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Aydo Abay im Interview: „Nach „Friend or Foe“ von Blackmail war im Indie-Genre alles gesagt“

Feste Größe in der deutschen Rock- und Indielandschaft: Aydo Abay. Foto: Nina Stiller

Ich könnte so viel zu Blackmail schreiben, dass das eigentliche Interview wohl erst auf Seite 2 anfangen würde. Also versuche ich mich kurz zu halten: Als die bis heute unerreichte Trilogie „Science Fiction“, „Bliss, Please“ sowie „Friend or foe“ um die Jahrtausendwende rauskam, war mein Indie-Herz direkt Feuer und Flamme. Bis heute, denn jedes Mal wenn ich die Musik auflege, kommen sofort Erinnerungen, Gänsehaut und so ein komisches Zucken in meinen Beinen. Das muss wohl Tanzlust sein. So gut komponierte Musik, diese außergewöhnliche Stimme und dann auch noch aus fucking Koblenz! Blackmail waren und sind ohne Frage etwas Besonderes in der deutschen Musiklandschaft der 2000er-Jahre. Bis heute wundert es mich (und da bin ich mit Sicherheit nicht der einzige), warum es die Band nie auf den Indie-Olymp und gewissermaßen in den Mainstream geschafft hat. Aydo selbst schiebt es auch ein wenig auf die „Wir machen was wir wollen“ Attitüde, die wohl keine Türen Richtung Erfolg aufgemacht haben sollen. In der deutschen Indie- und Alternative-Szene ist die Band nach wie vor der Maßstab für gute Musik. Die Sehnsucht nach einer Re-Union ist groß, das zeigt allein, wie schnell die Re-Issues von „Bliss, Please“ sowie „Friend or Foe“ bereits im Vorverkauf weg waren. Gleichzeitig kam noch „1997- 2013 (Best of + Rare Tracks)“ heraus. Für mich der beste Grund, mir Aydo für ein Telefon-Interview (Danke, Corona!) zu schnappen und zur Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft von Abay und natürlich Blackmail auszuquetschen. Mit zehn Minuten Verspätung (Aydo musste noch Wäsche aufhängen) ging es los und trotz der Umstände war der Wahlberliner richtig gut drauf.

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Testspiel: Vor kurzem kam ein Best-of-Album inklusive Rare Tracks sowie Re-Issues der Alben „Bliss, Please“ von 2001 und “Friend or Foe“ von 2003 auf Vinyl raus. Warum gerade jetzt, obwohl Blackmail seit Jahren inaktiv ist?

Aydo Abay: Ich bin großer Fan der Re-Issues . Eine Menge Freunde hatten die Alben noch nicht. Perfekt, dann hab ich genug Geschenke! Bei der Best Of war ich skeptisch, finde es aber im Nachhinein gut. Sie ist ein guter Einstieg für junge Leute – auch wenn ich mir gar nicht vorstellen kann, dass die gerade Blackmail hören – oder für Leute, die Blackmail damals gefeiert haben und jetzt dieses Gefühl Revue passieren lassen wollen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Best Of so gut ankommt! Vor allem aus dem Netz kommen positive Reaktionen und ich hätte nicht gedacht, dass die Vinylausgabe jetzt schon ausverkauft ist.

Die Re-Issues waren bereits im Vorverkauf ganz schnell weg. Wie hast du die Nachricht aufgenommen?

Bei den Re-Issues war mir das vorher schon klar, weil ich im Jahr bestimmt ein Dutzend Anfragen bekomme, ob es die noch auf Vinyl gibt. Und bei 500 Exemplaren geht das dann eben schnell. Bei der Best Of war ich mir erst nicht sicher. Ich bin zwar leidenschaftlicher Plattenkäufer, aber ich kaufe mir selten eine Best Of. Aber vor allem durch die Rare Tracks macht es echt Spaß, die Platte zu hören.

Der Song „Today“ kommt mir so bekannt vor, ich kann ihn aber nicht mehr zuordnen.

