Das hier ist Musik für den Herbst, sagt mir jedenfalls mein zu romantischer Verklärung neigendes Ohr. Der Niedergang ist schon in Sichtweite, aber die Schwere des Winters noch nicht präsent, eine gewisse sommerliche Leichtigkeit ist spürbar vorhanden. Ganz klar, etwas stimmt nicht auf „Welt in Klammern“, die Sicht verengt sich, der Hörer geht verloren im dichten Blätterwald, und ja, bevor die Referenzen jetzt vollends aus den Fugen geraten, blicken wir lieber auf die Selbstbeschreibung des Projekts. Max Rieger – ja, der Knilch von den Nerven, der Vorzeige-Stuttgarter, der jetzt in Leipzig wohnt – labelt seine Musik nun als Drone Pop, nicht, weil er wirklich daran glaubt, ein Genre neu zu erfinden, sondern weil er weiß, dass irgendwer ohnehin labeln wird. Abgesehen von derlei Kulturpessismus muss man zugestehen, dass etwas dran ist an dem Begriff, denn ja, es dröhnt, und ja, es gibt Melodien, die zu gefallen wissen.
Insofern ist die Platte passend platziert beim namhaften Indie Staatsakt, denn „Welt in Klammern“ schwankt gekonnt zwischen Bekömmlichkeit und Anstrengung, bietet Elemente zum festhalten, geht aber auch gerne in seinen Klanglandschaften verloren, wie es der Wanderjunge auf dem Cover andeutet, den Rieger aus den Tiefen des Internets ausgebuddelt hat. Dass es auch der Platte an Tiefe nicht mangeln würde, war schon vorab klar, als in ersten Ankündigungen nicht ohne stolz die Rede davon war, in den Songs steckten gut zwischen 200 und 300 Klangspuren. Was leicht in Opulenz hätte ersticken können, ist nun viel eher Nährboden für ein vielschichtiges Machwerk, dessen Details den Songs eine gewisse Weite verleihen, die nicht selten bedrückend wirkt. Shoegaze, Dream Pop und ambitionierter Ambient standen sicher Pate dafür, Rieger fährt jedoch seinen eigenen Film, was bisweilen auch in beinahe schon als hittig zu bezeichnende Stücke wie „Maria in Blau“ mündet.
Insgesamt betrachtet ist „Welt in Klammern“, das kann man durchaus festhalten, eine Platte, die als solche Sinn ergiebt. Riegers Stimme bleibt stets in ihrem leicht gelangweilten Timbre verhaftet, doch statt latent gewaltbereit zu wirken wie im Kontext der Noiserock-Attacken seiner Hauptband, klingt er hier ruhig, in sich versunken. Das hier ist kein hektischer Staffellauf, Dynamik ergibt sich in Etappen, so wie im Opener „Wie es geht“, wo der Bass zunächst monoton ruckelt und die Gitarre schöngeistig verziert, bis ein Schlagzeug den Song in der Mitte knickt und die Gitarre zu einem stoischen Trick zwingt, wie man ihn eher von den Swans gewohnt ist, nur eben komprimiert auf wenige Minuten. Rieger wagt nicht selten den Schritt in die Breite, arbeitet mit Loops, Sounds und field recordings, die ein angenehmes Knistern verleihen und für Kontinuität sorgen, selbst wenn es mal kracht, was hier jedoch nie einen Ausbruch aus den Verhältnissen bedeutet.
Der Krach ist ganz im Gegenteil in eine Textur integriert, die sich im Laufe der Zeit auch immer mehr in Richtung Synth-Pop erstreckt und vage an die 70er und 80er gemahnt, ohne direkt zu zitieren, „Kuppel“ zum Beispiel, aber auch das Instrumental „(Ohne Titel)“. Zu Kunstkram wird die Musik trotz allem nie, dazu sind die Gesten die Rieger wagt einfach zu groß, was er bei den Nerven ja auch immer andeutete, dort aber beharrlich mit Störfaktoren aus der Spur brachte. „Welt in Klammern“ kann man sich durchaus auf Festivalbühnen vorstellen, irgendwo in der Nacht, Rieger lediglich als Stichwortgeber, gemeinsam mit der Menge, verloren im Dickicht der Klänge, die da etwa im Unterholz des unwiderstehlichen „Jeder Traum eine Falle“ klirren und klackern, ohne zu einem Gimmick zu werden. Vielleicht ist das der größte Verdienst dieser Platte, Größe zu wagen, ohne sich zu verzetteln oder gar peinlich zu werden, und alleine damit hat sich All diese Gewalt als eigenständiges Projekt etabliert, mit dem zu rechnen sein wird. Der Herbst 2016 gehört ihnen bereits jetzt.
8,4/10
„Welt in Klammern“ erscheint am 23.09. via Staatsakt auf Platte, CD und digital.
Credits für das Titelbild gehen an Patrick Herzog.
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