StartInterviewsIm Interview: Digitalism. "Das Melodische ging uns auf den Sack"

Im Interview: Digitalism. „Das Melodische ging uns auf den Sack“

Digitalism werden dieses Jahr zum ersten Mal seit Langem wieder einmal live in Deutschland zu erleben sein: Auf dem ersten Lollapalooza in Europa, das am 12. und 13. September in Berlin stattfinden wird, geben sich die beiden Hamburger die Ehre. Ich habe Jence und Isi zum Interview getroffen, um mit ihnen über ihre aktuellste Veröffentlichung „Roller“, das geplante Album und ihren Auftritt in Berlin zu sprechen.

Im September kommt ihr zum Lollapalooza (Wir verlosen Karten!) in Berlin. Davor hattet ihr nur noch zwei Auftritte in London und Paris. Das sind ja nicht sehr viele Möglichkeiten euch zu sehen. Fehlt euch die Zeit?
Isi: Das liegt daran, dass wir bewusst gesagt haben, dass wir viel auslassen diesen Sommer. Weil wir uns auf die Studioarbeit konzentrieren, weil wir etwas fertigstellen wollen. Da ist es dann immer am besten, wenn man nicht so viel spielt. Das Gute ist: Man wählt dann bestimmte Sachen aus und kann die ausprobieren und kommt mit den Impressionen zurück ins Studio. Und deshalb ist es eigentlich ganz gut, wenn man gewisse Blöcke hat, in denen man unterwegs ist und dann gewisse Blöcke, an denen man echt zu Hause bleibt, und einfach an nix anderes denken muss. Denn der Rhythmus unterwegs sein – Studio – unterwegs sein – Studio schlaucht irgendwann. Und man ist einfach nicht so fokussiert, als wenn man eine Woche einfach an einer Stelle bleibt und eine Sache zu Ende macht.
Jence: Ja, selbst wenn man eine Show an einem Wochenende spielt, muss man ja dann nachmittags los. Dann spielt man, am nächsten Tag ist man im Arsch. Und dann sind schon wieder zweieinhalb Tage weg und man wird wieder rausgerissen. Außerdem spielen wir ja eh seit zehn Jahren fast jeden Tag, da kann man das schon mal ein wenig ausdünnen. Und so lang sind die Pausen dann auch gar nicht. Wir hatten das letztes Jahr schon, dass wir dachten: „Oh krass! Das ist die letzte Show bis in drei Wochen!“ und es kam uns vor wie eine Ewigkeit.

Ihr habt ja bereits weltweit Locations und Festivals bespielt. Was war das Abgefahrenste, was ihr dabei erlebt habt?
Isi: Da gibt es einen Laden in L.A., der heißt Overpass, der ist eigentlich illegal. Das ist ein privater Club, da geht es trotz der Sperrstunde bis morgens um acht. Da haben wir gespielt. Und auf einmal stand die Polizei mit 22 Streifenwagen und drei Helikoptern vor der Tür. Das war echt wie im Hollywoodfilm. Kein Witz! Wir hatten gerade zehn Minuten gespielt, da war die Party auch schon vorbei.

Kommen wir zur Musik: Mit „Roller“ scheint ihr die Rückkehr zu den Ursprüngen zu feiern. „Idealistic“ klang sehr nach Daft Punk, was viele „Roller“ auch nachsagen. Tatsächlich klingt „Roller“ sehr anders als zum Beispiel „Wolves“ oder die Stücke davor, die sehr viel melodischer und tanzbarer waren. Wie kommt es zu diesem krassen Wechsel?
Jence: Ja, das musst einfach mal sein. Denn das Melodische ging uns dann doch irgendwo auf den Sack. Irgendwann reicht es einfach, dann kippt die Stimmung. Außerdem ist es auch dramaturgietechnisch interessant, wenn man einfach so einen kompletten Bruch mal mitmacht und dann so etwas abliefert und die Leute so schockiert. Wobei „Roller“ eigentlich auch gar nichts Neues ist. Das Material dazu lag schon zwei Jahre bei uns in der Schublade.

Warum habt ihr so lange mit der Veröffentlichung gewartet?

Isi: Das ist bei uns generell so. Bei uns liegt immer viel in der Schublade, was sich einfach so ansammelt. Wir sind sehr produktiv, sind viel im Studio. Der Witz an der ganzen Geschichte ist: Wir fangen etwas an, lassen es dann liegen, weil wir was anderes zu tun haben. Und irgendwann hört man sich das dann alles wieder an und macht es dann zu Ende.
Jence: So auf die Art: „Ah cool, lass uns das doch mal fertig machen. Dann können wir das am Wochenende spielen.“ Eigentlich war es eine Jam-Session.