Den hatten wir damals als Bonustrack auf der CD-Version von „Ariel View“. Bei dem Song hatte ich immer das Gefühl, dass er nicht fertig ist. Von meiner Seite aus war der Text nie komplett ausgefeilt. Deswegen war es nur ein Bonustrack, obwohl es ein gutes Lied ist.

Wie kam die Auswahl der anderen Tracks zustande?

Die hatten wir alle in der Schublade. Mit der Best Of hatte ich auch gar nix zu tun. Es gab vorab eine Diskussion, ob man die Neuphase von Blackmail mit einbezieht, ich war natürlich dagegen [lacht] und habe die Verantwortung dann abgegeben.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob „Bliss, Please“ oder „Friend or Foe“ mein Liebling ist, wahrscheinlich ist es ein Hybrid. Welches Album hatte auf dich einen größeren Einfluss?

Für mich gehört noch “Science Fiction“ von 1999 dazu, die drei Alben gehören für mich zusammen. Sie stehen für eine musikalische Findungs- und Weiterentwicklungsphase von Blackmail. Nach “Friend or Foe“ war in dem Genre alles gesagt. Unsere beiden Nachfolgeralben waren zwar noch sehr gut, aber irgendwie war da nichts musikalisch Neues mehr. Wir haben weiter gesucht, aber nichts richtiges gefunden.

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War das einfach auch nicht mehr der Zeitgeist? Anfang der 2000er war die Hochphase des Indie-Rock.

Wir waren von Anfang an Außenseiter. Dass wir überhaupt einen Major-Vertrag bekommen haben, halte ich bis heute für ein Wunder. Aber wir haben uns nie mit jemandem verbündet – außer mit der bluNoise Mafia ganz am Anfang. WIr haben autark gearbeitet und uns sehr viel rausgenommen. Ich wundere mich bis heute, dass wir mit vielem durchgekommen sind. Es ging halt, weil wir auch sehr gut waren und trotz Alkoholexzessen oder schlechten Konzerte ein gutes Standing hatten. So was haben uns die Leute verziehen. Ich hab mir die Kommentare zur Best Of im Internet durchgelesen und es gibt immer noch Leute, die total sauer sind, dass man ein Konzert vergeigt. Aber ich finde, das gehört zu einer guten Band. Anfang der 2000er waren manche Bands unberechenbar, das ist heute nicht mehr so oft am Start.

Ich sehe manchmal, dass Musiker auf der Bühne demotiviert wirken und aussehen, als hätten sie keinen Bock. Dass kaum Funken aufs Publikum überspringen.

Wenn das von Herzen kommt, bin ich großer Fan davon. So eine Einstellung ist dann authentisch. Wenn eine Band mich nicht vollschwafelt, warum sie so gerne hier sind oder warum der Song geschrieben wurde, bin ich auch dankbar. Wenn man nichts zu sagen hat, gerne mal die Fresse halten. [lacht] Nach unseren Konzerten sind regelmäßig Leute auf uns zugekommen und wollten uns beraten, dass wir freundlicher und publikumsnäher sein sollen. Aber da haben wir immer drauf geschissen und das war auch gut so. Ich habe Bright Eyes drei Mal gesehen und es war jedes Mal komplett anders, ich war total befriedigt. Und was war die andere Band, wo ich alles gleich fand? [überlegt]

Für mich die Allah-Las. Ich habe sie 2017 auf dem Sziget Festival und vergangenes Jahr in Hamburg gesehen und die Attitüde war eher so: Nicht lächeln, kaum reden.

Ich habe die zufällig auch gesehen, in einem kleinen Club in Köln. Da ich so klein bin, sehe ich oft nix und habe nur die Musik gehört und das war super. Ich glaube, die haben auch mit uns nicht großartig geredet. Die Musik war super, aber die Leidenschaft kam irgendwie nicht rüber. Aber so was ist eine Typfrage, wir beide haben ja auch unterschiedliche Ansichten. Ich mag auch manchmal, wenn die Band auf der Bühne reden will. Aber wenn es die Standardsprüche sind, bekomme ich eher das Kotzen. Da denke ich immer an Silbermond.

