Clueso, dieser junge, sympathische Musiker aus meiner Heimatstadt Erfurt, war Ende Mai für Viva con Agua zehn Tage lang in Äthiopien unterwegs. Während der Reise entstand der Benefizsong „AAND NEN – We are one“, an dem auch lokale Musiker wie Samuel Yirga und Samon Kawamura beteiligt waren. Mit auf Reise war auch Grafikdesigner Simon, der den Trip bei einem Cover-Wettbewerb von Adobe gewonnen hat und das Artwork beisteuern durfte. Ich habe beide in Erfurt getroffen und über die Reise, den Song, Viva con Agua und das Cover gesprochen.
Viva con Agua und Clueso – wie entstand das?
Clueso: Ich habe Michael Fritz von Viva con Agua vor neun Jahren kennengelernt. Später haben wir mit unserem Label Zughafen verschiedene Aktionen zusammen gemacht. Sobald man etwas bekannter wird, bekommt man immer mehr Anfragen, wo man sich sozial engagieren könnte. Da sind eine Menge tolle Sachen dabei, aber ich habe mich lieber auf etwas konzentriert, bei dem ich den Fortschritt konstant verfolgen kann. Deswegen wollte ich weniger machen, aber dauerhaft dranbleiben. Viva con Agua ist für uns das Richtige. Nach neun Jahren haben wir es endlich geschafft mit ihnen auf Reise zu gehen, weil das neue Album so gut wie fertig ist und wir mehr Luft hatten.
Eure Reise ging insgesamt über zehn Tage. Welche Momente sind bei Dir hängengeblieben?
Clueso: Wie immer im Leben die emotionalen Täler und Berge. Sachen, die mich krass bewegt haben, die man so noch nicht erlebt hat. Man kennt natürlich Bilder von Menschen, die auf der Straße leben müssen. Ich habe auch in Deutschland viel Armut gesehen, aber nicht in diesem Ausmaß. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Äthiopien noch viel krasser. Da gibt es viele Menschen, die gar nichts mehr haben und nackt in der Sonne auf der Straße liegen. Solche Szenen fand ich sehr bewegend. Für viele Menschen spielt im Alltag die Musik eine große Rolle. Selbst Lärm wird nicht so störend und reizüberflutend wahrgenommen wie etwa in Deutschland. Das hat alles einen anderen Groove. Zwar laut, aber nicht so unangenehm wie hier.
Was hast Du für Dich persönlich von der Reise mitgenommen?
Clueso: Als wir wieder in Deutschland waren, kam Norman Sinn von der Toilette wieder und meinte: „Ich spüle gerade meine Scheiße mit Trinkwasser weg!“ Das ist zwar sehr krass ausgedrückt, aber das wurde mir auch sofort klar, sobald man mit Leuten von Viva con Agua oder der Welthungerhilfe spricht. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist in Äthiopien nichts Alltägliches, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auf der Welt. Wir haben uns mit 1-Liter-Wasserflaschen geduscht, das war kein Problem. Hier steht man gerne mal länger unter der Dusche, weil es so schön ist. Das heißt jetzt nicht, dass ich ab jetzt immer früher aus der Dusche rausgehe, aber mein Bewusstsein hat sich dadurch schon verändert.
Ihr habt in Äthiopien auch zwei Konzerte gegeben. Inwiefern haben die sich von den „normalen“ Konzerten unterschieden, die Du sonst gibst?
Clueso: Die Leute kennen einen nicht. Ein Konzert war im Goethe-Institut, da waren schon ein paar Deutsche da. Ansonsten war die Wahl der Instrumente definitiv anders. Gash Abera Molla, der auch bei „We are one“ mitgeholfen hat, stand mit einer Laute auf der Bühne und hat die Hütte sowas von abgebrannt (lacht). Die Musiker rocken wie in einem Stadion. Die haben Pflanzen ausgerissen und Blumen auf die Bühne geworfen, das war super. Der Groove war einmalig, da steckte irgendwie ein Urinstinkt drin. Du musst dich in Äthiopien nur an die Straße stellen und in die Hände klatschen, es dauert nicht lange bis mehr und mehr Leute hinzukommen. Am Ende stehen bis 20 Leute um dich herum und drehen durch. So etwas gibt es in unseren Breitengraden eher selten.