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Für welche Gelegenheit habt ihr „Roller“ dann fertig gemacht?
Jence: Ich glaube, das war tatsächlich auch im letzten Jahr, als wir im Overpass in L.A. gespielt haben.
Isi: Wir waren die letzten drei Jahre immer über die Winterzeit in L.A. und haben da gespielt und produziert. Und wir haben da auch immer neue Sachen ausprobiert. Wir hatten dann teilweise einmal im Monat, manchmal auch einmal in der Woche eine Residency. Haben uns illegale Sachen gesucht und da dann gespielt. Das Overpass hat uns da auch sehr geprägt. Nicht musikalisch. Aber wir haben da den ganzen Abend gespielt, also wirklich wie ein Resident DJ. So, wie wir ja auch angefangen haben. Die Zeit dort war intensiv und lustig, wir haben viel miterlebt. Und man ist den Fans ziemlich nah, es passen vielleicht 300 Leute da rein. Die stehen dann sehr dicht vor oder hinter dir.

Stresst das?
Isi: Nein, warum?
Jence: Es ist tatsächlich cooler, als vor 20.000 Leuten zu stehen. Weil man einfach mal zu dem, der neben einem steht sagen kann: „Ey, willst du auch noch mal kurz ne Platte spielen?“ Das ist viel entspannter.

Nice! Gibt es so was in Deutschland auch?
Jence: Ja, das kommt schon auch vor. Im Ritter Butzke zum Beispiel. Oder im Pudel in Hamburg, als wir da mal live gespielt haben. Das ist aber schon ein paar Jahre her.
Isi: Vielleicht machen wir das mal wieder! Der momentane Trend geht ja eher in Richtung „alles schnell, schnell!“. Und alles größer und krasser und dann wegschmeißen. Warum mal nicht gegensteuern mit kleinen Sachen. Auch wenn man groß spielen kann ist es auch immer nicht schlecht, mal was anderes zu machen zwischendurch. Man will ja auch nicht immer nur Kartoffeln essen. Wenn man immer das gleiche macht, schläft es irgendwann ein. Und das ist gefährlich. Weil so sieht man nicht die Welt.

Das ist ein ziemlich reflektierter Umgang mit der eigenen Kunst.
Jence: Gerade wenn man wieder ins Studio geht dann ist es auch sehr wichtig, da hinzugehen, wo der Zyklus normalerweise beginnt – nämlich auf den kleinen Partys, kleinen Clubs oder Szene-Geschichten. Wo man nicht nur abfeuert wie vor tausend Leuten. Sondern sich auch damit beschäftigt, was da so um einen rum – oder auch hinter einem – passiert. Das ist gerade derbe aktuell für uns.

Quasi als Testballon für neue Stücke?
Isi: Das Gute ist: Wenn wir neue Sachen spielen, checken das die Leute meistens gar nicht. Auch die Hardcore-Fans nicht. Das ist auch ein super Zeichen, wenn die Leute zu einem Stück abgehen, das sie nicht kennen. Das war auch auf der Bootsparty in Barcelona Ende Juni so. Da haben die Leute echt versucht, die neuen Stücke zu shazamen. Das ein gutes Zeichen.
Jence: Wir verlassen uns allerdings nicht nur auf solche Reaktionen. Denn erstens geht es ja nicht nur darum. Und außerdem sind die Reaktionen ja auch überall anders. Aber es ist auf jeden Fall gut, um Sachen anzutesten.

Um zurückzukommen zu Roller: Was wollt ihr mit dem Stück bei den Menschen erzeugen?
Isi: „Roller“ ist anders, „back to the roots“, es ist ein kompletter Bruch. Aber das Interessante ist: Es klingt punkig. Es ist nicht so wie das, was wir früher gemacht haben oder was gerade da draußen ist: Alles sehr sauber, aufgeräumt, alles hat Struktur. Wenn man ein Lied hört, kennt man eigentlich auch die anderen Lieder. Das ist das, was ich vorher meinte: Wir leben in einer sehr intensiven, extremen Zeit. Das war in der Vergangenheit nicht unbedingt anders: Gab es eine Rockband, gab“™s zwanzig andere. Vom Zyklus her ändert sich nichts aber die Zeit ändert sich. Das merkt man vor allem in Deutschland. Da gibt es einen Top-Ten-Hit à la Robin Schulz und zwanzig andere folgen.
Jence: Das ist total anstrengend.
Isi: Jence hat das auch mal total gut auf den Punkt gebracht, er meinte: „Das ist NDR2 Deephouse-Musik“. Das ist nicht böse gemeint. Aber es klingt halt einfach alles gleich. Deshalb war es für uns wichtig, ein Statement zu setzen und zu sagen: „Es geht auch anders“.

