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Die besten Alben 2015

Wir Listen-Nerds wissen: Im Dezember ist Erntezeit. Das gesamte Jahr über wurden Platten gesät, die wir bereitwillig aufgenommen und mit euch geteilt haben. Doch man kann ja nicht immer nur alles gern haben, deswegen ging es jetzt darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. In einem redaktionsinternen Voting haben wir – nicht ganz frei von Diskussionen – unsere definitive Top 10 der besten Alben des Jahres für euch herausgefiltert. Zwischen brillanter elektronischer Musik, cleverem Hip Hop, energischem Rock und natürlich Musik, die sich von solchen Schubladen komplett frei gemacht hat, hatte 2015 einiges zu bieten. Also, lehnt euch zurück und genießt unsere Auslese des Plattenjahres. Oder tobt euch in der Kommentarleiste aus, ganz wie ihr euch nach dem Lesen fühlt.

10. Eagles Of Death Metal – Zipper Down

Es gibt keine Band, deren Name 2015 enger mit den politischen Geschehnissen in der Welt verknüpft war, als die Eagles Of Death Metal. Der Terroranschlag auf das Pariser Bataclan und den Auftritt der EODM haben die Spaßrocker um Jesse „The Devil“ Hughes und Josh Homme in den Mittelpunkt des medialen Interesses katapultiert. Eine Welle der Solidarität überschwemmte danach die Facebookseite der Eagles, die mit ihrem „Peace, Love, Fuck Terrorism“-Statement dort eindeutig Stellung bezogen. Mag sein, dass auch den ein oder anderen Testspiel-Redakteur diese Umstände dazu bewegt haben, das am 2. Oktober 2015 erschienene Album „Zipper Down“ auf einen der vorderen Plätze beim Entscheid um das Album des Jahres zu wählen.

Wie dem auch sei: Das Album ist einfach ein weiterer Feuerwerkskracher in der Geschichte des Freak-Rock. Oder, wie Josh Homme es formuliert: „Eine unabhängige Studie hat ergeben, dass vier von drei Ärzten bestätigen, dass ‚Zipper Down‘ für einen Ohrgasmus steht, der in einem Crazerbeam gefangen ist. Und ich vertraue ihnen da vollkommen.“ Auch bei ihrem vierten Album haben sich die Eagles also an die altbekannte Formel gehalten, mit viel Augenzwinkern und Referenzen auf alte Songs eine humoristische Persiflage auf den Rock ’n Roll-Ethos abzuliefern. Dabei kommen dann solche Textzeilen wie diese rum: „My socks and underwear I like to keep them clean, it’s so easy without complexity“ („Complexity“).

Aber auch ohne die Texte machen EODM mit „Zipper Down“ einfach gute Laune. Mit treibendem Beat und simplen, dafür eingängigen Melodien. Und wer danach immer noch nicht gut drauf ist, kann sich einfach den Video-Trailer zu „Zipper Down“ anschauen, in dem Josh Homme und Jesse Hughes über verschiedene PR-Strategien für das Album diskutieren. Darunter Ideen wie „a monkey to fuck an elephant at Burning Man“, ein Sex-Tape oder ein Bikini-Carwash. Und das mit den beiden in sekündlich wechselnden Kostümen. (Theresa)

09. Olli Schulz – Feelings aus der Asche

Fast hatte man vergessen, dass der Blödelbarde, wie Olli Schulz zu Unrecht von manchen Kritikern genannt wird, Musik macht und auch ernsthaft sein kann.  Mit „Feelings aus der Asche“ hat er sich nach drei Jahren Anfang des Jahres zurückgemeldet. Das zentrale Stück des Albums ist die Generation-Walkman-Hymne „Als Musik noch richtig groß war“. Der stark autobiographisch eingefärbte Song verrät viel darüber, wie Olli Schulz als Musiker zu verstehen ist, stellte Sebastian damals in seiner Kritik fest.

Auch live hat das neue Album funktioniert und Olli Schulz ist der Spagat zwischen alten, teils komischen Songs mit reduzierter Band, Stand-Up und den neuen Sachen mit ganzer Band geglückt, sogar auf dem Haldern Pop.  (Marc)

08. Fatoni & Dexter – Yo, Picasso

Fatoni und Dexter: Beide für sich genommen sind schon Namen, die man sich im Deutschrap-Kosmos sehr aufgeregt zuraunt; einfach, weil sie so wenig falsch machen. Es hätte also schon einiges zusammenkommen müssen, damit „Yo, Picasso“ enttäuscht hätte, und dieser Fall ist zum Glück nicht eingetreten. Daran haben tatsächlich gleichermaßen Rapper wie Produzent Anteil. Der eine überzeugt mit einem virtuosen Vortrag, den er vor allem durch Betonungen und Sprechweise sowie frei von Doubletime-Protzerei interessant gestaltet, der andere durch seine gewohnt stilsichere Produktion.

