Johan Simons, der neue Intendant am Bochumer Schauspielhaus, schießt zur Spielzeiteröffnung einige nicht ignorierbare Signalraketen ab, die weit über die Stadt hinaus leuchten. Mit dabei: Eine Penthesilae-Inszenierung mit Sandra Hüller („Toni Erdmann“), eine stets kostenfrei begehbare Installation aus dichtem Nebel in der ehemals kleinsten Spielstätte des Hauses und die Einstürzenden Neubauten mit ihren „Greatest Hits“.
Es wäre ein Leichtes, ausladend über das Konzert der Neubauten zu berichten. Darüber wie überraschend konzeptuell und songorientiert die Show gehalten ist. Wie sich eine nahezu infantile Neugierde vor jedem Titel beim Zuschauer entfaltet, wenn Stagehands wieder neue mikrofonierte Gegenstände aus der Tiefbaubranche auf der Bühne abstellen.
Man könnte sich darüber auslassen, wie richtig oder falsch verortet Einstürzende Neubauten im Theater sind. Sich fragen, wo denn sonst eine Live-Interpretation von „Silence Is Sexy“, das in Phasen allein aus dem Sound gelegentlicher Zigarrettenzügen Blixa Bargelds besteht, funktionieren sollte. Und man könnte darüber debattieren, ob sich die Wirkung vom harten Industrial-Sound erst voll im Spiel mit den ruhigen, ja zarten und poetischen Momenten der einstigen Avantgardisten erschließt.
Sicher könnte man in dieser Besprechung auch kritisch auf die Entwicklung von Underground-Bands eingehen und leicht beleidigt anmerken, dass es zu bedauern sei, dass aus ihren Flirts mit den Theaterbühnen, etwas Ernstes geworden ist. Und es würde nicht viel Mühe kosten, die Neubauten in diesem Punkt zu verteidigen, weil sich das performative Potential einer an einem hohen Stativ befestigten, mit Eisenstäben gefüllten Wanne, die sich langsam nach unten neigt und dabei entleert, auf der Theaterbühne bedeutend stärker erschließt, als es bei Rock am Ring je der Fall sein könnte.
Ich will aber eben nicht weit ausholen, sondern mir mit dieser Besprechung im Sinne der heutigen Einstürzenden Neubauten ein Beispiel an der konsequenten Reduktion, dem Willen das wirklich Essentielle herauszukehren, nehmen. Denn es ist diese Präzision, die die Ästhetik ihrer gegenwärtigen Auftritte bestimmt. Niemand liegt mehr im Staub herum und malträtiert dramatisch mit dem Schlagbohrer rohe Betonplatten. Alle Vorgänge, sei es das perkussive Nutzen von Abflussrohren, ein sanftes Rieseln von Herbstlaub oder die singenden Klänge, die durch Reibung an einem laufenden Motorriemen erzeugt werden, dienen allein dem Sound – nicht der pathetischen Geste. All diese eigentümlichen, aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissenen Objekte wandeln sich zu autonomen, fast ehrwürdigen Instrumenten – das ganze Neubauten-Programm: Eine gigantische und dabei besonnen in Szene gesetzte Installation.
Es soll lediglich ein einzelnes Wort sein, das Konzert am Bochumer Schauspielhaus zu beschreiben. Nicht Anarchie, nicht Exaltiertheit, nicht Kontroverse, nicht Lärm, Hölle, Dunkelheit oder Aggressionen. Der sich aufdrängende Begriff, der ins Mark trifft und das alles zusammenhalte Element ihres gegenwärtigen Bühnenschaffens darstellt, ist: Eleganz. Schlichte Eleganz. Man könnte auch behaupten, dass die Neubauten es geschafft haben, raffiniert und stilvoll das Dreckige und Grelle ihrer einst revolutionären Industrial-Klänge zu transformieren und in anderer Gestalt in die Gegenwart zu überführen – sie ihr Sujet jetzt also wiederum in einen weiteren neuen Kontext rücken. Aber das wäre etwas üppig und auch ziemlich geschwollen formuliert. Es bleibt also bei nur bei dem einen Begriff: Eleganz! Sie stellt heute die tragende Mittelsäule ihrer Klangwerkstatt dar.