Die Tour ist vorbei und zusammen mit Jonas und Moritz von OK KID schaue ich auf die bis zum Anschlag voll beladene Zeit, die hinter der Band liegt. Da war zum Beispiel die Trennung vom Label „Four Music“, das gemeinsame Flüchten in die Wälder, um Songs zu entwickeln, der Release der Audioserie „Woodkids“, mit der die Jungs einmal mehr gezeigt haben, dass Playlisten die neuen Alben sind, aber vor Allem eine erfolgreiche Tour 2019. Gesprochen haben wir unter Anderem über Musiklabels, Frauen im Deutschrap, gekränkte Männerehre und den Umgang mit Fans. Deutlich ist, dass die Band Bock hat, sich weiterzuentwickeln und das auch erstaunlich charmant schafft. Woodkids war DIY pur. Bereits fest steht das Festival der Band „Stadt ohne Meer“, was am 30. Mai im Schiffenberger Tal stattfindet.
Am 25. Oktober hat die Audioserie “Woodkids” geendet. Ihr könnt auf eine intensive, proppevolle Zeit und eine erfolgreiche Tour zurückblicken. Gab es ein besonders prägendes Ereignis?
Moritz: Am prägendsten war die Zeit im Wald. Wir haben uns eingeschlossen, und so ist die Idee zu unserer Audioserie entstanden. Wir wollten neue Songs schreiben. Neu war aber, dass wir dafür zweimal im Jahr für eine Woche an einen Ort fahren wollten. Das war für uns mit die wichtigste Zeit, in der vieles entstanden ist. Wir haben uns in der Zeit eine Vision von dem, was jetzt auch entstanden ist, erarbeitet.
Habt ihr euch beide Male im selben Wald eingeschlossen oder wo wart ihr?
Jonas: Einmal waren wir im Spreewald in Brandenburg und einmal waren wir in Bayern am Schliersee.
Was hat euch gerade in den Wald verschlagen, dass ihr euch dorthin zurückzieht?
Jonas: Also, das war jetzt nicht so geplant wie zum Beispiel “Dagobert” das gemacht hat. Dort geht die Sage rum, dass er sich mehrere Jahre allein isoliert und Gedichte geschrieben hat. So schlimm war das bei uns nicht. Wir wollten einfach zusammen Musik machen. Wenn wir zusammen in Köln rumhängen, dann ist es meistens so, dass der Alltag noch da ist. Wenn wir eine Woche aufeinander rumhocken, dann kann man nicht viel anderes machen außer Musik.
Dass ihr in den Wald gegangen seid und euch voll und ganz auf die Musik konzentriert habt, ist relativ kurz nachdem ihr euer Album released habt, passiert. Woher nehmt ihr die Energie für den ganzen kreativen Output?
Jonas: Ich weiss es auch nicht. Wie haben wir das eigentlich gemacht? (Lacht)
Moritz: Ich glaube, wir hatten einfach das extreme Bedürfnis, neue Songs zu machen. Wir hatten ja auch die Tour verschoben, die im März angedacht war. Es kam einfach super viel zusammen. Wir haben zum zweiten Mal das “Stadt ohne Meer”- Festival veranstaltet. Das war einfach zu viel Orga. Wir haben gemerkt, dass wir eigentlich am meisten Bock haben, neue Songs zu schreiben. Das hat dann auch extrem gut funktioniert. Wir haben neun neue Songs geschrieben in diesem Jahr. So viele wie noch nie zuvor.
Wieso habt ihr euch dazu entschieden, eine Audioserie zu produzieren und kein normales Album? Zuerst habt ihr den achten Song der Serie veröffentlicht, um zeitlich in der Gegenwart zu beginnen. Mich hat das erstmal verwirrt, bis ich das Konzept verstanden habe.
Jonas: Das hat viele am Anfang verwirrt.
Moritz: Wir sind ja nicht mehr bei “FourMusic” unter Vertrag. Wir haben diese langen Vertriebswege nicht mehr, wo man Songs für ein Jahr oder eineinhalb schreibt, um dann ein halbes Jahr lang ins Studio zu gehen. Dann wird das Album zur Plattenfirma gebracht und die Promo wird geplant. Dann geht wieder ein halbes Jahr ins Land. Jetzt hatten wir Bock, Songs zu schreiben und diese so schnell wie möglich rauszuhauen. Mit diesem “Playlist-Gedanken” konnte man das perfekt machen. Wir hatten auch gar nicht Lust, so groß zu denken. Auch dadurch, dass unser Team sich verkleinert hat, haben wir einfach gesagt, wir machen jetzt nicht das nächste große Album, sondern schreiben Songs und hauen die raus.
