Was soll ich sagen – seit 10 Jahren wollte ich schon immer mal auf’s Sziget. Ein Festival, das auf dem Papier nach einem Traum klingt. Während man sich anderswo auf Ackern, stillgelegten Flugplätzen oder am Meer versammelt, ist man auf dem Sziget mitten in Budapest – und irgendwie auch wieder nicht.
Aber konnte die Insel der Freiheit meinen Erwartungen gerecht werden?
Mit Headlinern wie den Foo Fighters, Ed Sheeran, Florence + the Machine oder Post Malone gab es für die breite Masse mehr als nur einen Grund für den Besuch. Das Sziget steht aber nicht nur für große Namen. Vielfalt ist einer der Stempel, den man sich mit voller Überzeugung selbst aufgedrückt hat. Lokale Größen sind das Stichwort. Im Fall der deutschsprachigen Länder zum Beispiel Wanda, Bosse oder Roosevelt.
Vielfalt endet aber natürlich nicht mehr bei Musik allein. In unzähligen Workshops galt es Dinge zu lernen, in Talkrunden zu diskutieren und Performance-Darbietungen zu bestaunen. Läppische sieben Tage wollen eben befüllt werden – und das ist den Initiatoren ohne Frage gelungen!
Gefühlt stehen Festivals hier in Deutschland meistens unter einem Markenschirm.
Alles ist gebrandet, alles irgendwo einheitlich und die Artists werden schon beinahe zur Nebensache. Große Worte, starke Kritik – ist mir bewusst, umso interessanter, dass das sich dieses Gefühl auf dem Sziget nicht so recht einstellen wollte. Auch hier trug jede Bühne den Namen eines der großen Geldgeber, aber vor allem im Bereich Verpflegung hielt man sich eher im Hintergrund. Eine willkommene Abwechslung, die sich nicht nur durch die Buden, sondern auch durch die Speisekarte selbst zog. Verhungern oder verdursten musste man definitiv nicht. Natürlich gegen ein entsprechendes Entgelt. Aber auch hier gab sich das Festival eher fair als überteuert. Im übrigen auch ein Feature, dass ich über die Tage lieben gelernt habe – der im Festivalarmband verbaute NFC-Chip.
Aufladen, bestellen, Trinkgeld auswählen, abscannen, fertig. Kein Portmonee, kein rumklimperndes Kleingeld, kein Warten auf Rückgeld, weil gerade mal wieder keines in der Kasse ist – das Sziget ist gänzlich Bargeld-frei. Die Aufladegebühr war ebenfalls fair und weit unter allem, was man hier an Fremdbankomaten zahlt.
Fairness – ein starkes Wort auf dem Sziget.
Die Mottos des Festivals „Love is Love“ und „Island of Freedom“ kamen nicht prätentiös, sondern ziemlich ernst gemeint rüber. Kein Stress aufgrund von „meinem Platz“ vor der Bühne. Keine aufdringlichen Saufnasen oder dummen Sprüche, weil sich jemand freizügiger zeigte. Jedenfalls haben ich dergleichen nicht mitbekommen. In meinen Augen ein großer Pluspunkt und vermutlich nicht zuletzt auch ein starker Grund, weshalb die Grundstimmung gleichermaßen aus- und gelassen war. Trotz 35°C im Schatten und trotz dauernder Beschallung. Kann einem halt dann doch auch mal an die Nerven gehen, wenn von einer Bühne Rock und der anderen tiefe Hip Hop-Bässe schallen, während man in der Mitte steht.
Aber frei nach dem Motto: „Es gibt noch genug anderes zu erleben“ zog es einen eh direkt weiter. Sieben Tage das Dasein des kulturellen Schwammes zu fristen ist ein Luxus, den es sich lohnt mal an der eigenen Haut zu spüren.
Aber jetzt sinniere ich hier über eine Mentalität, anstatt mal etwas zur Musik zu verlieren. Wir sind ja hier schließlich auf einem Musik-Blog, oder?
Also meine Highlights:
Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal von mir geben würde, aber halleluja ist Tove Lo ne Rampensau. Irgendwann war mir die Schwedin vor Ewigkeiten mal mit ihrem damaligen Pop-Ballädchen „Habits“ ins Ohr gedrungen. Vor zwei Jahren dann nochmal mit dem Sommerhit (ganz unironisch) „disco tits“ – und auf einmal fand ich mich vor der Mainstage wieder – komplett gebannt. Um ehrlich zu sein – nicht so meine Musik. Die Energie, die die Dame allerdings in die Meute vor dem Graben sendete war großartig! Song gefolgt von Song, ein kleines Späßchen zwischendurch und nie stillstehend – ich bin noch immer beeindruckt.
Beeindruckt war ich auch von Wanda. Ja, Wanda. Hatte ich noch Stunden zuvor mit Frontmann Marco Wanda ein ca. 10 minütiges Interview (folgt bald), fand ich mich nun beim Auftritt wieder. Vermutlich beäugt und besungen vom gesamten deutschsprachigem Publikum des Sziget verlief der Gig zunächst in gewohnten Zügen, bis ein exzentrischer Anfall für Auflockerung (?) sorgte. Nicht, dass der Auftritt bis dahin schlecht gewesen wäre. Herrn Wanda selbst seinen Drummer anbrüllen zu hören, „welchen verdammten Song“ man denn jetzt nach dem zweiten Fehlversuch spielen wolle und dabei seine Gitarre weg pfeffern zu sehen, ließ mich dennoch schmunzeln. Sieht man halt nicht alle Tage.
Um der Floskel um die Zahl Drei gerecht zu werden: The National. Mag jetzt wie eine einfache Wahl klingen, allerdings hatte ich zuvor noch Bedenken. Eine Band mit einer doch recht zurückhaltenden Präsenz auf der Mainstage – funktioniert das? Ja, das tat es! Klanggewaltig und vor allem mit viel Gefühl schrumpfte das Quintett mit Tour-Musikern die Mainstage zum Wohnzimmerkonzert. Neue Songs, Hits, Variationen – alles passte und sorgte für ein warmes Klangbett, in das sich ein doch sehr breites (no pun intended) Publikum nur allzu gerne legte. Schön. Wirklich einfach schön.
Und welche bessere Einleitung sollte es für mein Fazit geben?
Nach 10 Jahren des Wartens muss ich sagen, dass genau dieses Wort für mich das Sziget am besten beschreibt: Schön. Wie schon angesprochen gibt es immer etwas zu erleben – und selbst wenn man mal gerade genug vom Festival haben sollte – Budapest Zentrum ist mit 10 Minuten Fußweg und vier Stationen Bahn unglaublich einfach und komfortabel zu erreichen. Und Budapest und seine Möglichkeiten zu erklären würde nochmal ein ganz anderen Kapitel aufschlagen; nur eines sei gesagt: Ein Besuch lohnt sich!
Aber zurück zum Sziget: Ein Festival, das seine Message für jeden zu sein ernst nimmt. Während das Motto „Für alle“ oftmals für ein sehr verwaschenes Programm sorgt, wirkt man dem durch schiere Größe und dem damit verbundenen Umfang entgegen. Und so bleibt mir nur zu sagen: Zeig mir den Festivalgänger, der hier keinen Spaß haben kann! Sziget 2019 ich mag dich.