Ja gut, das ist jetzt ein anderes Extrem [lachen] Ich habe dich mit Abay in Hamburg gesehen und kann mich erinnern, dass du sehr redefreudig warst.

Ja, weil mir das auch Spaß macht! [lacht] Das hängt immer vom Konzert ab. Die in Hamburg waren immer super, ich erinnere mich aber auch an eins in Nürnberg. Das lief auch gut, aber das Eis ist langsamer aufgetaut, wenn wir vor 50 – wahrscheinlich gut gelaunten, aber nicht ersichtlich – Franken spielst. Aber als der Groschen gefallen war, machte es auch echt Spaß. Aber wie gesagt: Es gab früher auch oft Momente mit Blackmail, wo wir nix zu sagen hatten und einfach gespielt haben.

Ist auch eine gute Einstellung, wenn man es durchzieht und durch Performance punkten kann.

Ja, das hat auch nicht immer geklappt [lachen] Ich erinnere mich an ein Konzert in Hamburg, so um die Jahrtausendwende. Da haben wir Kokain entdeckt und fanden es geil, das vor der Show zu nehmen. Dann gingen wir auf die Bühne und die Wirkung trat ein. Die war ungewohnt, wir waren einfach nur dumpf und haben das Konzert gespielt. Wir wussten später nicht mehr so richtig, was passiert ist. Auch die Leute in Publikum: Da war nix an Gefühl. Da haben wir uns gesagt: Lass das mal lieber nicht vor den Auftritten machen! [lacht]

Kommen wir doch wieder in die Gegenwart. Du hast ein neues Album von Abay angekündigt. Wie ist der Status?

Wir haben jetzt unsere EP fertig. Wir bringen zwischen unseren Alben immer eine Cover-EP raus und die Nummer Zwei ist seit ein paar Monaten fertig. Die sollte schon längst draußen sein, aber dank Corona kann man momentan nicht planen. Sie nennt sich „Conversions 2“, kommt im Juni und ist leider nicht so gut geworden. Also sie ist voll okay, aber wir hingen zwei Jahre dran – an einer Cover-EP! Wir haben so oft dran rumgeschraubt, neue Versionen aufgenommen. Der Plan ist nicht perfekt aufgegangen. Aber ich bin mit keiner Version zu 100 Prozent zufrieden.

Wieso bringt ihr sie trotzdem raus, wenn du nicht zufrieden damit bist?

Wir haben zu viel Zeit reingesteckt und kamen aus der Nummer nicht mehr raus. Ich will die jetzt auch gar nicht schlechtreden, weil sie echt gut ist. Aber wir machen die Cover-EPs nur, um uns neu zu finden und musikalisch auszuprobieren, um das dann fürs neue Album mitzunehmen. Dank der zweiten Cover-EP weiß ich jetzt, was wir beim kommenden Album besser nicht machen wollen und das wird dem Album definitiv gut tun. Und das ist auch eine super Erkenntnis, sie hat also ihren Zweck bereits erfüllt. [lacht] Unsere Fans werden das auf jeden Fall mögen, aber mich hättest du damit nicht unbedingt hinterm Ofen vorgelockt. [lachen]

Den ZDF-Fernsehgarten kannst du damit nicht beglücken? [lachen] [Anm. d. Red.: Abay hat 2016 den Song „1997“ beim ZDF-Fernsehgarten performt und irgendwie war es gut, aber alles in allem skurril]

Doch, der Fernsehgarten wäre mit mindestens vier der Stücke sehr glücklich [lachen]

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Natürlich drängt sich bei den kürzlichen Re-Releases und dem Best Of die Frage auf, wie es um die Zukunft von Blackmail steht.

