Wenn die Veröffentlichung des Plattenrückblicks auf den Monat September schon ein paar Tage in den Oktober hineinreicht, ist es nur konsequent, das Gleichgewicht auf der anderen Seite wieder herzustellen und den Blick um ein Release aus dem hintersten Augustende zu erweitern. Zugegeben: Das zweite Album der schon auf ihrem Debüt ziemlich hervorragenden Muncie Girls, hätte derart hanebüchene Herleitungen nicht nötig. Standen die ersten Songs bisweilen noch auf ein wenig wackeligen Beinen, hat das Trio nun in eine zweite Gitarre – gespielt von Sängerin Lande Hekt – und eine stabiliere Produktion investiert, die gemeinsam die vorsichtige Weiterentwicklung stützen. Dass dabei ein wenig ruppiger Charme verloren geht, ist verschmerzbar – im Grunde lösen Stücke wie das holprige „Isn’t Life Funny“, das getragene „Falling Down“ oder die diversen potentiellen Hits („Jeremy“, „Clinic“) vielmehr das Versprechen auf clever gespielten und getexteten Indie-Pop-Punk ein, mit dem Muncie Girls 2016 aufgeschlagen waren. (VÖ: 31.08.2018, via Specialist Subject)
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Thematisch ist es von dort zu Empowerment eigentlich gar nicht so ein weiter Sprung, musikalisch aber trotz sehr, sehr grober Verortung im endlos erweiterten Punkkontext beider Bands schon. Melodien spielen hier eine eher untergeordnete Rolle, stattdessen liegt der Fokus auf jenem Geboller, das seit gut 30 Jahren vor allem in New York gepflegt wird – die Stoik, mit der die Band hier sechs Jahre nach ihrem Debüt Hardcore wuchtig und originalgetreu rezitiert, ist schon beachtlich. Was „Bengalo“ aber vor allem auszeichnet, sind die Inhalte, mit denen die Stuttgarter ihre präzisen, mit Metalgitarren, drückendem Schlagzeug und Hang zum Breakdown ausgestatteten Nackenklatscher füllen – dort wird sich nämlich gegen Xenophobie, Sexismus, Faschismus und all die andere Gülle ausgesprochen, die bisweilen ja in verschiedenen Variationen gerne auch mal im prolligen Hardcore eine Rolle spielen. Die klare, durchdachte Positionierung in Stücken, die musikalisch bis auf das Crossoverstück „Mensch ist Mensch“ in der Mitte der Platte konservativ, aber effektiv agieren, macht aus „Bengalo“ ein unterhaltsam verpacktes, notwendiges, antichauvinistisches Statement. (VÖ: 07.09.2018, via End Hits)
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Nicht ganz einig ist man sich nun schon seit längerem, was die Rückkehr von Richard D. James unter seinem legendären Alias Aphex Twin angeht. Die Einschätzungen bewegen sich zwischen Selbstkopie eines ehemaligen Pioniers, Opium für die Massen an Pseudo-Rave-Fans, die seit seinem Verschwinden zu Beginn des Jahrtausends verzweifelt nach einem Ersatz gesucht hatten, und endlich wahrgenommener Verantwortung für seinen eigenen, kreativen Nachlass, Argumente lassen sich für alle Positionen finden. Vermutlich wird also auch „Collapse“ keinen Frieden unter den Parteien stiften, vielleicht taugt die EP aber zumindest gerade in ihrer Hektik zu einer kurzen Waffenruhe, denn ja, James agiert hier mit bekannten Klängen, eingebettet in die wirren Flipperstrukturen seiner mittleren 90er, aber eben auch ja, was ihm in diesem Feld gelingt, ist ein ungeniertes Suhlen in perfekt inszenierten Mindfucks. „T69 Collapse“ lässt ein paar unschuldige Synthesizer zwischen seinen Beats hin und her fliegen, bevor sich James nach zwei Minuten verrechnet und der Track in Errormeldungen erstickt, „abundance10edit [2 R8″™s, Fz20m & a 909]“ ist Ambient für Hochleistungsrechner, und wie herzhaft die imaginierten Drums in „1st 44“ gegeneinanderklatschen, das würde man in rockistischeren Gefilden wohl Spielfreude nennen. (VÖ: 14.09.2018, via Warp)
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Immer schön für alle Beteiligten ist ja auch, wenn sich Musikerinnen und Musiker über die Jahre langsam zu allgemein anerkannten Lieblingen mausern, ohne je den ganz großen, gerne auch belastenden Hype zu erfahren. Emma Ruth Rundle befindet sich mit ihrem wildwuchernden Indie-Folk-Shoegaze-Post-Singer-Americana-Songwriter-Wust gerade auf bestem Wege, die Qualifikation für eben jene Kategorie zu erlangen, gerade weil „On Dark Horses“ jene Sorte von Album ist, die nun gar nicht so dramatisch viel anders macht als die auch schon ziemlich guten Vorgänger, einen dann aber eben doch nochmal anders packt. Wohlig-bedrohlich ist die Stimmung, der Sound nahe an einer kratzigen Flauschedecke und Rundle begeht nach wie vor nicht den Fehler, sich mit ihren hervorragenden Songs ganz dem Feedback und damit der Vernichtung anheim fallen zu lassen. Vor klirrenden Gitarren vollführt sie in „Dead Set Eyes“ eine Hook, die ihren Titel redlich verdient hat, „Control“ erinnert vage an PJ Harvey, zwischendurch twangt es auch mal zu rumpeligen Drums, während anderswo grauselig-hallende Fieberträume Schlieren ziehen, doch die Mischung wirkt nie behäbig oder zu billig garstig, sondern immer individuell, liebevoll ausgetüftelt. (VÖ: 14.09.2018, via Sargent House)