Bis auf wenige Ausnahmen bedient Dexter seinen typischen Stil, der sich aus Samples von Jazz und 70er-Rock speist, und bereitet damit den perfekten Teppich für Fatonis treffende Texte – das Herzstück der Platte. Egal ob Storytelling, verblümte Gesellschaftkritik oder Angriff auf alternde Rapper: Alles meistert Deutschraps Benjamin Button problemlos, ohne sich jemals für Humor oder Ernst entscheiden zu müssen. Sogar ein Feature von Deichkinds Kryptik Joe wird so platziert, dass es den harmonischen Kontext nicht stört. Das hat internationales Format, das funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Oder um es griffig mit den Worten von Kollege Miru zusammenzufassen: das „beste Deutschrapalbum des Jahres“. (Sebastian)

07. Tocotronic – „Das rote Album“

„Eines Morgens bist du in der Fremde aufgewacht, deine Hände zittern noch. Du hörst in dich hinein, doch das wird erst der Anfang sein…“. Mittlerweile wird sich auch der letzte, eingefleischte Fan von den wütenden, punkigen Zeiten der Tocos verabschiedet haben, denn auch das rote Album klingt, wie auch schon der Vorgänger, sehr poppig und glatt. Umso verwunderlicher ist es, dass diese poppige Ader den Ikonen der Hamburger Schule tatsächlich ganz gut steht und auch die Kritiker hören wieder darauf, was Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail mitzuteilen haben. Textlich sind die Stücke des neuen Albums selbstverständlich wieder, wie erwartet, auf einem (fast) unerreichbar hohen Niveau und tatsächlich harmoniert auf dem roten Album auch sonst eine ganze Menge perfekt miteinander. (Hendrik)

06. Hot Chip – Why Make Sense

Nach dreijähriger Abwesenheit, veröffentlicht das Quintett aus London das viel erwartete Album „Why Make Sense“ und präsentiert sich so vielseitig wie noch nie: Hier werden schamlos Electro, House und Soul gemischt. Und das mit einer Hochglanzpolitur, die sich klar von dem gewohnt schlurfigen Lo-Fi-Synthpop abhebt. Obwohl bei den Aufnahmen mit weniger Soundschichten gearbeitet wurde, als noch beim Vorgänger, ist der Ton erstaunlich voll, wodurch ein unmittelbares Hörerlebnis erzeugt wird, das an Live-Auftritte erinnert. Beim Arrangement war man aber trotzdem nicht geizig: Ob Geigen oder Vintage Synthesizer, spontane Rap-Einlagen von Gastmusikern oder weiblicher Power Soul – alles ist dabei. Während andere Bands mit den Jahren müde werden und sich auf altbewährtes berufen oder planlos versuchen Genregrenzen zu überschreiten, reifen Hot Chip wie ein richtig guter Rotwein. Vor 10 Jahren hatten sie mit „The Warning“ angekündigt, dass man sich besser nicht mit ihnen anlegen sollte („Hot Chip will be put you down, under the ground“) und spätestens jetzt sollten alle Electropopper verstehen, wie das gemeint war. Denn hier wird der Thron nicht nur angefordert, sondern besetzt. (Jonathan)

05. Florence + The Machine – How Big, How Blue, How Beautiful

Wie Florence Welch einem vom Cover ihres dritten Albums anschaut, da kann einem schon mal Angst und Bange werden. Es war dann zum Glück weniger der Schauer, der die Platte bestimmte, sondern vielmehr die Reduktion, die in der Komposition ebenfalls angelegt ist. Nach dem vollkommen übertriebenen Pomp auf dem Vorgänger „Ceremonials“ ist „How Big, How Blue, How Beautiful“ die nötige Besinnung auf das Wesentliche geworden. Klar, auch hier explodieren die Arrangements mal, aber wenn sie es denn tun wie am Ende des Titeltracks, ragen sie beeindruckend aus dem restlichen Material heraus.

Und noch ein wichtiges Element nahm das Cover vorweg: Noch mehr als zuvor steht Florence Welch selbst im Zentrum des Albums, gerade textlich. Es geht um gescheiterte Beziehungen und eigene Unzulänglichkeiten, die sie natürlich mit ordentlich, aber auch ordentlich dosiertem Pathos umsetzt. Als Sängerin muss sie nicht mehr in jeder Sekunde ans Limit gehen, was vor allem für den Zuhörer sehr angenehm ist. Somit ist „How Big, How Blue, How Beautiful“ zur nötigen Kurskorrektur einer Band geworden, die man schon auf bestem Weg in die selbstberauschte Irrelevanz abdriften sah. (Sebastian)

