Weiter geht es auf dem Iceland Airwaves Festival in Reykjavik…
12:45 – Harpa
Seit Mittwoch befinde ich mich in Reykjavik und ich kann stolz behaupten, dass ich mittlerweile fast flächendeckendes WLAN in der Innenstadt habe. Es scheint fast so, als gehöre WLAN, neben Kaffee und Bier, zu den wichtigsten Bestandteilen zum Überleben auf diesem Festival. Ohne Internetverbindung wäre man schon auf den Wegen zwischen den Konzerthallen aufgeschmissen, wie Alice im Wunderland. Zudem könnte man nicht alle fünf Minuten googlen, ob der Wechselkurs für isländische Kronen wirklich so schlecht ist.
14:37 – Irgendwo im Nirgendwo
A propos „Schlechter Wechselkurs“: Was auf Island wirklich preiswert ist, sind Mietwagen. Auch ich habe mir für 24 Stunden ein kleines Auto gemietet, um zwischen Konzerten und Supermarkt-Sandwiches ein wenig die Umgebung zu erkunden. Momentan befinde ich mich tatsächlich irgendwo im Nirgendwo. Rechts von mir liegt ein großer See mit einer kleinen, weißen Kirche am Ufer. Zu meiner linken erstreckt sich eine schier endlos lange Wüstenlandschaft aus schwarzen Lava-Brocken und moosigem Gestrüpp. In der Ferne kann man eine Gebirgskette erkennen. Ich habe versucht, die Landschaft auf einem Foto einzufangen, habe aber schnell erkannt, dass es sich hierbei um ein unmögliches Unterfangen handelt. Dieses Urteil würde ich nicht ausschließlich auf meine fehlenden Fähigkeiten als Handyfotograf zurückführen, sondern auch darauf, dass diese Aussicht auf einen durchschnittlichen Mitteleuropäer einfach einschüchternd und überwältigend gleichzeitig wirkt. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, habe aber das Gefühl, den Begriff „Freiheit“ noch nie so deutlich vor meinem inneren Auge gesehen zu haben. Das ist gerade einfach ziemlich geil. Darf man das so schreiben? Keine Ahnung, aber ein passenderes Wort befindet sich nicht in meinem Wortschatz.
19:43 – Skolavördustigur
Es ist Anfang November und ich bin gerade in kompletter Weihnachtslaune. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft ist es schweinekalt, aber das macht nichts, denn hinter den Fenstern der kleinen, bunten Holzhäuser brennen dutzende Kerzen und die schmalen Straßen werden von Lichterketten in den Baumkronen beleuchtet, anstatt von herkömmlichen Straßenlaternen. Aus der Vielzahl von Cafés dringt leise Gitarrenmusik, die von dem unregelmäßigen Klimpern von Kleingeld untermalt wird. Dieser Moment könnte wirklich für immer andauern. Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Kinderchor, der an einer Straßenecke Weihnachtslieder vorträgt, aber der Abend ist ja noch jung…
19:52 – Medin
Hendrik, das ist nicht dein Ernst, oder? Du kannst nicht zu einem Festival mit über 200 Konzerten fahren und dir jeden Tag mindestens einmal dj flugvel ob geimskip anhören. Das geht so echt nicht weiter…
20:00 – Frikirkjan
Um meine innere Harmonie und Glückseligkeit aufrecht zu erhalten, beginne ich meinen Abend in einer Kirche. Ok, zwar spielt hier gleich eine britische Band, aber es handelt sich dennoch um eine Kirche. Über Holly Macve aus UK weiß man noch nicht wirklich viel. Eigentlich nichts. Außer dem Upload einer Schlafzimmer-Aufnahme bei Soundcloud hielt sich die junge Künstlerin bisher in den Schatten des Internet verborgen. Da es aber dennoch für einen Plattenvertrag bei Bella Union und den kompletten Tour-Support für John Grant gereicht hat, kann ihre Musik so schlecht nicht sein…
20:10 – Frikirkjan
Steht hier gerade Lana Del Rey mit einer blonden Perücke und einer Gitarre in einer kleinen Kirche und spielt unfassbar traurige Liebeslieder? Holly Macve klingt der amerikanischen Hipster-Ikone zum Verwechseln ähnlich, nur ohne „Summertime-Traurigkeit-Palmen-Glitzer-Instagram“-Getue. In mir hat sie gerade einen neuen Fan gewonnen, aber ich glaube, dass ich niemanden von ihr erzähle, damit sie bitte nie groß und zu bekannt wird, wie ihr amerikanischer Stimmband-Zwilling.
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21:35 – Reykjavik Art Museum
In einem riesigen Ausstellungsraum, der einem Flugzeughangar ähnelt, spielen an diesem Abend Young Karin und Lapsley, zwei Bands, die mir mehrfach empfohlen wurden. Zudem kann man hier an der Bar Weihnachtsbier bestellen. Ich frage die Bardame, worum es sich bei Weihnachtsbier denn handelt und erhalte folgende Antwort: „Die Dose ist rot, etwas größer und das Ganze kostet dann 0,50€ mehr, als das normale Bier.“ Na dann. Ein Weihnachtsbier, bitte.
23:45 – Nasa
In ein paar Minuten wird East India Youth die Bühne betreten, einer der Künstler, auf den ich mich im Vorwege am meisten gefreut habe. Für seine Show habe ich tatsächlich eine Investition getätigt und mir im Supermarkt, für 9€, zwei Dosen Bier besorgt. Auf eine Ratenzahlung wollten sich die Kassierer nicht einlassen. Werde ich mich jetzt auch noch trauen, die Dosen an den beiden, riesigen Türstehern vorbeizuschmuggeln, obwohl sie mich schon seit ein paar Minuten grimmig anstarren?
23:47 – Nasa
Ja, werde ich. Verdammt, ich bin ein richtiger Rebel Boy.
23:53 – Nasa
Der ehemalige Gewinner des Mercury Award betritt die Bühne und verliert sich innerhalb weniger Minuten in einem wilden Zusammenspiel aus elektronischen Beats, Pad-Sounds, Vocals, seinem Bass und Synthie-Sounds. Es ist bemerkenswert, wie der Alleinunterhalter das Publikum mit seiner energetischen Performance zum Schweigen bringt und gleichzeitig auf der Bühne komplett ausrastet.
00:50 – Harpa
Die amerikanischen Loop-Künstler von BATTLES galten im Vorwege zu den geheimen Headlinern des Festivals. Diese Einschätzung verstehe ich nicht, um ehrlich zu sein. Dieser minutenlange Aufbau eines Tracks geht mir ziemlich auf den Senkel, um ehrlich zu sein. Und dafür habe ich jetzt tatsächlich 20 Minuten angestanden?!
01:30 – Laugavegur
Auf dem Heimweg hole ich mir noch eine Waffel und ein Weihnachtsbier. Hach, ist die Vor-Vorweihnachtszeit nicht herrlich?
Morgen bricht mein letzter Tag auf der Insel an und neben einem Ausflug in die Berge stehen auch die finalen Shows des Festivals auf dem Plan.