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Heilung statt Wut – Swain im Interview

Swain by Martina Trovato

Swain sind nicht mehr wütend. Mit einer Mischung aus Grunge, Hardcore und Punk – und gegen diese Kategorisierung wird sich die Band im Interview noch wehren – drücken sie ihre Missgunst gegen eigene Unsicherheiten und Fehlschläge im Leben mit voller Kraft schrammelig und brüllend aus. Während ihre Musik bestimmt ist von einem alles zerstören wollenden Sound, der zuweilen auch melancholisch wird, hat mir die Band in einem Interview vor ihrer Show in der Roten Flora in Hamburg erzählt wie sich ihre Musik und ihr Selbstverständnis seit ihrem letzten Album weiter entwickelt haben. „The Long Dark Blue“ aber auch ihre EP „Heavy Dancing“ gehören zu den von mir am meistgehörten Alben und ich war neugierig darauf die Band kennen zu lernen. Also habe ich mich mit Noam, Boy und Boris zusammen gesetzt und unter anderem über ihr 2019, voraussichtlich im Mai, erscheinendes neues, bis dato noch unbenanntes, Album gesprochen.

Ihr seid vor vier Jahren aus eurer Heimat Holland nach Berlin gezogen…
Noam: Ja. Ungefähr vor vier Jahren.

Fühlt ihr euch dort zu Hause?
Noam: Ich schon. Boy ist allerdings gerade wieder nach UK gezogen. Du kommst vielleicht zurück oder?
Boy: Das weiß ich selbst noch nicht.
Noam: Es ist ganz nett. Es hat mich allerdings zwei Jahre gebraucht, um wirklich anzukommen. Berlin ist sehr individualistisch und isoliert. Mittlerweile bin ich aber glücklich dort.

Das hört man ja häufig über Berlin.
Noam: Ja, die Menschen dort sind sehr entrückt von intimen Beziehungen. Zumindest aus meiner Sicht gibt es dort einige, die sich nicht auf tiefgehende Freundschaften einlassen und von Beziehung zu Beziehung weiterziehen. Aber ich habe mir mittlerweile etwas aufgebaut.

Hat die Stadt irgendeinen Einfluss auf euren Stil?
Noam: Nicht im geringsten (lacht). Berlin ist toll für Techno, aber das machen wir nicht.

Eine Freundin, die in Holland lebt, erzählte mir von einer populären Süßspeise bei euch: Vlad. Vermisst ihr solche Dinge?
Noam: Ja schon. Aber Vlad ist ein Puddingpulver und wir sind Veganer. Es gibt aber auch ein veganes, das sehr gut ist. Ich bin damit aufgewachsen, aber ich vermisse es nicht unbedingt. Wir spielen morgen allerdings morgen eine Show in Amsterdam, dann werde ich welches besorgen.
Boy: Ich glaube, ich habe es seit ich 12 war gegessen, deswegen gehört es zu meiner Jugend.
Noam: Man isst es eigentlich nicht mehr als Erwachsener.
Boris: „No judgement!“ (alle lachen)

Kommen wir zur Musik. Würdet ihr euch eine politische Band nennen?
Noam: Nicht wirklich. Wir alle haben starke Meinungen, aber unsere Texte fokussieren sich auf persönliche Themen. Wobei in vielerlei Hinsicht persönliche Themen auch politisch sind. Wir wollen aber niemandem sagen, was er zu tun hat. Außerdem sind unsere politischen Ansichten nicht in einfache Kategorien einzuordnen. Selbst wenn wir wollten, könnten wir uns vermutlich nicht einigen worüber wir in einem Song schreiben würden.
Boy: Wir sind dennoch politisch bewusst.

Eure Songs thematisieren häufig menschliches Miteinander.
Noam: Und das Selbst. Zum Beispiel „The Long Dark Blue“ ist ein besonders depressives Album. Wie der Name schon sagt. Beim neuen Album wird es um Heilung gehen.

Ihr verarbeitet Aspekte aus der Kindheit, Trennungen… Wie macht ihr sowas? Darüber sprechen, mit Musik, Selbstheilung?
Noam: Yeah. Ich denke aber, solche Dinge sind trivial im Vergleich zum großen Ganzen. Auf „The Long Dark Blue“ ging es weniger um individuelle Probleme als ein generelles Unwohlsein zu leben und in dieser Welt zu sein, weil Du merkst, dass sie so gestrickt ist, dass Du dort nicht hingehörst. Du hast all diese Probleme und Themen und versuchst irgendwie deinen Platz zu finden.
Boy: Das sind Symptome der größeren Fragen.
Noam: Eine Trennung kann zum Beispiel ein Resultat daraus sein, dass Du deine Gefühle nicht richtig formulieren kannst. Weil Du ein Chaos bist. Wie wir uns ausdrücken musikalisch, lyrisch, klanglich und auch auf der Bühne, darüber reden wir sehr offen.

Das neue Album ist also ein Ergebnis persönlicher Weiterentwicklung?
Noam: Ja sehr. Wir reflektieren zwei verschiedene Aspekte: Wie wir uns als Band entwickelt haben. Nicht nur musikalisch, sondern auch im Miteinander. Auf eine gesündere, nachhaltigere Art, weil wir das noch für eine Weile machen wollen. Aber auch in unseren persönlichen Leben. Wie wir versuchen gesund zu werden? Ich weiß nicht… ich würde nicht unbedingt glücklich sagen, aber wie man sich nicht mehr ganz so wichtig nimmt. Es ist schwierig zu erklären.

Auf dem neuen Album arbeitet ihr wieder mit dem gleichen Produzenten J. Robbins. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Noam: Wir haben im eine E-Mail geschrieben und gefragt, ob er unser Album aufnehmen möchte und er sagte: „Hey ja, klingt gut.“ Und dann haben wir geskyped.
Boy: Ein Freund von uns, hat uns seine E-Mailadresse gegeben.
Noam: Es ist cool mit ihm. Er ist sehr talentiert und gechillt. Genau die richtige Person für uns und irgendwie Teil der Band.

Was bedeutet euch Punkrock? Ist es ein Musikgenre, ein Lifestyle..?
Noam: Wir sind damit aufgewachsen. Wir mögen den Ansatz einfach Musik machen zu können, wenn man Bock drauf hat. Man fragt seine Freunde, ob sie zum Konzert an diesem einen Ort kommen und die fragen dann noch welche. Dann kennt man irgendwelche Leute aus Italien, also fährt man nach Italien und spielt „shitty shows“ und diese Leute wiederum kommen dann nach Holland. Irgendwie funktioniert das. Auch, wenn du scheiße bist, hast Du eine großartige Zeit. Das ist Punk. Und da ist es auch egal, was für Musik Du machst. Wir verändern uns gerade sehr und wissen nicht, was für ein Genre wir sind. Es ist uns auch egal. Aber die Art wie wir vorgehen, ist Punkrock.
Boy: Ich meine, wir werden gerade immer gesünder und professioneller.
Boris: Wir haben schon immer versucht unser eigenes Ding zu machen.
Noam: Man kann uns in verschiedene Schubladen packen. Grunge, Hardcore… Ich möchte aber, dass Leute mal sagen „Das ist ein Swain Album“.

Was denkt ihr über Vergleiche mit Nirvana, mit denen ihr sehr oft verglichen werdet?
Noam: Ich denke, Leute, die das machen, haben nicht wirklich verstanden, was in den 90ern los war. Meiner Meinung nach klingen wir mehr wie Failure oder Weezer auf „The Long Dark Blue“. Ich verstehe es vom Intensitäts-Standpunkt aus, aber es ist einfach uns mit Nirvana zu vergleichen.
Boy: Wir haben auch Nirvana-Cover gespielt. Der Einfluss ist offensichtlich, aber es ist ein sehr einfacher Vergleich.

Ich mag persönlich viele eurer Lieder wie „Kiss Me Hard“, „Shiver“, „Varweel“…
Noam: Oh, viele alte Sachen!

Ja. Aber mit welchem würdet ihr selbst gerne am ehesten assoziiert werden?
Noam: Ehrlich? Die Sachen, die wir gerade schreiben. Keine der älteren Sachen. Außer vielleicht „Strange Way Down“, den liebe ich. Und ich mag noch „Never Clean My Room“.
Boy: Es gibt definitiv Lieder, die sich für mich besser anfühlen zu spielen. Aber die sind mittlerweile alle so alt, das wir darüber hinaus sind. Es ist vier oder fünf Jahre her und wir assoziieren uns selbst nicht mehr damit. Wir fokussieren uns gerade auf die neuen Sachen.
Noam: Man fängt einen Moment ein. Das ist es. Wenn wir alte Lieder spielen, holen wir die Vergangenheit hervor. Wir fokussieren uns gerade aufs Weiterkommen, deswegen ändert sich unser Sound auch die ganze Zeit und das wird auch so bleiben.

Ich habe euch vor gut einem Jahr schon hier in der Flora spielen sehen und mochte eure energievolle Spielweise. Man merkt, dass ihr Spaß am Spielen habt. Das ist ja teilweise ein Kontrast zu dem doch sehr ernsten Publikum bei Hardcore-Shows. Wie würdet ihr eure Attitüde beschreiben?
Noam: Wir waren auch mal sehr ernst und haben uns als Band sehr ernst genommen. Wenn etwas nicht funktioniert hat, zu wenig Leute auf Shows waren, hat uns das sehr mitgenommen. Das hat dann auch zu Konflikten innerhalb der Band geführt. Jetzt nehmen wir es immer noch ernst, aber auf eine professionelle Art. Wir sind mittlerweile lässiger geworden, vieles ist egal geworden solange wir Spaß haben. Bezüglich dieser ernsten Hardcore-Kids: Das Leben ist eh super ernst.
(Boris lacht)
Noam: Das klingt dumm. Unsere Texte klingen depressiv, aber ich möchte das nicht nochmal durchleben. Das habe ich einmal.
Boy: Wir haben gelernt Spaß zu haben. Es ist kathartisch. Wir haben gelernt, glücklich darüber zu sein hier zu sein. Natürlich ist etwas scheiße, wenn es scheiße ist.
Noam: Ich meine, ich bin 29. Ich habe keine Zeit ewig ernst zu sein. Ich war 15 Jahre lang wütend, habe geschrien auf der Bühne, war die ganze Zeit angepisst. Aber ich bin mittlerweile weitergekommen, möchte mich gut fühlen und arbeite an mir selbst.

Wie ist es zu dieser Veränderung gekommen?
Boy: Wir haben viel geredet.
Noam: Es war ein langsamer Prozess. „The Long Dark Blue“ hat uns auf ein neues Level als eine Band gehoben. Professioneller. Wir schlafen mittlerweile ab und zu in Hotels und das macht natürlich einiges angenehmer. Umso anstrenger eine Tour ist, umso mehr steigt der Stresspegel und man nimmt alles ernster. Es ist eine Kombination aus innerer Entwicklung und äußerem Komfort. Es ist schwierig zu erklären woher die Veränderung kam.

In Anlehnung an das Cover zu „The Long Dark Blue“ – gibt es neue Tattoopläne?
Noam: Dieses Mal machen wir es anders. Wenn die Leute es erwarten, machen wir es erst recht anders. Das nächste Mal machen wir es vielleicht auf einem Schwanz.
Boy: Wir halten uns nicht an Formeln.

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