„Wer DŸSE kennt und liebt, freut sich auch über Überraschungen.“
Wer versucht das Duo DŸSE in eine Schublade zu stecken, muss innerhalb dieser Schublade wieder reichlich Fächer einrichten – dann vielleicht könnte es klappen. Jarii van Gohl und Andrej Dietrich sind zur Zeit mit ihrer neuen EP Bonzengulasch auf Tour und ich habe die Beiden zum besinnlichen Plausch auf zwei Bierbänken im Backstage des Bastard Clubs in Osnabrück getroffen. Während auf Jariis Handy nebenbei Handball läuft, hüpft Andrej immer wieder auf, um Dinge zu erledigen. Dazwischen entwickelt sich ein Gespräch über Wohlfühlorte, Wale vor Grönland und Wahlen in Deutschland. Eindeutigkeiten und Uneindeutigkeiten wechseln bei DŸSE permanent hin und her, doch eine Gesprächserkenntnis ist unumstößlich: Muss man DŸSE ernst nehmen? Auf keinen Fall! Muss man DŸSE ernst nehmen? Auf jeden Fall!
Eure neue EP heißt „Bonzengulasch“. Heißt das, dass die Reichen jetzt verhackstückt werden sollen?
Jarii: Wir wollen nicht unbedingt zu einem „Riot“˜ aufrufen bei der ganzen Geschichte. Aber natürlich birgt der Titel auch eine politische Meinung und Inhalte. Aber da kann auch jeder selber nachdenken. Wir nutzen die Sprache ja nicht unbedingt so inhaltlich, dass wir die Leute mit der Nase auf das Problem stoßen, sondern lassen da immer etwas Interpretationsspielraum.
Trotzdem scheint mir mit einem Wort wie „Bonzengulasch“ der Gestus recht eindeutig. Die Stoßrichtung wohin ihr Kritik äußert ist schon zu sehen, nämlich nach oben.
Jarii: Absolut, ja.
Wie lief die Produktion der EP ab? Sind das alles sehr aktuelle Titel oder hat das gedauert und ihr habt den richtigen Moment abgepasst?
Andrej: Hm. Das ging relativ schnell eigentlich.
Jarii: Also Hits zu schreiben ist für uns ja kein Ding. Das dauert doch maximal zwei Tage (lacht).
Sind es denn Hits?
Jarii: Gibt es von DŸSE etwa Songs, die keine Hits sind? Ich überleg mal kurz. Ne, mir fällt so spontan kein Song ein, der kein Hit ist. Vielleicht Reign in Blood. Aber der ist ja auch nicht von uns.
Nein, letztendlich sind die Songs wirklich sehr schnell entstanden. Es war eine Hauruckaktion. Ich hatte bei mir im Studio ein bisschen was ausprobiert und hab Andrej gefragt, ob er nicht Bock hat, da was drüber zu spielen. Und schon waren die Sachen fertig. Das ist eigentlich alles bei mir im sogenannten Herrenzimmer produziert, das ist eine Art Wohlfühlstudio. Das ist nicht ganz so eingerichtet wie ein professionelles Studio, aber es ist alles da, was man braucht“¦
An dieser Stelle werden wir kurz unterbrochen. Andrej wird abbeordert („Wir brauchen den Merchkasten“). Jarii nimmt“™s locker („Das krieg ich schon hin, ich sprech einfach jetzt ewig über das Thema. Ich zieh das in die Länge, bis du wieder da bist“).
Also: Wir wollten wirklich eine Wohlfühlplatte machen und schauen, was wir rein in Eigenregie für einen Sound raushauen können. Und der Text zu Bonzengulasch ist nachts entstanden, da lief ein Jean-Claude van Damme Film und ich habe ein Stück aus der Story rausgegriffen. Da explodieren Autos und so weiter und schon hatte ich den Text. Das sind alles irgendwie Schnellschüsse, aber das sind oft die besten, wenn nicht alles so total zerdacht ist.
Euer Sound hat sich aber schon geändert. Es ist deutlich elektronischer und weniger vom „New Wave of German Noise Rock“. Ihr habt schon eure bekannten Muster ein wenig verlassen.
