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Album(s) der Woche(n): Kids See Ghosts, Blackout Problems, Nine Inch Nails, Death Grips, Kamasi Washington, Gorillaz

Das Musikjahr 2018 kam sehr behäbig in die Puschen, ist dafür aber im vergangenen Juni, der sonst ja gerne das alljährliche Sommerloch eröffnet, dermaßen großzügig aufgetreten, das ein Album der Woche am Ende nicht reichen wollte. Stattdessen also ein kleines Kalaidoskop auf die vergangenen 30 Tage.

Auf Trab hielt den Monat alleine schon Kanye Wests wirrer Releaseplan. Fünf von ihm produzierte Platten in fünf Wochen, eingeleitet von einem lästigen Twittergrind und begleitet von der Frage danach, ob West wirklich Wort halten würde, gerade mit dem Wahnsinn um „The Life Of Pablo“ im Hinterkopf. Die lückenlose Veröffentlichung der aktuellen Platten war da erstaunlich nüchtern, passend zum Sound des darunter versteckten Solo-Albums „ye“, das mit vielen ordentlichen, aber aus dem eigenen Schaffen bekannten Ideen, etlichen ärgerlichen Lines und wenigen wirklichen Höhepunkten aufwartete. Weder Opus Magnum noch kühner Entwurf, sondern eine bisweilen blasse Momentaufnahme.

Deutlich besser funktionierte vollkommen unerwartet eine Woche später „Kids See Ghosts“, eine Kollaboration mit dem mehr als angezählten Kid Cudi. Wo Kanye alleine gerade seltsam uneinnehmend klingt und Cudi zuletzt Album um Album vergeblich versuchte, einen eigenen Zugriff auf Rockmusik zu entwickeln, sind die sieben gemeinsamen Songs ein fiebriges, skizzenhaftes, aber gerade darin spannendes Sammelsurium wirrer Einfälle geworden. Immer wieder spielen Gitarre eine entscheidende Rolle, Cudi gelingen zudem ein paar Melodien in den Hooks, die man ihm so kaum noch zugetraut hätte. Rund will und soll das alles gar nicht sein, und gerade damit funktioniert die Platte als kreativer Höhepunkt eines durchwachsenen Zyklus‘, der im weiteren Verlauf des Monats Konkurrenz von der lange erwarteten Jay-Z-Beyoncé-Kollabo und einem Drake Album, das die Startseite von Spotify massiv dominierte und auf den ebenfalls mit Kanyes Lauf zusammenhängenden Pusha T Beef folgte, bekam. Wie gesagt: vollkommen wahnsinniger Monat. (VÖ: 08.06.2018, via Good Music/Def Jam)

Umso erstaunlicher, dass es Blackout Problems in diesem aufmerksamkeitsökonomischen Alptraum gelang, um ihr zweites Album einen kleinen Hype zu generieren. Groß gedachter, potentiell international funktionsfähiger Alternative Rock aus München – es gibt 2018 Grundvoraussetzungen, die vielversprechender klingen. Während sich drumherum fast alle ernstzunehmenden Gitarrenbands an experimentellen Produktionsweisen, deutschsprachigen Texten und/oder möglichst vielen Widerhaken versuchen, gelingt es dem Quartett genau die Art von sympathischem, clever gebautem Blockbuster zu liefern, die es ab und an im Genre braucht. Die Texte sind introspektiv, die Musik geht passend dazu selten so klar nach vorne wie im Opener „How Are You Doing?“, sondern arbeitet vermehrt mit Spannungsverhältnissen, setzt auf düstere Schattierungen, ohne dabei jemals ernsthaft die Hymnen, eingänigen Refrains mit leichtem Pop-Punk-Einschlag oder den Druck im Sound zu vergessen. Damit besetzen sie tendenziell die Position, die die Donots vor drei Jahren Richtung Deutschpunk verlassen haben, auch wenn sie musikalisch eher nach Biffy Clyro oder Ähnlichem klingen. Wenn sie in der Zukunft nicht zu sehr abflachen, vielleicht sogar noch ein wenig raffinierter im Songwriting, das hier bisweilen noch ein wenig formularisch wirkt, werden, könnten sie einen ähnlichen Hauptbühnen-Status erreichen. (VÖ: 15.06.2018, via Munich Warehouse/Cargo)