Jonas: Es ist uns aber auch leichter gefallen, Songs zu schreiben, indem wir uns auf die verschiedenen Episoden konzentriert haben. So wussten wir, wie der Song thematisch aussehen soll. Der Song “Schwimmen” ist allerdings entstanden, als es die Playlist noch gar nicht gab. Der Song wird auch erst durch einen späteren Song richtig klar, nämlich “Episode 7”. Es ist eigentlich spannend zu sehen, dass wir erst ein Ende hatten und dann so die Geschichte von hinten aufrollen. Eigentlich fängt die ganze Story theoretisch bei dem Song “1996” an. Es war auch eine klare Entscheidung, dass es nicht politisch wird, sondern eher um die eigene Befindlichkeit geht.
Die ja oft auch etwas politisches hat…
Jonas: Ja, natürlich hört man hier und da etwas raus. Aber es ist schon relativ nah am Autobiographischen. Es ist nie immer eins zu eins, aber das ist ja auch das Schöne an der Kunst. Du kannst die Geschichten so erzählen wie du willst. “Woodkids” ist allerdings von den Emotionen schon sehr nah dran an uns selbst.
In “E07 Nur wir 3” war mein Eindruck, dass du schon relativ stark eins zu eins davon erzählst, was in den letzten Jahren um “OK Kid” passiert ist. Der Song wirkt destilliert und ist eher weg von Metaphorik. Das ganze ist unterlegt mit einem Dubbeat. Das ist alles eher “Ok Kid” untypisch. Warum war es dir wichtig, diesen Song so herauszustellen?
Jonas: Das stimmt. Wir haben sehr viele Songs, in denen ich in die Erzählerrolle schlüpfe. So wie bei “Wolke” mit dem Verschwörungstheoretiker, aber auch bei “Gute Menschen” oder “Warten auf den starken Mann”. Viele Dinge handeln nicht von meinen eigenen Emotionen. Aber auf der anderen Seite haben wir eben diese krass persönlichen Songs. Das war auf der Tour auch eine emotionale Herausforderung für mich: Das bist du, das ist die Rolle, das ist Kunst. Ich glaube, wir haben aber noch nie so eins zu eins die Wahrheit geschrieben wie bei “Nur wir drei”.
Ihr sprecht dabei eure negativen Erfahrungen an, die ihr mit dem Label “FourMusic” gemacht habt. Dass so etwas so stark nach außen getragen wird, passiert nicht häufig. Jetzt habt ihr alles auf eigene Faust gemacht. Wie fühlt es sich an, den schnellsten digitalen Vertriebsweg zu nutzen und dabei alles in eigenen Händen zu haben?
Jonas: Das Verrückte ist wirklich, dass wir erst gesagt haben, dass wir eine Vinyl Auflage machen, als wir so viele Anfragen bekommen haben. Allerdings musste man sich die dann drei Wochen vorher safen, damit wir sie pressen lassen konnten. Wir haben alles anders gemacht als es in einem Marketing-Label funktioniert, einfach weil wir Lust darauf hatten. Wir haben natürlich auch alles selbst vorgestreckt. Wir haben ein Produkt vom Markt genommen, dann große Videos veröffentlicht und angefangen, ein bisschen Geld auszugeben für Promo. Aber das Produkt gab es schon nicht mehr. Das würde niemals ein Label machen. Dann sind die Zahlen der Vorbestellungen doch größer geworden als wir gedacht haben und das Ganze wurde mega angenommen. Wahrscheinlich ist es so, dass wir, wenn man es mit dem letzten Album vergleicht, das wir bei einem Major-Label rausgebracht haben, nicht weniger Umsatz gemacht haben als mit einem sechsstelligen Marketingbudget. Und das ist crazy! Und das können wir ruhig so sagen. Das war ein sechsstelliges Marketingbudget, das für uns damals ausgegeben wurde. Es wird sehr viel Geld ausgegeben für dich; für Videos für PR Agenturen. Und trotzdem machst du nicht mehr Umsatz mit dem Produkt des Albums als wir mit unseren ungesponserten Posts, der Vinyl von diesem Miniprodukt. Diese gab es dann auch gar nicht mehr zu kaufen.