Wie viel Äthiopien steckt in „AAND NEN – We are one“?
Clueso: Vor Ort war es schwierig, mit diesen Massen an Eindrücken einen Song zu schreiben. Normalerweise lässt man alles erst ein paar Tage sacken. Manche Sachen müssen sich setzen, das Wasser zieht sich weg und erst dann kommt die Welle. Wir haben im Songtext bewusst versucht, den mahnenden Zeigefinger wegzulassen, aber das war schwierig. Ich war froh, dass Max Herre dabei war und ab und zu seine Meinung gesagt hat. Wir wollten die Situation in Äthiopien und unsere Erlebnisse unterschwellig in den Text einbauen. Durch Samuel Yirga steckt sehr viel Äthiopien drin. Er hatte Lust, seine Fusion-Jazz-RnB-Lines einzubauen. Es gibt Ethno-Jazz-Skalen, die im Song auftauchen. Ich hatte auch schon Sachen vorbereitet, die ich dann aber doch weggelassen habe. Das Schöne an Musik ist, dass du tausende Vorstellungen haben kannst, wie die Musik klingen könnte, wenn man aufeinandertrifft. Aber es wird jedes Mal anders.
Das Lied wird eindeutig von afrikanischen Rhythmen dominiert.
Clueso: Yirga ist schon Wahnsinn, wie schnell und präzise er spielen kann. Es gab einen interessanten Aha-Effekt: Tim Neuhaus hat auf dem Stück Schlagzeug gespielt. Yirga und er haben sich so gut verstanden, dass Tim ein paar Stücke live auf der Bühne mit ihm spielen sollte, weil sein Schlagzeuger einen Unfall hatte. Afrikanische Musik hat krasse Rhythmen, mit Takten, die ständig kreuz und quer gehen. Tim hat sich die Musik nur zehn Minuten angehört und die beiden haben sich auf Anhieb so gut verstanden, dass sie perfekt miteinander harmonierten und kein Wort reden mussten. Das ist für mich das Interessante am Reisen: Menschen mit völlig anderem Lebenshintergründen begegnen sich und verstehen sich. Selbst der Humor ist gleich. Dieses Gefühl spiegelt sich in „We are one“ auch wider.
Entstand die Idee hinter dem Song schon vorher, verbunden mit den Erwartungen an die Reise? Oder entstand alles während der Reise?
Clueso: Norman Sinn ist ein super Freestyler, der auch viele Gedichte schreibt. Wir haben während der Reise massig Zeug geschrieben. Davon haben wir aber gar nichts genommen, weil Norman vor Ort ein Stück aus „Dein Raum“ gespielt hat. Das werden die Fans auch erkennen: „Wie viele Seiten hat ein unbeschriebenes Blatt?“ Ich habe daraus am Anfang gemacht: „Wie viele Seiten sind ungestempelt in meinem Pass? Muss man die Welt nicht erstmal bereisen, bis man eine Weltanschauung hat?“ Die Melodie haben wir dann weitergesponnen und die Grundlage geschaffen. Der Rest ging schnell: Wir hatten einen großen Raum, in dem überall Mikros für die Musiker aufgestellt wurden. Ich hatte mein Mini-Studio auf dem Laptop dabei, wo alles abgespeichert und bearbeitet wurde. Während der Aufnahme hat Simon die ganzen Impressionen aufgesogen. Das war cool, denn es passiert selten, dass derjenige dabei ist, der später das Cover visuell umsetzt.