04. Courtney Barnett – Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit

Courtney Barnett klingt, wie das gelangweilte, übercoole Mädchen in amerikanischen Teenie-Filmen, welches durchgehend knallbunte Kaugummis kaut. Die gleichgültige und unaufgeregte Art, mit der sie in ihren Texten ganz alltägliche Probleme und Situationen anspricht, hat in diesem Jahr nicht nur einen Großteil der internationalen Musikpresse von den Socken gehauen, sondern auch uns. Musikalisch wandelt die Australierin irgendwo zwischen Folk, Grunge und Garagenrock, wobei sie zeitweilig stark an ihr großes Idol, Patti Smith, erinnert. Wirklich sehr schön, dass die Tochter einer Balletttänzerin sich gegen eine Tenniskarriere und für sonnengetränkte, geradlinige Musik entschieden hat. (Hendrik)

03. Love A – Jagd und Hund

Als „qualitativen Sprung nach vorne“ hat Sebastian Love As „Jagd und Hund“ in seiner Rezension Anfang des Jahres bezeichnet. Dass es die Band damit auf den dritten Platz unserer Top 10 katapultieren wird, hat damals wohl niemand vermutet. Die ebenso gewagte wie kluge Einbindung von poppigeren Elementen in ihre Songs, ohne die eigenen Punkwurzeln zu verleugnen, hat sich rückblickend als eindeutiges Erfolgsrezept für Love A erwiesen und die Platte zu einer der besten deutschsprachigen Veröffentlichungen 2015 gemacht. Denn klug ist nicht allein die musikalische Weiterentwicklung von Love A, auch Sänger Jörkk Mechenbier bewegt sich in seinen Texten auf hohem Niveau, in denen er smart die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit verarbeitet, ohne sich in anprangernden Punk-Parolen zu verlieren. (Malte)

02. Bilderbuch – Schick Schock

In seltener Einigkeit stand zu Beginn des Jahres die Testspiel-Redaktion in Flammen, als sich das Rezensionsexemplar zu „Schick Schock“ ankündigte. Die an klassischen Rock erinnernden Soli, die dem Funk entliehenen Grooves, die Hip Hop Beats und natürlich die sexy Weirdness, die nicht zuletzt Sänger Maurice Ernst in das Soundgemisch bringt, ließen gespannt darauf warten, ob sich das Ganze auch auf Albumlänge strecken lässt. Als Antwort gab „Schick Schock“ ein klares Ja, in das große Teile der hiesigen Redaktion freudig einstimmte.

Und auch am anderen Ende des Jahres haben Bilderbuch nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Die Schulhof-Coolness von „Spliff“, die verspulte Kraft von „OM“, die überzeichnete Erotik von „Schick Schock“ oder die wimmernde Sehnsucht aus „Gibraltar“, all dies geht auf der Platte so locker mit bekannten Hits wie „Maschin“ zusammen, dass man die Konkurrenz gerne in den Arm nehmen würde. Tut uns ja auch leid, Leute, aber an der ehemaligen Indierock-Band kam in diesem Jahr in Sachen Kreativität keiner so leicht vorbei. (Sebastian)

01. Jamie xx – In Colour

Okay, hier sind wir jetzt ja unter uns, da kann ich es ja sagen: So gut die bisherigen Alben auch waren, Jamie xx hat sie bei unserem Voting weit hinter sich gelassen. Doch nicht nur innerhalb der Testspiel-Redaktion, auch weltweit ist „In Colour“ eines der absoluten Konsensalben des Jahres. Man muss jetzt hier nicht groß orakeln, woran das liegt: Die Platte ist a) verdammt gut und b) verdammt vielseitig.

Du stehst auf Pop? Jamie xx hat sich die beiden Vokalisten Popcaan und Young Thug geschnappt, das Ergebnis ist ein unwiderstehlicher, maximal wenig ekelhafter Gute-Laune-Hit. Du stehst auf abgedunkelte Räume und die sinistre Stimmung, die sich beim Hören von The xx ausbreitet? Kollege Oliver Sim schaut bei „Stranger In A Room“ vorbei und schlägt die Brücke zu Jamies Hauptband. Elektro ist eher dein Ding? Na, da fängt der Spaß ja erst richtig an!

Das monumentale „Gosh“ funktioniert da als perfektes, epochales wie verschachteltes Portal, das den Hörer einlässt in ein unheimlich breites Spektrum an Einflüssen und Schattierungen von populärer Musik. Wer hätte gedacht, dass dieser bleiche, schüchterne Nerd aus Großbritannien in der Lage ist, solche Musik zu fabrizieren? Wir waren erstaunt und freuen uns immer noch über dieses hervorragende, vielseitige und dennoch perfekt durchkomponierte Album. (Sebastian)

Illustration: Ohelli