Und trotzdem wirkte das ganze Produkt, alles in allem, sehr professionell…
Jonas: Klar. Aber das ist einfach “no budget”. Wir haben fünfhundert Euro für das Artwork ausgegeben, wir haben alles kostenreduzierend selbst produziert. Wozu braucht man so viel Geld? Wozu wird so viel Geld für Sachen ausgegeben, die im Endeffekt gar nichts bringen?
Man merkt euch an, dass ihr stolz seid. Ist das für euch auch ein kleiner “Fuckfinger” in Richtung “Four Music”, Musikindustrie oder der negativen Erfahrungen, die ihr gemacht habt?
Jonas: Wir brauchen keinen Fuckfinger. Außer Moritz vielleicht. (lacht)
Moritz: Ne, null. Auch diese negativen Erfahrungen, die du ansprichst, waren nur punktuell. Man hat sich halt gefragt; warum wird für bestimmte Sachen Geld ausgegeben. Das war einer der wichtigsten Punkte, wo wir nicht so viel Sinn drin gesehen haben. Und dann gab es eine Uneinigkeit als wir uns getrennt haben. Wir wollten raus, aber sind nicht rausgekommen, obwohl uns das zuerst anders gesagt wurde. Aber wir sind nicht so: “Fuck the Industry”. Weil, so wie wir die Musikindustrie kennengelernt haben, ist es nicht dieses Haifischbecken, das viele beschrieben haben. Wir haben sehr, sehr coole Leute kennengelernt und hatten coole Zusammenarbeiten.
Jonas: Es war auch positiv für uns beim ersten Album, Geld zu haben und geile Videos zu drehen. Das war durchaus wichtig für uns.
Ihr habt jetzt eben gesagt, es ist alles doch größer geworden als ihr gedacht habt. Im Song “E07 Nur wir drei” sagt Jonas: “Es war schon immer klein, doch es wird noch kleiner in diesem Jahr”. Worauf hat sich das dann bezogen?
Jonas: Der Kreis von uns. Mit welchen Leuten wir uns abgeben wollen und zu wem man blindes Vertrauen hat und mit wem man arbeitet. Das ist ein sehr kleiner Kreis. Und dadurch, dass man jetzt Sachen selbst macht, ist der noch kleiner geworden.
Im Song “E03 Cypher” geht es viel um Rap Anfänge. Es ist der Song mit den Feature-Parts. Vor allem eine Stelle fand ich besonders interessant. Da rappt Jonas “Sage: Schwul, Hurensohn, du bist Spast in jedem Satz, weil ich glaub‘, dass das ein guter Rapper so macht”. Wie wichtig ist euch political correctness im Deutschrap, und hat sich dort aus eurer Sicht etwas verändert? Immer wieder gibt es die Diskussion um Kunstfreiheit, Ironie und Rollenprosa.
Jonas: Ich glaube, mit Rollenprosa muss man nicht aufpassen, wenn das klar wird. Man darf alles sagen, aber es kommt auf den Kontext an.
Und wenn ein Rapper immer wieder von “Fotze” redet…?
Jonas: Kannst du bringen, aber der Kontext muss klar sein. Wenn ich Worte benutze und ich mache das wie “K.I.Z”, dann kann ich das einschätzen. Wenn ich ein spaßfreier “Möchtegern-Straßenrapper” aus Berlin bin, der einfach solche Sachen erzählt ohne einen doppelten Boden zu haben, dann denke ich mir: warum?. Aber wo du es jetzt ansprichst, das ist auch eine schmale Gratwanderung bei uns im Song “Gute Menschen”, wo ich das “N-Wort” sage.
Das wurde viel in den sozialen Medien oder unter dem entsprechenden Video diskutiert. Letztendlich greift ihr ein Zitat von Joachim Herrmann auf. Was für einen Standpunkt habt ihr zu der Diskussion mittlerweile?
Jonas: Das wurde viel diskutiert und auch Fans fragen uns warum. Eigentlich wollten wir auch mal ein Statement dazu machen, warum wir das singen. Es ist eben ein Zitat von Joachim Herrmann, CSU Dude, der eigentlich ein positives Statement setzen und quasi sagen wollte, dass Roberto Blanco doch gut integriert sei. Der sagt dann in einer Talkshow: “Der ist doch ein wunderbarer Neger”. Ich zitiere ihn, um genau dieses Zitat und ihn selbst zu entlarven. Er sagt Sachen, die einfach so hinterwäldlerisch sind. Und der ganze Song basiert auf Thesen von Leuten, die von sich die Meinung haben, dass sie doch gar nicht rechts sind, sondern bürgerlich oder das Volk. Aber eigentlich sind diese Thesen sehr rassistisch oder faschistisch. Um das herauszuarbeiten, sagen wir das N-Wort. Das existiert nicht in unserem Sprachgebrauch, wenn wir aus der Ich-Perspektive sprechen.
