Im Pop haben sich über die Jahrzehnte hinweg unterschiedlichste Sorten des Leidens etabliert: nerviges, zermürbendes, karikierendes, herzergreifendes und natürlich jenes auf sämtlichen Grenzen balancierende bittersüße Leiden, das Natasha Khan so perfekt beherrscht. Schon immer verstand es die Britin mit ihrem Projekt Bat For Lashes, dramatische Geschichten in ein Spannungsfeld zwischen Kitsch und Minimalismus zu schicken, in dem nur wenige Songs bestehen können. Mit „The Bride“ bringt sie dieses Konzept nun auf Albumlänge, schlüpft sie hier doch in die Haut einer Frau, deren Verlobter am Tag der Hochzeit bei einem Autounfall stirbt.
Tendenziell harter Tobak, der in seiner Mischung aus Romantik und Morbidem genügend Fallstricke zu bieten hat, an denen Leute wie Tim Burton schon vor Jahren gescheitert sind. Doch man kann an solchen Herausforderungen ja durchaus wachsen, und so baut Khan die Geschichte gleich zum dominanten, multimedialen Konzept aus, mitsamt einer Geschichte in gedruckter Form, entsprechendem Artwork und abgestimmter Videos. Träger all dessen bleibt aber unterm Strich immer noch die Platte – ohne die passende Musik geht jedes noch so nette Konzept unter. Und hier kommt der erfreuliche Teil dieses überaus betrüblichen Albums: „The Bride“ hält, was seine Aufmachung vollmundig verspricht.
Dabei entfaltet Khan eine zugleich vielfältige wie minimalistisch-schlüssige Klangpalette auf ihrem vierten Album. Besonders zu Beginn gönnt sie sich noch einige Spielereien, die später einem sphärischen Dräuen weichen: Durch „In God’s House“ zuckt etwa ein nervöser Synthesizer, während die Sängerin gegen Ende – sich des drohenden Unheils bewusst – das Wort „Fire“ schier endlos wiederholt, bis auch das letzte Instrument verstummt ist. Seine konkrete Entsprechung findet das „Feuer“ im folgenden „Honeymooning Alone“, das mit dem Geräusch eines Unfalls beginnt und sich in der Folge in einen schleppenden Wüsten-Blues entwickelt, zu dem sich die Protagonistin ganz alleine in die Flitterwochen quält.
Ungleich harmonischer funktioniert da noch der Anfang „I Do“, eine harmonische Miniatur, die das Hochzeitsmotiv trügerisch unbekümmert einführt; doch schon der zweite Song, „Joe’s Dream“, bewegt sich in Richtung Alptraum, gesegnet mit einer wundervollen Melodie natürlich. Bereits im Zusammenspiel dieser beiden Stücke wird die Raffinesse deutlich, mit der „The Bride“ zusammengestellt wurde: Wo andere Konzeptalben ihren Zusammenhang lediglich behaupten oder allzu forciert einer Geschichte folgen, da wählt Khan einen klugen Mittelweg, bleibt immer nachvollziehbar und stimmungsvoll, ohne etwas zu erzwingen. Ein potentieller Hit wie das treibende „Sunday Love“ kann dabei problemlos alleine wie im Albumkontext bestehen.
Direkt dahinter sackt die Stimmung dann auch gnadenlos ab. „Never Forgive The Angels“ wird noch von einem hallenden Chor und einer strengen Gitarre durchzogen, danach bleibt vor allem ätherisches Klagen. Bittere Selbstreflexion versteckt sich in einem Goth-Spoken-Word-Stück („Widow’s Peak“), „Close Encounter“ erweist sich als Synthie-Alptraum und „I Will Love Again“ klingt wie zerbrechlicher Dream Pop, der sicherheitshalber dutzendfach in Watte gewickelt wurde. Selbst als sich die Stimmung gegen Ende wieder aufhellt, werden die Stücke kaum handfester, bleiben so vage wie die Wendungen, die ihre Geschichte nimmt.
Nein, für launige Stunden in behaglicher Zweisamkeit ist „The Bride“ nur bedingt geeignet, eher schon für Abende, die man alleine in einem Meer von Rotwein ersäufen möchte. Dazu konnte man Bat For Lashes Alben schon immer nutzen, doch wie hier Merkmale unterschiedlicher Ikonen des Entrückten zu einem homogenen Gesamtwerk verknüpft werden, ohne dabei die eigene Identität zu verraten, sondern sie ganz im Gegenteil noch zu schärfen, zeugt von großer Könnerschaft und macht das Album zum bisherigen Höhepunkt einer ohnehin hochklassigen Diskographie.
8,2/10
„The Bride“ erscheint am 01.07. via Parlophone auf Platte, CD und digital.
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