Fast unbemerkt hat sich auch eine Legende des guten, alten 90er Alternative in Höhen, die man ihr nicht mehr zugetraut hätte, geschraubt: Nach sehr wechselhaften Platten Mitte der 00er und dem ordentlichen Ruhestand-Statement „Hesitation Marks“ schien die Entscheidung Trent Reznors, jetzt mit den Nine Inch Nails erstmal eine EP-Trilogie zu veröffentlichen, angenehm angestaubt, Jahre nachdem alle vom Ende des Albums gefaselt und von der EP als Format der Zukunft fabuliert hatten. Gut für Reznor: Er hatte die richtigen Songs im Ärmel, nutzte das Format EP, um gezielt Ideen auszuprobieren und schafft nun mit dem Abschluss „Bad Witch“ ein Meisterstück, das ihm so niemand mehr zugetraut hätte. Zwischendrin säuft die Platte im Lärm ab, Saxophon und Glockenspiel irren durch die Songs, der mittel- bis ganz späte Bowie steht wiederholt Pate und sogar der alte Intimfeind D’n’B wird zwischenzeitlich ausgepackt. Reznor hat selten wirklich schlechte Musik gemacht, oft war sie einfach nur ein bisschen egal. Aus dieser Zone hat er sich spektakulär befreit. (VÖ: 22.06.2018, via The Null Corporation/Caroline/Universal)

Fraglich schien zuletzt auch, wie viel Wandlungspotential noch in Death Grips steckt. Ohnehin immer unter dem Verdacht stehend, mehr Meme als ernsthafter Innovator zu sein, hatte sich „Bottomsless Pit“ 2016 damit begnügt, die bekannten Trademarks der Band in ordentliche, wohlklingende Songs mit hervorragenden Lyrics zu packen. Das war schön zu hören, aber Leute wie Flatlander, MC Ride und Zach Hill, die permanent den Eindruck vermitteln, Regeln zu brechen und am Limit des Möglichen zu agieren, können mit derartiger Bequemlichkeit schnell prätentiös wirken. Umso schöner, dass „Year Of The Snitch“ nur an der Oberfläche recyclet, in den tieferen Schichten den eigenen Sound jedoch radikal in Frage stellt. Gerade in der Summe wirkt die Platte ruhelos und unangenehm, der Sound ist rau, die Strukturen teils vollkommen wirr, vor allem sind Songs wie das wuchtige „Black Paint“ oder das rasende „Shitshow“ beste Beispiele für das Können des Trios, zugleich sehr eingängige und sehr sperrige Songs zu schreiben. (VÖ: 22.06.2018, via Third Worlds/Harvest)

Kamasi Washington ist ebenfalls ein Künstler, den sein eigentliches Genrepublikum immer wieder auf dem Prüfstand sieht. In Frage steht auch hier seine tatsächliche Innovationskraft, wobei es sich im Grunde um einen Fehler in der Erwartungshaltung handelt: Washingtons Stärke besteht ja weniger in einer virtuosen Hinterfragung seines Instruments, wie im Jazz sonst gerne gesehen, als in einer radikalen Archivplünderung und der daran anschließenden Montage zu überwältigenden Geschichten. „Heaven and Earth“ setzt das Erbe des programmatisch betitelten Vorgängers „The Epic“ fort, kommt auf 145 Minuten Spielzeit und kombiniert darin Funk, lateinamerikanische Musik, Gospel, Einflüsse aus Soundtracks, Coverversionen und eben klassischen Jazzstilen zu einem vereinzelt auch fordernden, insgesamt aber fesselnden Album, dessen Dramaturgie von seiner Zweigeteiltheit profitiert. Besonders das jubilierende Finale entschädigt für manchne Länge, die sich zuvor im Detail ergeben kann. (VÖ: 22.06.2018, via Young Turks/XL/Beggars/Indigo)

Bescheidener ging es derweil Damon Albarn an: Gerade mal ein Jahr nach dem Gorillaz-Comeback legt er mit „The Now Now“ das sechste Album der ikonischen Comicband vor und hat sich dabei scheinbar die zuletzt geäußerte Kritik zu Herzen genommen. „Humanz“ lief vor Gästen über und wollte jedem so gerecht werden, dass eine eigene Klangvision bisweilen auf der Strecke blieb. Die drei aktuellen Features, die sich auf zwei Songs verteilen, sprechen da eine deutliche Sprache, zumal einer von ihnen Snoop Dogg ist; nicht nur ein erprobter Kollaborateur Albarns, sondern selbst erfahren darin, auf seinen eigenen Alben wie ein Gast zu klingen. Glücklicherweise mündet so viel Einsamkeit nicht in der instrumentellen Tristesse des i-Pad-Albums „The Fall“, sondert führt zu einer Konzentration dessen, was die Gorillaz in den 00ern ausgezeichnet hatte. Irgendwo zwischen duseliger Melancholie und sonniger Naivität arbeitet sich Albarn an funky Synth-Pop, nüchternen Balladen und irrlichternder Disco ab. Das hat weniger mit der Gegenwart zu tun, als der Titel suggeriert, funktioniert aber wunderbar als ergänzendes Gegenstück zum – nebenbei auch ein bisschen unterschätzten – „Humanz“. (VÖ:29.06.2018, via Parlophone/Warner)