Jarii: Das machen wir eigentlich immer gerne auf EPs oder 7 Inches, wo wir ein bisschen rumprobieren können. Das ist jetzt nicht der Weg, den DŸSE auf jeden Fall in der Zukunft gehen wird. EPs sind für uns ein Spielplatz zum Ausprobieren. Ich produziere zur Zeit auch viel elektronischen Scheiß und finde das gut, wenn man auch mal die Klangfarben verändert. Es gibt auch Leute, die sagen, das klingt jetzt nicht mehr wie DŸSE. Aber wer DŸSE kennt und liebt, freut sich, denke ich, auch über solche Überraschungen. Deswegen guckt man doch Filme oder kauft ein Album – um überrascht zu werden, am besten natürlich positiv. Klar wird das manchen nicht gefallen, aber wir machen erstmal die Musik, die uns gefällt.
Aber das ist doch auch das Interessante. Ich hatte das zum Beispiel mit der Band Trans Am. Ich mochte Elektro eigentlich nicht so, aber weil die das mit ihrem Indie verbunden haben, hat sich mir da eine ganz neue Welt geöffnet. Vielleicht ist das mit dem ein oder anderen durch uns dann ja genauso, vielleicht schießt es Leuten den Kopf auf. Außerdem kommt das Vinyl ja erst noch raus und da gibt“™s dann noch eine B-Seite, mit Zeug, das wir jetzt online noch nicht veröffentlichen wollten. Ein bisschen Extra also für alle, die sich dann die Platte kaufen.
Wir haben schon kurz über die Politik hinter eurer Platte gesprochen. Was machen Wahlergebnisse in Sachsen mit dir als linkem Künstler, wie reagierst du auf steigende Beliebtheit von Rechtspopulisten bis Rechtsextremisten in der westlichen Welt? Sorgt das für Fassungslosigkeit oder kannst du das auch als kreativen Schub nutzen?
Jarii: Es ist ein bisschen beides. Bei den Wahlergebnissen habe ich erstmal einen Schreck bekommen. Aber klar öffnet das auch neue kreative Wege. Wir erreichen recht viele Leute und es ist wichtig sich damit zu befassen und das nicht einfach stehen zu lassen. Meiner Meinung nach machen das viel zu wenige Künstler zur Zeit, gerade die aus dem Mainstream. Es sollte dazu gehören, dass man eine Meinung hat und die auch vertritt. Aber in unseren Texten werden wir nicht so eindeutig, wir spielen ja mit Worten. Man versteht schon worum es geht, aber wir singen nicht „Nazis sind scheiße“ oder sowas. Aber bei Konzerten können wir uns meist eine Ansage nicht verkneifen, wo wir schon sagen: Leute, passt ein bisschen auf, das ist gefährlich was sich da entwickelt. Und wenn Nazis im Publikum sein sollten, wollen wir schon, dass die wissen, dass wir sie scheiße finden.
Der zweite Track auf der EP heißt Euterei 2.0. Was ist denn an Euterei besser als an Meuterei?
Jarii: Das haben wir uns auch gefragt und da gibt’s viele Gründe. Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Also wir waren tauchen mit Walen in Grönland.
Das sind bei dir immer Dimensionen, die die Geschichten annehmen.
Jarii: Ich bin vierzig, ich hab viel erlebt. Das kann man doch mal erzählen (lacht).
Also wir waren mit Greenpeace unterwegs, wir hatten irgendwo eine Reise gewonnen. Dann waren wir da mit so Rudergummibooten auf dem Meer, das war echt geil. Und da haben uns dann auch Leute gefragt wie wir auf unsere Songtitel kommen, was ist das für ein abstrakter Krams? Naja, und beim Mischen vom Song haben wir nebenbei die Bilder aus Grönland angeguckt. Auf einem Bild sitzen wir in im Boot, hinter uns taucht ein Wal auf und pustet in die Luft und da sehen wir: Das Boot heißt Euterei 2.0. Naja, Meuterei, Euterei, da dachten wir direkt: Das ist doch der Songname, perfekt.
Also ein bisschen das typische DŸSE-Muster, dass sich viel aus eurem Alltag ergibt oder ihr eben Wortspiele einsetzt, hinter denen nicht zwangsläufig eine klare Botschaft stecken muss. Die DŸSE-Ambivalenz?
