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Björk – Vulnicura (Kritik)

Es ist egal, aber …

… sprechen wir dennoch kurz über den Leak und die überraschende Veröffentlichung von Vulnicura, einfach weil sich der Umstand auf die Rezeption auswirkt und ich das nicht unter den Tisch kehren möchte. Nachdem Björk die Veröffentlichung ihres neuen Albums Vulnicura wenig präzise für März angekündigt und erste Informationen bereit gestellt hatte, tauchte ein Leak der Platte im Netz auf. Ich habe ihn nicht gehört, man sprach jedoch von minderwertiger Tonqualität, wie es eben oft bei solchen Aktionen der Fall ist. Als Reaktion veröffentlichte Björk das Album spontan, wobei sie in einem begleitenden Facebook-Post erfreulicherweise keine Worte über diesen Vorfall verlor, sondern über das Album und seine Entstehung schrieb. Gerade im Kontrast zu Madonnas pathetischen Worten angesichts ihres Leaks ist diese Reaktion zu begrüßen, viel wichtiger ist jedoch, dass wir es hier nicht mit einem überraschenden Release zu tun haben, wie er seit einigen Jahren en vogue ist. Im Grunde haben wir es mit einem ganz normalen Björk Album zu tun und der Leak und seine Folgen sollten die Musik nicht überschatten. Wobei, eigentlich trifft diese Einordnung des neuen Materials auch nicht ganz zu.

Zurück zur Musik

Vulnicura ist tatsächlich eines der besten Björk Alben überhaupt geworden, besser in jedem Fall als Biophilia. Dort stellte sich, zumindest bei mir, ein wenig Langeweile ein: die interessanten Beats fehlten, alles war ein wenig gleichförmig und auf das Gesamtkonzept ausgelegt. Vulnicura muss man nicht unbedingt eine Rückkehr zur Form nennen, unbedingt aber eine Rückkehr zur Musik und zu dem, was die Isländerin besonders gut kann: Gefühle und Avantgarde zu verbinden. Zwei Komponenten, die sich nicht immer besonders gut vertragen. Gerade in den 90ern glückte es Björk jedoch mehrmals, eben dieses Kunststück zu vollbringen, und genau daran knüpft sie von der Herangehensweise her mit ihrem aktuellen Material an. Zentraler Auslöser, zudem Dreh – und Angelpunkt des Inhalts ist die Trennung von ihrem langjährigen Partner Matthew Barney. Das Material ist in den Wirren dieser Zeit entstanden, und es kreist thematisch wie musikalisch um sie herum.

Streicher & Beatbastler

In einem Interview mit Pitchfork gab Björk an, ihr Mittel im Kampf gegen die Trauer sei das Arrangieren von Streichern gewesen. Sie sind eine der großen Komponenten des Albums, natürlich nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal besonders prominent. Björk arrangierte die Musik streng: 15 Streicher begleiten die Stücke, darunter fünf Cellisten. Stellvertretend stehen sie für die (emotionale) Schwere, die einer Menge des Materials anhaftet. Die Streicher im Allgemeinen werden variabel eingesetzt: mal tragen sie ihre Stimme, mal ziehen sie den Song nach unten, ab und an torpedieren sie auch das gesamte Arrangement. An einer dieser Stellen muss man unweigerlich an Arca, speziell an seinen Solo-Track Violence denken. Der junge Venezolaner hatte seine Finger unter anderem bei der Musik von FKA Twigs und Kanyes Yeezus im Spiel, nun hat er einen Großteil des Albums gemeinsam mit Björk produziert, war teils gar ins Songwriting involviert. Dieses Konsultieren eines kreativen Beatbastlers kennen wir ebenfalls, bei Homogenic war es der mittlerweile verstorbene Mark Bell, bei Vespertine Matmos. Arca gelingt es trotz seiner prominenten Vorgänger und ohne Björks mächtige Präsenz, an einigen Stellen seine Handschrift elegant zu integrieren.

Verbindung & Trennung

Eine besondere Leistung bei Vulnicura ist es, das Album zugleich homogen und nicht nach „Homogenic II“ klingen zu lassen. Die Songs sind selten kompakt, drei der acht Stücke wälzen sich über die Acht-Minuten-Grenze. Der Längste unter ihnen ist Black Lake, zugleich das zentrale Stück des Albums. Im Booklet sind den ersten sechs Songs Zeitliche Abstände zur Trennung zugeordnet, die ersten drei spielen davor, Black Lake ist der erste Song danach. Ging es bei den ersten drei Stücken noch hoffnungsvoll, ängstlich oder fordernd zu, so landet man bei diesem hier auf dem Grunde des titelgebenden Gewässers. Mittendrin in dieser finsteren Elegie setzt ein stampfender, drückender Beat ein, programmiert von Arca. An anderer Stelle werden seine merkwürdigen, den Hip Hop verhöhnenden Beats noch deutlicher, etwa bei den zerhackten Synthies, die das Gerüst für History Of Touches legen, oder die tiefergelegten Klöppeleien in der Mitte von Notget. Der Beat von Quicksand, an dem Arca nicht beteiligt war, erinnert hingegen irgendwie an eine milde geordnete Version von Death Grips, mit denen Björk in den letzten Jahre häufiger anbandelte. Einen einzigartigen, aber prägnanten Auftritt hat auch Dark-Ambient-Produzent The Haxan Cloak: am Anfang von Family darf er eine seiner einmaligen, beinahe stillstehend-pulsierenden Klang-Installationen unterbringen, was perfekt zu der unterirdischen Stimmung im Mittelteil des Albums passt. Antony Hegartys Auftritt in Atom Dance steht hingegen für den milden Optimismus, der sich gegen Ende einstellt. Diese unterschiedlichen Elemente sind so geschickt in den Soundentwurf verwoben, dass man tatsächlich von einer geglückten, homogenen Verbindung sprechen muss.

Björks Exorzismus

Der Star dieser Veranstaltung ist trotz allem Björk. Die Schützenhilfe trägt dazu bei, doch letzten Endes ist es ihre Stimme, sind es ihre Melodien und ihre Texte, die Vulnicura an ihre stärksten Werke anknüpfen lässt. Man braucht Zeit für dieses Album, oft ist es unangenehm, anstrengend könnte man sagen, doch wie beinahe immer bei Björk lohnt sich die Mühe am Ende. Viele Trennungsalben hat diese Welt erlebt, die Meisten waren eher mittelmäßige Angelegenheiten. Björk ist schonungslos, mit uns und sich selbst, sie trägt den Exorzismus ihrer inneren Dämonen in die Öffentlichkeit und lässt uns dadurch ein wenig an etwas sehr Intimem teilhaben. Es ist ein Kunststück, das nur wenigen gelingt, die starke, lebendige Leistung einer mutigen Künstlerin, die man eigentlich schon ins Museum abschieben wollte.