Foto: Berti Kolbow-LehradtDer Wettbewerb #CreateTheCover fand großen Zuspruch. Alle wollten mit nach Äthiopien und bei der Entstehung des neuen Songs dabei sein. Wie ist die Wahl auf Simon gefallen?
Clueso: Ich binde bei solchen Dingen immer meine besten Freunde ein und habe auch Leute von Viva con Agua gebeten, sich ihre Favoriten rauszusuchen. Dann suche ich meine raus und lege das mit den anderen zusammen, um die Gemeinsamkeiten zu finden. Da war Simon noch gar nicht dabei (lacht). Ich habe dann nochmal geguckt und nach etwas gesucht, dass nicht so klassisch ist. Das Thema Afrika schwebte ja sowieso über alldem, das sollte natürlich nicht so plakativ rüberkommen. Simon hat das in seinen zwei Entwürfen genau so umgesetzt.
Simon, kannst Du nochmal rekapitulieren, wie Du auf diese Entwürfe gekommen bist?
Simon: Ein Kumpel hat mich auf die Aktion aufmerksam gemacht. Ich habe mich ein paar Abende hingesetzt und wollte die Artworks unbedingt raushauen, bevor ich in den Urlaub fahre. Ich wollte nicht so viele Afrika-Klischees einbauen. Die Idee muss ja auch gar nicht so komplex sein, Hauptsache sie wird sauber umgesetzt. Beim zweiten Entwurf sieht man ja erst das Peace-Zeichen, wenn man zwei Artworks nebeneinanderstellt. Ich wusste auch im Vorfeld nicht, ob Ihr das versteht.
Clueso: Wir haben einfach gefühlt, dass es das richtige Artwork war. Ich mag eine gewisse Aufgeräumtheit, in der aber noch Platz für Interpretation und das Auge bleibt. Ich dachte auch, wenn wir reisen und den Song aufnehmen, sollten nicht alle Eindrücke voll auf die Zwölf direkt auf dem Cover zu sehen sein.
Was sind Deine Hintergedanken zum letztlich finalen Cover von „AAND NEN“, Simon?
Simon: Unabhängig von den ganzen emotionalen Eindrücken habe ich meine Fotos genommen und in drei Kategorien sortiert: Farben, Grafik und Materialen. Das war vorab mein Baukasten, mit dem ich angefangen habe. Die Farben basieren auf dem, was ich auf der Reise gesehen habe.
Clueso: Das sieht man auf den ganzen Fotos: Es werden sehr oft sehr pastellige Farben genommen, auf den Autos, auf den Wänden. Es ist nicht wie in Kuba, wo Farben oft knallig sind, sondern eher verblasst. Als hätten sie alles mit Wasserfarben angemalt.
Simon: Der erste Eindruck von dem Land war schon in diesem Farbbild: Die Lichtverhältnisse haben alles so entsättigt wirken lassen, trotzdem gab es viele kräftige Farben. Auch das amharische Schriftsystem ist ziemlich cool, ganz eigen. Das musste ich auf jeden Fall einbauen. Mit den Materialien war es genauso. Ich hatte das Gefühl, das dort viel mehr Materialien als in Deutschland benutzt werden. Wahrscheinlich, weil sie viel improvisieren müssen. Insgesamt wollte ich mit dem Cover verschiedene Welten aufeinandertreffen lassen.
Clueso: Ich finde das Cover sehr gut. Man sieht definitiv seine Handschrift und es lässt viele Interpretationsräume. Es reiht sich eher in Bands ein, die ich toll finde, etwa Coldplay oder Radiohead, diese arty Richtung. Es würde auch wunderbar als Albumcover funktionieren.
PS: Wir haben auf dem Facebook-Profil von Samuel Yirga einen kleinen Hinweis gefunden, dass er eventuell mit Clueso und Max Herre in Hamburg auftreten wird. Wir lassen uns überraschen!