Punk bedeutet aber auch, provokant zu sein. Wollt ihr provozieren?

Jence: Ja, „Roller“ ist quasi anti-system. Ohne politisch sein zu wollen.
Isi: Nein, wir haben keinen politischen Hintergrund. Aber wir wollten echt mal ein Statement setzen.
Jence: Und auch provozieren. Das haben wir in den letzten Jahren nicht wirklich gemacht. Aber da kommen wir ja eigentlich her.
Isi: Ja, denn es war ja eigentlich auch immer so, dass man uns nicht in eine Schublade stecken konnte – auch wenn die Leute es echt versucht haben.

Wie waren die Reaktionen bisher?

Isi: Manche Fans waren bestimmt total schockiert, andere nicht. Die Feedbacks sind bisher sehr sehr positiv. Auch wenn der Track hart ist und keine Melodien hat. Aber ich finde, es ist mal ganz interessant.
Jence: Das musste mal sein. Uns ist vor allem wichtig, dass wir es gut finden. Der Rest ist uns eigentlich egal.

Wenn ihr an neuen Stücken arbeitet, wie geht ihr da vor? Wer übernimmt welchen Part?
Isi: Das lief dieses Mal tatsächlich ein wenig anders als sont. Jence lebt ja momentan in London und ich in Hamburg. Deshalb tauschen wir uns viel über das Internet aus und bereiten außerdem viel jeder für sich alleine vor. Und wir fliegen viel hin und her und besprechen die Sachen dann. Interessant ist dabei, dass immer noch der Digi-Sound dabei herauskommt. Es ist nicht so, dass jeder seine eigene Suppe kocht, sondern wir reflektieren das auch total ernsthaft. Da ist dann auch aber keiner sauer, wenn der andere mal sagt „Mh, das ist jetzt nix für uns“. Generell ist es aber eigentlich so, dass Jence vorm Rechner sitzt und ich dahinter. Weil: Wenn zwei Köche an einem Gericht dran sind, kann da nix besseres rauskommen. Deshalb sollte man den einen erst mal machen lassen und dann entscheiden.
Jence: Wir sind ja auch keine Band, die da zusammen jammt.

Ihr seid momentan auch dabei, an einem neuen Album zu arbeiten. Wann kann man denn damit rechnen?
Isi: Wir sind wirklich Freunde davon, nicht zu viel zu erzählen.
Jence: Ich spiel den Ball einfach mal ans Label zurück: Wenn“™s fertig ist, kommt“™s drauf an, wie schnell die dann arbeiten. Irgendwann sind wir fertig und dann gucken wir mal.

Könnt ihr sagen, in welche Richtung es gehen wird?
Isi: Wir sind da völlig frei. Es wird auf jeden Fall nicht Helene Fischer, nicht Robin Schulz und auch nicht Milky Chance.
Jence: Auch nicht Jay-Z.

Ok. Wird es eher „Roller“ oder „Wolves“?
Isi: Was ist mit der Mitte?

Auch gut!
Isi: Wer uns kennt, weiß Bescheid.

Im September spielt ihr live auf dem Lollapalooza in Berlin. Wie seid ihr darauf gekommen, da mitzumachen?
Isi: Ich finde es wichtig, dass man nicht vergisst, wo man herkommt. Wir haben letztes Jahr schon in den Staaten live gespielt und haben dann gesagt: „Warum nicht auch noch mal dieses Jahr in Deutschland live spielen?“ Das ist kein Vorbote für das neue Album. Es ist einfach nur mal wieder klassisch live, weil wir sonst momentan nur auflegen und es uns wichtig ist, die Abwechslung zu haben. Deshalb diese Live-Show.
Jence: Vor allem ist das Lollapalooza in Chicago ist einfach super. Jetzt das erste Mal in Deutschland, da mussten wir einfach dabei sein. Das hat einfach gepasst. Einmal kurz „Hallo“ sagen.

Auf Soundcloud kann man nachlesen, dass ihr in Berlin mit einer „hugely exciting new live show“ aufschlagen werdet. Könnt ihr darüber etwas verraten?

Jence: Wir spielen ja generell im selben Land nie die selben Shows. Unsere letzte Liveshow in Deutschland war 2012 im Docks in Hamburg. Deshalb wird es auf jeden Fall eine komplett andere Geschichte.
Isi: Zu „hugely exciting“: Wenn die Leute zu unseren Liveshows kommen, verstehen die uns auch besser und unsere Musik. Ich glaube, wir nehmen die Leute echt mit. Einige mögen“™s, andere nicht – aber es ist auf jeden Fall echt ein Trip.

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