Das weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sprechen und ich habe ein krasses Gefühl gehabt, als ich die Platten nach Ewigkeiten wieder gehört habe. Remastered und optisch schön aufgemacht, das ruft natürlich Erinnerungen wach. Die guten sehr viel stärker als die schlechten Erinnerungen. Der Groll ist weg, wir schreiben uns ab und zu. Ob wir uns wieder zusammentun, das stand noch gar nicht zur Debatte. Da habe ich auch noch gar nicht drüber nachgedacht. Ich feier es natürlich, dass wir mit so einer Musik durchgekommen sind und auch ein Erbe hinterlassen haben. Aber in den Best-Of-Listen des Jahrtausends, die ich mir so angeguckt habe, tauchen wir trotzdem nicht auf.

Inwiefern würde Blackmail im 2020er Zeitgeist noch funktionieren?

Ich glaube schon, dass wir noch unsere alteingessenen Fans haben, aber die 16-Jährigen können wir eher nicht begeistern. Aber müsste man sich angucken. Meinst du, ein Vater, der Blackmail als 20-Jähriger gefeiert hat, bringt nun sein Kind mit zu einem Blackmail-Konzert? Ich kann es gar nicht einschätzen.

Gute Frage. Mein Vater liebt Queen, aber in meiner rebellischen Phase habe ich die Band aus Prinzip abgelehnt. Erst ein paar Jahre später habe ich gecheckt, wie geil die Musik eigentlich ist.

Da haben wir echt was gemeinsam! [lachen] Bei mir waren es nicht die Eltern, aber Kurt und Carlos und vor allem Mario [die Mitglieder von Blackmail, Anm. d. Red.]. Als wir damals anfingen, waren die alle absolute Fans von Queen und den Beatles. Auf die Beatles konnten wir uns einigen, aber Queen habe ich per se gehasst, weil ich es zu metallisch und fordernd fand. Dann war ich mal auf einem Konzert von den Beatsteaks und „Don’t stop me now“ lief als Warm Up. Und ich dachte: Alter, ist das ein geiler Song! Wieso mag ich das denn nicht? Danach habe ich mich komplett mit Queen auseinandergesetzt und sämtliche Interviews mit Freddy Mercury gesehen. Auch wenn die Platten manchmal schwierig zu hören sind, ist es eine Riesenband!

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Meine letzte Frage dreht sich um den Musikjournalismus. Ihr wart damals dicke mit der Visions, auch die Intro hat euch abgefeiert. Beide Marken sind jetzt nicht mehr so stark bzw. gibt es sie gar nicht mehr. Wie erlebst du den heutigen Musikjournalismus?

Natürlich fehlt die krasse Präsenz von Marken wie Intro, Spex oder Visions. Intro war durch die sehr offene Art und weil sie umsonst überall rumlag ein perfektes Blatt, um sich monatlich auf dem Laufenden zu halten. Das fehlt mir total. Die Visions habe ich seit Jahren nicht gelesen, ich weiß gar nicht, was die momentan machen. Wahrscheinlich geht es um Tool und Queens of the Stone Age. [lacht] Durch den Wegfall hast du viele Musikjournalisten, die jetzt im Netz unterwegs sind, aber eine führende Hand fehlt mir. Wenn ich eine Band durch Journalismus neu entdecken will, müssen das ein Dutzend Leute bei Facebook geteilt haben, bevor ich da reinhöre. Aber ich muss auch sagen, dass viele musikjournalistische Geschichten wie „das ist die beste Platte der Band, die momentan in der und der Phase ist“ langsam auch auserzählt sind. Als ich 30 war, haben mich solche Stories hinter den Alben vielleicht noch interessiert, jetzt mit 47 juckt mich das nicht mehr. Es ist immer schlecht, wenn gute Sachen wegfallen. Aber wenn was verschwindet, entstehen auch neue Sachen. Die Intro bedeutete früher für mich, dass ich mich einen ganzen Tag hinsetze, die Seiten durchblättere und in neue Sachen reinhöre. Das kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen.