Elfen, Vulkane, Verstärkerboxen – Jeden Herbst wird Island für ein paar Tage zur Hochburg der zeitgenössischen Musik-Landschaft. Auf dem Iceland Airwaves Festival spielen jedes Jahr hunderte Acts aus der ganzen Welt. Hierfür werden Plattenläden, Kneipen, Kirchen und Hotels zu Festival-Venues und aus (fast) jedem Haus in der Innenstadt von Reykjavik dröhnt den ganzen Tag Musik. Ich bin dieses Jahr zum ersten Mal auf dem Airwaves Festival und werde die nächsten Tage über ein kleines Tagebuch führen. Fara til Islands!
12:35 – Flughafen Frankfurt
Ich sitze am Gate und warte darauf, endlich in den Flieger einsteigen zu können, welcher mich den Indie-Hypes der kommenden Monate näher bringt. Das Warten am Gate wäre nicht sonderlich erwähnenswert, würde nicht Father John Misty neben mir sitzen und desinteressiert durch die aktuelle Ausgabe der ELLE blättern. Heimlich schieße ich ein Foto des ehemaligen Sängers der Fleet Foxes und schicke es an meinen gesamten Bekanntenkreis. Die Resonanz darauf ist erschreckend niedrig.
13:57 – Über den Wolken
Der ganze Flug steht im Zeichen des Festival. An Bord läuft eine eigens kuratierte Iceland Airwaves-Playlist, im In-Flight Entertainment laufen Dokus über Björk und die Flugbegleiter verteilen Zeitpläne und Karten, auf denen alle Clubs verzeichnet sind.
16:45 – Flughafen Keflavik
Ist das jetzt die Empfangshalle eines Flughafens, oder doch der Backstage-Bereich eines Clubs? Ein wildes Mischmasch aus bunten, beklebten Koffern, Gitarren-Cases und verkaterten Musikern mit Vollbart und Wollmütze bestimmt die Szenerie. Ich bin entzückt.
18:30 – Iceland Airwaves Media Center
Jetzt kann es tatsächlich losgehen. Ein neues Bändchen schmückt mein linkes Handgelenk und netterweise schenkt das Festival jedem Besucher aus der Musik-Industrie einen Jutebeutel mit kleinen, isländischen Mitbringseln.
18:31 – Iceland Airwaves Media Center
Oh, in dem Jutebeutel befindet sich auch eine Dose Bier…
18:32 – Iceland Airwaves Media Center
Oh, in dem Jutebeutel befindet sich auch ein kleiner Schnaps…
19:35 – The Laundromat Cafe
Meine beiden dänischen Begleiter versichern mir, dass es sich bei diesem Cafe um den besten Burger-Laden der Stadt handelt. Ich bestelle einen „Vegan Schidse“. Eine englischsprachige Karte gibt es nicht.
19:55 – The Laundromat Cafe
Aha, „Vegan Schidse“ steht für ein Roggenbrötchen mit Avocado und eine Portion Pommes mit Ketchup. Ich fange an, diese Sprache zu verstehen.
20:15 – Reykjavik Innenstadt
Vielleicht habe ich meine neu erworbenen Sprachkenntnisse überschätzt. Straßennamen überfordern mich gnadenlos.
20:35 – Harpa
In dem isländischen Pendant zur Elbphilharmonie verbringe ich einen Großteil meines Abends. Drei verschiedene Konzerthallen, Souvenir-Shops und Cafes werden während des Festival in dem gigantischen Klotz aus Beton und Glas bespielt. Im Gegensatz zur Elbphilharmonie kann Harpa nämlich schon genutzt werden.
21:45 – Harpa
Einer meiner dänischen Begleitpersonen, welcher für einen großen, dänischen Radiosender arbeitet, empfiehlt uns das Konzert von Junius Meyvant. Tatsächlich sorgt der symphatische Isländer, der auch schon auf dem Eurosonic überzeugt hat, bei seinem Heimspiel für mein persönliches Tages-Highlight. Seine soulige Stimme klingt nach Kaminfeuer, langen Spaziergängen und ein wenig auch nach Elfen-Sagen. Naja, das mit den Elfen kann auch daran liegen, dass Junius Meyvant ein großer, bärtiger Isländer ist, der in jeder Terry Pratchett-Verfilmung die Hauptrolle sicher haben könnte.
22:20 – Harpa
Ziemlich clever, dass ich mir zu Junius Meyvant Notizen gemacht habe, denn jetzt steht schon wieder ein bärtiger Isländer auf der Bühne und zupft an den Saiten seiner Gitarre. Ich frage meine Begleiter, ob das der Zwillingsbruder von Junius ist. Sie verstehen meinen Witz nicht und hinter ihren buschigen Augenbrauen erkenne ich pure Ratlosigkeit. Das mag vielleicht daran liegen, dass die beiden Dänen auch Vollbart tragen und optisch als skandinavische Songwriter durchgehen könnten.
23:40 – NASA
Im NASA steht eine isländische Rap-Kombo auf der Bühne. Das ziemlich junge Publikum dreht in den vorderen Reihen kollektiv durch, während sich die ausländischen Gäste in den hinteren Reihen nichts sehnlicher wünschen, als Untertitel. Es scheint nicht um „Vegan Schidse“ zu gehen, also bin auch ich mit meinem isländisch am Ende.
00:20 – NASA
Die Headliner des Abends betreten die Bühne. Nach vier Jahren kehren Retro Stefson zum ersten Mal in ihre Heimatstadt zurück und bringen mit ihrem Gute-Laune-Indie den Club zum Beben. Ihre Performance ist absolut energiegeladen, darunter leidet jedoch die Musik. Ein Drittel der Bühnenzeit verbringt Sänger Unnsteinn Manuel Stefánsson damit, dem Publikum mitzuteilen, dass es jetzt unbedingt noch höher springen sollte, als beim letzten Song.
01:10 – Laugavegur
Ich mache mich auf den Weg zurück zu meinem Hotel und durchquere dabei die Laugavegur. Hierbei handelt es sich um die Haupteinkaufsstraße der Stadt, in der sich auch ein Großteil der teilnehmenden Clubs und Kneipen befinden. Neben mir versucht eine Gruppe betrunkener Asiaten ihrem Freund dabei zu helfen, sich eine Zigarette anzuzünden. Ein paar Sekunden überlege ich, ob ich ihnen sagen sollte, dass er die Zigarette falsch herum im Mund hat. Ich entscheide mich dagegen.
01:15 – Laugavegur
In der Laugavegur gibt es zwei Mini-Supermärkte, die 24 Stunden geöffnet haben. Ziemlich interessant ist hierbei jedoch die Produktvielfalt. Es gibt Dosenbier, Chips, abgepackte Sandwiches und Aspirin. Das nennt man Zielgruppenoptimierung, oder?
Morgen geht es weiter mit dem zweiten Tag vom Iceland Airwaves, an dem ich auch ein kleines DJ-Set in einer Bar spielen werde. Achja, meine Tracks dafür muss ich auch noch zusammenstellen…