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Es darf noch immer erstaunen, dass Suede nach ihrer folgerichtigen Auflösung am Ende einer durchexerzierten 90er-Britrock-Karriere und ebenso obligatorischen, mäßigen Solo-Ambitionen erfolgreich eines der relevanteren Comebacks diesseits von Reunion- und Full-Album-Shows auf die Beine gestellt haben. Spätestens mit „The Blue Hour“ beweisen sie, dass es manchen Bands gut tut, aus der Zeit zu fallen und irgendwo später, vollkommen deplatziert wieder aufzutauchen. Wie auf den beiden Vorgänger überführt das Quintett auch hier die alte Nähe zum Glam in übergroße, dramatische Songs, ohne dabei zu vergessen, dass ihre Basis bei allen Streichern, Effekten und pathetischen Melodien noch immer Rockmusik ist. Lösungen für diese Gratwanderung finden Suede im Zwielicht, das nicht nur als Titelgeber, sondern auch Programm fungiert. Getragen wird die Platte von fehlenden Entscheidungen, von per Samples angerissenen Konzepten, die sich nie ganz materialisieren wollen und bei all der handfesten Songwritingkompetenz dafür sorgen, dass sich Suede immer wieder entziehen. Wenn ich Muse einen Karrieretipp geben dürfte, ich würde ihnen diese Platte zustecken. (VÖ: 21.09.2018, via Warner)
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Thema Rückkehr, Thema Überschätzung, Thema Altern im Pop, Thema Entziehen: Lil Wayne hat endlich sein lange lediglich als Versprechen und Interviewthema existierendes, ehedem als Fanal angekündigtes Album „Tha Carter V“ veröffentlicht. Längst ist klar, dass nicht die üblichen, kreativen, letzten Endes ins Millionen Dollar schwere Nichts führende Eitelkeiten schuld daran waren, dass der fünfte Teil der tendenziell in einer unsteten Karriere für Qualität bürgenden Carter-Reihe seine für 2014 angepeilte Veröffentlichung nicht erfahren konnte, sondern simple, geschäftliche Streitereien – dennoch brachte diese Situation Wayne in eine pikante Lage: Der ehedem Impulse setzende Rapper hatte ohnehin zuletzt Mühe, mit den Entwicklungen im Genre mitzuhalten, und nun dürften die Jahre ab 2014 mit Akteuren wie den hier gefeatureten xxxTentacion oder Travis Scott, abseits aller qualitativer Debatten, nicht unbedingt als Stillstand in die Geschichte des Genres eingehen. Wie also die zeitliche Lücke zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung überbrücken, wie dafür sorgen, dass diese Selbstbehauptung nicht tattrig wirkt?
Sicher sagen lässt es sich nicht, man weiß schließlich nicht, wie das Album vor vier Jahren geklungen hätte, es darf jedoch angenommen werden, dass es auch Lil Wayne nicht geschadet hat, einfach noch ein bisschen weiter aus der Zeit zu fallen und ein Album aufzunehmen, dass überall und nirgendwo zugleich abhängt. Nicht jeder Song ist unschlagbar, doch im Gegensatz zu vielen anderen überlangen Amirap-Alben in diesem Jahr sind die 90 Minuten „Tha Carter V“ stets gut begründet. Zwischen der dramatischen Eröffnung mitsamt müttlerichen Tränen sowie durch die posthume Veröffentlichung zusätzlich nach Abgesang riechendem Feature von xxxTentacion und dem Bekenntnis-Finale „Let It All Work Out“ finden sich eine der besten R’n’B-Leistungen Nicki Minajs, Reminszenzen an Waynes Anfangszeit, ein halsbrecherisches Duett mit Kendrick Lamar, das offensichtlich aus dessen Sturm-und-Drang-Overacting-Phase stammt, sowie einige erstaunlich gut sitzende Anleihen an die Gegenwart („Let It Fly“) zu einem hervorragenden Kuriositätenkabinett zusammen, als das Waynes hyperaktive Karriere ohnehin immer am besten funktionierte. Die investierte Zeit ebenso wie die Ausmaße und die recht spontane Veröffentlichung gehen auf: „Tha Carter V“ ist vielleicht kein absoluter Klassiker, aber eine durchweg unterhaltsame, bisweilen brilliante, vor allem aber souveräne, dem Zeitpunkt angemessene Platte, mit der so nicht zu rechnen war. (VÖ: 28.09.2018, via Young Money)
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