritäten gleichermaßen (und teilweise auch zur gleichen Zeit) bietet.

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Wo andere Hip-Hop-Bereiche mühsam nach den Konditionen fragen, unter denen sich Melodien und Rap endgültig vereinbaren lassen, kommt auf „Cocoa Sugar“ nahezu kein Song ohne eingängige Hookline aus. Wie wenig berechnbar das ausfallen muss, zeigt das mit schwirrenden Synthesizern, drückenden Bässen und Tribal-Drums agierende „In My View“. Neben einem klar an 90s-R’n’B geschulten Refrain, hat das Stück auch noch getriebenen Sprechgesang zu bieten, der von den Tücken des neoliberalen Strebens nach Erfolg erzählt – möglicherweise jedenfalls. Selten lassen sich die Lyrics klar festlegen, häufig gilt es, zwischen unterschiedlichen Stimmen zu unterscheiden und auf Tonlagen zu achten, wie im eingangs zitierten „Wow“.

Dort tauchen Elemente auf, die auch das restlichen Album auszeichnen: Mehrstimmiger Gesang, die Wiederholung einzelner Formeln weit über reguläre Refrainstrukturen hinaus, der Fokus auf eine markante Stimme, die ihre gewählten Wort hier jedoch durch eine neutrale, desillusionierte Vortragsweise kontrastiert, während der Chor im Hintergrund ganz im Gegenteil nicht zu wenig, sondern zu viel Euphorie vermittelt, um glaubwürdig zu sein. Selbst wenn das hier vorliegende Material enorm ausgefeilt ist und oft den Eindruck großer Ernsthaftigkeit vermittelt, hat das Trio sein Gespür für experimentelle Klänge und ironische Brechungen nicht verloren. „Toy“ ist einer dieser Songs, die vollkommen instabil und provisorisch wirken, dabei aber natürlich bis ins kleinste Detail fein gezeichnet sind, ähnlich wie „Wow“, dessen musikalische Ausgestaltung seltsam schleift, eben so gar nicht treibend, sondern eher matt klingt.

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Kontrastiert wird dieses spielerische Wanken durch die religiösen Bezüge, die in hohem Maße die Songs durchziehen: „Tremolo“ wird von einer Orgel getragen, „Lord“ adressiert Gott aus märtyrerhafter, womöglich sogar messianischer Perspektive und „Holy Ghost“ zeigt sich nach wundervoll amateurhaftem Beatboxing gleich beseelt vom heiligen Geist, während drumherum permanent sämtliche Sounds kurz vorm Absturz scheinen. Bei aller Perfektion, die Young Fathers auf ihrem Gebiet erreicht haben, kann beinahe untergehen, wie bizarr ihre Musik bisweilen anmutet, wie geschickt sie krude Elemente wie einen Dudelsack in eingängige Songs wie „Picking You“ integrieren und dabei eigenständiger sowie formvollendeter denn je erscheinen.

Als sie mit „Dead“ 2014 den Sprung vom wilden Mixtape-Format zum durchdachten Album wagten, schien unklar, ob dieses Projekt funktionieren kann. Einzelne Songs hingen skizzenhaft in der Luft, waren stehengeblieben zwischen der alten, nonchalanten Direktheit und der neuen Konzentration, die die Ideenvielfalt in schlüssige Konzepte überführen wollte. Während derartiger Verdichtungsprozesse hat es nicht wenige Bands in die Belanglosigkeit verschlagen, doch Young Fathers haben ihre Lektionen gelernt, an den richtigen Stellen hingehört und ein Album gezimmert, in dem jede Obskurität, jede Referenz und jede Melodie an der richtigen Stelle sitzen, ohne dabei alle offenen Fragen zu beantworten.

„Cocoa Sugar“ erschien am 09.03. via Ninja Tune auf Vinyl, CD und digital. Credit Titelbild: Julia Noni.

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