Ist das also ein generelles Problem im Rap, das popkulturelle Referenzen falsch verstanden werden?
Jonas: Ich finde, das, was im Rap momentan passiert, extrem wichtig und extrem gut.
Was meinst du damit genau?
Jonas: Rapper waren immer die ersten, die auf Missstände aufmerksam gemacht haben, die sich aufgeregt haben, über Rassismus sowieso. Das war extrem wichtig. Rap war immer sehr weit vorne, wenn es um eine Veränderung ging. Ich rede hier auch von Straßenrap Anfang der Nullerjahre. Man hat dann darüber geredet, wie Integration funktioniert oder auch nicht. Aber Rap hat sich immer verschlossen gegenüber der Sexismusdebatte.
Aber trotzdem findet ihr, dass es im Deutschrap generell in eine frische Richtung geht?
Jonas: Gerade Homophobie ist ein großes Thema, das vom Rap einfach komplett ignoriert wurde und Sexismus eh. Da finde ich, dass man nicht jede Line von SSIO verurteilen muss. Da muss ich im Kontext auch mal drüber lachen. Aber sobald sich jemand diskriminiert fühlt, sollte man sehr sensibel mit den Themen umgehen.Vor allem, wenn sich jemand direkt diskriminiert und angesprochen fühlt und nicht für jemanden Partei ergreift. Generell finde ich die Debatte aber momentan sehr gut und freue mich, dass es sehr viele weibliche Rapperinnen gibt.
Was sind eure Favoriten unter den Rapperinnen, wen hört ihr privat?
Jonas: Ich mag Ebow. Ich finde es geil, dass Frauen so ultra kommerziell groß werden können als Rapperinnen. Es ist nicht mein Musikgeschmack, aber zum Beispiel ist es bei Loredana der Fall. Sowas war früher noch nicht möglich. Das ist nicht meine Musikrichtung, aber das ist einfach eine selbstbewusste Frau, die den Männern den Mittelfinger zeigt. Das finde ich super. Viele Sachen von Haiyti finde ich cool. Die älteren Sachen haben mich da aber noch mehr gefesselt als die aktuellen.
Den Song “E02” musste ich öfter hören, um ihn zu verstehen. Für mich war vor allem dieses Spannungsfeld des Fan-Daseins spannend, das ihr thematisiert. Auch das Video (mittlerweile gelöscht) ist ein spannender Kunstgriff. Zwar auf eine andere Art, aber auch Kraftklub haben damals im Song “Unsere Fans” das Spiel einmal umgedreht. Wie kam es zu diesem Rollenspiel?
Jonas: Die Erzählerrolle ist in dem Song ca. fünfzehn bis sechzehn Jahre alt. Das Rollenspiel ist aber auch wieder sehr nah dran an mir selbst. Es ist aus der Sicht, wie ich damals Musik gehört habe und wie ich Fan war von Bands und Künstlern. Was haben wir die “Kopfnickersachen” von “Massive Töne” damals abgefeiert und auf einmal kam dann ein Song wie “Cruisen” raus. Da fühlst du dich so verraten. Aus heutiger Sicht ist es egal, aber damals warst du wirklich beleidigt.
Wie fühlt sich das für euch aus Künstlersicht an, permanent Projektionsfläche, Identifikationsfläche eurer Fans zu sein oder auch die Vorbildfunktion für einige Menschen darzustellen?
Moritz: Ganz vorbei geht das natürlich an einem nicht. Aber wenn man sich das immer reinziehen würde, das geht auch nicht. Man muss sich, glaube ich, auf sich konzentrieren und das machen, was man selber geil findet. Dann ist das auch okay.