Jarii: Ja, genau. Die Leute haben doch ein Gehirn, um zu denken und ich find’s ganz gut, wenn sie es auch benutzen. Ist doch super, wenn die Leute anfangen zu überlegen und sich nach einem Konzert unterhalten: Hey, was glaubst du denn, was das heißen soll? Wenn sich dadurch Gespräche ergeben und viele Meinungen zustande kommen ist das doch geil.
Der dritte Track AchtNeunNeunNull (89/90) lässt sich aber recht schnell als Anspielung auf die Wendejahre lesen. Bei dem Song bekomme ich dann doch Gefühl, dass ihr eindeutiger werdet. Ihr stellt da auch klare Oppositionen her: Links gegen Rechts, Links und Rechts gegen Neutral. Da sprecht ihr doch auch eine unpolitische Masse an und sagt Positionierung ist besser als keine Positionierung.
Jarri: Du hast uns erwischt. Das stimmt schon und jetzt wo du es nochmal sagst, wird mir das nochmal deutlich. Der Text an sich sollte eigentlich die Wendezeit wiederspiegeln, aber das ist alles aktueller denn je. Mittlerweile singen viele bei unseren Konzerten mit und klar, das ist ein sehr direkter Text. Das bewegt uns alles schon und wir wollen uns auch dazu äußern. Es ist echt wichtig sich eine Meinung zu bilden und Leute bei einem DŸSE-Konzert wissen in der Regel wie da die politische Stimmung ist. Wir sind aber auch leider keine AntiFa-Unterstützer, das muss ich auch sagen.
Wieso leider?
Jarii: Naja, politisch sehe ich das als richtige Seite. Es heißt ja Antifaschismus. Aber einige von deren Methoden sind, finde ich, selbst faschitoid und damit können wir uns nicht anfreunden. Wir waren mal radikaler, aber es gibt einen Punkt, an dem die Frage gestellt werden muss, was man da grade macht. Wenn Teile von denen an der Macht wären, würden die vielleicht auch erstmal Nazis erschießen – und das kann nicht der richtige Weg sein.
Zu Bonzengulasch habt ihr ein recht simples DIY-Video gedreht und die Hookline ist „Alle machen mit“. Was zeigt sich an so einem Video mit dieser Zeile – gar nicht so schwer was Eigenes zu produzieren?
Jarii: Es wäre schön, wenn alle mitmachen, raus aus der Lethargie und aktiv werden. Aber beim Video selbst war mir auch die Ästhetik wichtig, da ging es auch um DIY. Das ist alles ein bisschen 90er-mäßig. Ich hab den Cuttern und Filmemachern gesagt, dass sie auf gar keinen Fall irgendwelche SloMos darein machen sollen, das kann ich nicht mehr sehen. Slow Motion wird so inflationär benutzt. Es soll ehrlich kommen, authentisch, unser Humor sollte drin sein. Über facebook haben wir noch nen Aufruf gemacht, dass wir Leute brauchen und dann kamen einige, die am Ende mit im Video sind. Das war total schön, wir sind danach alle was trinken gegangen. Danke nochmal an Tim und Michi, die das gemacht haben und an Kevin, der wirklich gut BMX fahren kann.
(Andrej hat sich mittlerweile zum Ende des Gesprächs wieder zu uns gesellt)
Motto der Tour jetzt ist ja „Wer DŸSE liebt, wird DŸSE lieben.“ Wie bringt ihr jetzt noch die Leute, die euch noch nicht lieben dazu?
Andrej: Die sollen vorbeikommen. Uns live besuchen! Alle sollen sich einfach den ganzen Tag DŸSE reinziehen und sie werden von der ersten Sekunde an merken: Das ist der fetteste Scheiße!
Jarii: Ist einfach schön, wenn die Leute mit einem fetten Grinsen aus dem Konzert kommen und Spaß hatten. Das macht uns ja auch am meisten Bock. Das braucht die Welt.
Andrej: Musik soll ja verbinden und nicht spalten.
Jarii: Deswegen sind wir am liebsten im Krankenhaus. Da spielen wir und danach sind die Leute alle verbunden. Das ist total geil.