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Gelesen: Chrissie Hynde – Reckless

Eher unbefangen und ohne große Erwartungen habe ich zu „Reckless“, der Autobiographie der Pretenders Frontfrau Chrissie Hynde gegriffen. Denn ich muss zugeben, dass ich mich mit ihrem musikalischen Werk zuvor so gut wie nicht beschäftigt habe, auch wenn ihre Platten, vor allem das schwer gelobte Debütalbum, in diversen Bestenlisten wichtiger Musikmagazine auftauchen. Hyndes Buch ist nicht die erste Musiker-Biographie, die ich gelesen habe, obwohl ich zur Musik kaum Bezug habe. Oft interessiert mich dann die Person an sich oder die Zeit und Orte an denen sie gelebt hat. Bei der Amerikanerin Hynde weckten vor allem ihre engen Kontakte zur britischen Punkszene der 70er und Bands wie den Sex Pistols und The Clash das Interesse. Vorab sei gesagt, dass Hyndes „Reckless“ nur bis 1983 reicht und sie sich damit auf den 400 Seiten auf die „interessanten“ Jahre ihrer Biographie fokussiert. Während sich die erste Hälfte des Buchs im Wesentlichen ihrer Kindheit, Jugend und ihrem Leben in den USA widmet, geht es in der zweiten Hälfte vor allem um die Zeit in Europa, vornehmlich London. Nur ein knappes Viertel des Buchs ist den Pretenders gewidmet.

Chrissie Hynde, geboren 1951, wächst in Akron im Bundesstaat Ohio auf. Die Stadt ist damals vornehmlich bekannt für ihre Autoreifenindustrie. In ihrer Jugend erlebt Hynde wie in ihrer Heimatstadt, ähnlich wie in anderen Städten in den USA, die belebten Innenstädte immer mehr verschwinden und das zunehmend motorisierte Amerika den Städtebau dem Auto unterordnet. Ein Grund für das langweilige Suburbia, das uns auch immer wieder in Filmen begegnet. Während Hyndes Eltern streng darauf achten möglichst angepasst zu leben, entfremdet sich die Tochter zunehmend, lässt sich vom Hippietum anstecken und entdeckt ihre Liebe zur Musik, Bands und Drogen. Hynde schreibt sich am College ein und merkt schnell, dass das nichts für sie ist. Einen alternativen Plan gibt es jedoch nicht.

Hynde besucht die Kent State University und wird Zeugin der Kent State Shootings vom 4. Mai 1970. Im Rahmen einer Anti-Vietnamkrieg-Demostration eröffnet die Nationalgarde das Feuer und tötet vier der demonstrierenden Studenten. Im Anschluss reist Hynde zunächst nach Kanada und später nach Mexiko. In ihrer Perspektivitätslosigkeit gerät sie zunehmend an immer miesere Typen, darunter eine Biker Gang aus Cleveland für die sexuelle Gewalt gegen Frauen zum Alltag gehört. Als Leser spürt man tatsächlich Erleichterung als Hynde sich endlich in Flugzeug setzt, um nach London zu fliegen, um regelrecht zu flüchten.

In London angekommen lernt Chrissie Hynde schnell die Protagonisten der wachsenden Punkszene kennen, arbeitet in Vivienne Westwoods und Malcom McLarens Boutique SEX, hängt mit den Sex Pistols, The Clash und Lemmy ab. Eher zufällig landet sie beim NME und schreibt eine zeitlang Artikel und Plattenkritiken ohne jegliches Talent dafür zu besitzen. Zunehmend wächst in ihr der Wunsch eine eigene Band zu formen, was zunächst recht erfolglos bleibt. Nachdem Hynde für kurze Zeit in die USA zurückkehrt, gelingt es ihr bei ihrem zweiten Anlauf in England die passenden Mitstreiter für die Pretenders zu finden und die erste Platte einzuspielen. Der anschließende Touralltag ist geprägt durch Drogen, Alkohol und Streitereien. Zwar gelingt es der Band eine zweite Platte einzuspielen, aber die Unstimmigkeiten zwischen den Bandmitgliedern werden zunehmend größer. Innerhalb eines Jahres sterben Gitarrist Jimmy Honeymoon-Scott und Bassist Pete Farndon an Überdosen.

Mit „Reckless“ blickt Chrissie Hynde auf eine bewegte Zeit zurück und sorgt mit ihrer schonungslosen Ehrlichkeit stellenweise für enorme Beklemmung jedoch auch immer wieder für humorvolle Momente. Nach all den Jahren im ständigen Rausch ist es fast erstaunlich an wie viele kleine Details sich die Autoren noch erinnert. Daher ist das Buch eine klare Empfehlung für alle die mehr über Londons wilde Punkjahre wissen möchten. „Reckless“ ist eine intensive Lektüre über ein außergewöhnliches Leben auf zwei Kontinenten.

„Reckless – Mein Leben“ von Chrissie Hynde ist Ende 2015 bei Heyne Hardcore erschienen.