Jonas: Man darf natürlich auch die Verantwortung nicht an sich ranlassen. Wir haben sehr viele Fans, die sind sehr nah an uns dran. Wir kriegen täglich Nachrichten von Fans, die sagen, dass wir deren Leben verändert haben und dann genau aufzählen, woran das liegt, dass sie eigentlich keinen Sinn mehr im Leben gesehen haben, aber dann durch den und den Song wieder Mut gefasst haben. Das ist mega, mega schön und berührend, aber auf der anderen Seite musst du aufpassen, dass du dir selbst nicht die Verantwortung für das Wohlbefinden anderer gibst. Wir schreiben Songs nicht als Dienstleistung, sondern für uns. Aber auch dieses klassische “Enttäuschtsein” vom letzten Album. Da gab es Leute, die waren ernsthaft sauer und wollten eine Rechtfertigung. Wir werden uns nicht rechtfertigen. Und wenn es dann Leute gibt, die Tage lang die Welt nicht mehr verstehen, dann ist das nicht mehr unser Problem. Eine war mal so krass, die hat gesagt, dass es ihr dank uns wieder gut geht, aber sie hat uns dann über Instagram gefragt, warum wir uns denn gar nicht melden würden und dass es ihr viel besser gehen würde, wenn wir uns melden würden. In so eine Richtung geht es dann da. Da fühlen wir uns dann scheisse und fragen uns natürlich, ob wir zurückschreiben sollen, damit sie dann bekommt was sie will oder ob es gefährlich wird, wenn wir nicht zurückschreiben.
Das ist das, was ich mit Projektionsfläche meinte. Im Song gibt es eine Textstelle, da sagst du: “Doch langsam will ich’s wissen, sag mir was zwischen uns ist. Ich schrieb achtundneunzig Briefe und nicht einer kam zurück”…
Jonas: Voll viele Menschen denken einfach, sie kennen dich. Die denken, sie verstehen alles von dir und du würdest sie auch verstehen. Du bist denen so nah.
Moritz: Die Leute sehen etwas in uns, was wir vielleicht auch gar nicht sind. Das ist dann einfach nur ein Spiegel ihrer eigenen Empfindungen, ihres eigenen Seelenlebens. Die packen halt alles rein.
Baut ihr zu eigenen Fans trotzdem emotionale Bindungen auf?
Jonas: Wir haben eine sehr treue Fanbase, die zu jedem Auftritt hinterher reist. Die nehmen sich jetzt drei Wochen frei und fahren zu jeder Show. Das ist mega süß und man kennt sich mittlerweile so gut und auch persönlich. Und das ist auch wichtig.
Moritz: Und wenn das angenehm ist, gibt es ja auch keine Gründe, das nicht auch zu feiern und mit denen gerne zu kommunizieren.
Habt ihr euch auch schon mit Fans angefreundet?
(Beide schmunzeln)
Felix: Ja, Raffi. (lacht) Obwohl, ich weiss nicht, ob sie ein Fan war, aber die haben sich auf einem Konzert kennengelernt.
Also eine Liebe?
Moritz: Ja, eine Liebe.
Jonas: Naja, ich glaube aber, das war zufällig.
Beim Song „E05 Im Westen“, dem Musikvideo und eurem Promotext, musste ich ein wenig an Schillers “Verbrecher aus verlorener Ehre” denken. Ihr zeigt letztendlich uralte Konfliktlinien zwischen Vater und Sohn auf. Das Video wird vor allem aber durch eine Szene mit einem Schaum spritzenden Riesenpenis gebrochen. Könnt ihr mir diesen Bruch nochmal selbst erklären?
Jonas: Der Riesenpenis soll einen Phallus darstellen, der für eine gekränkte Männerehre stehen soll. Der löscht durch den spritzenden Schaum im Video die gesamte Familie aus. Das hat gerade einen Zusammenhang zu unserer aktuellen Zeit. Selbst Trump fühlt sich klein und muss seine Macht ausspielen, um sich besser zu fühlen. Aber auch der Attentäter von Halle sagt in seinem Video, dass er ein Versager ist und sich klein fühlt und nicht aufgehoben. Ich glaube, irgendwo in Kitzbühel hat ein junger Mann aus gekränkter Ehre seine Exfreundin und deren gesamte Familie ausgelöscht. Mit sieben Toten, glaube ich. Es ist krass, wie viel Unheil auf der Welt passiert aufgrund dessen, dass Männer sich als Versager fühlen, sich gekränkt fühlen. Dieser “Stolz-Gedanke” ist bei Männern immer noch eher präsent. Das finde ich einfach mega überholt. Dadurch ist es in dem Video so, dass der gekränkte Sohn von dem Vater gar nicht verstanden wird. Der will von dem Vater verstanden werden, versucht es in dem Text nochmal, aber der Vater lacht ihn eigentlich aus und sagt letztendlich, dass der Sohn kein Recht hat, traurig zu sein. Bis es dann irgendwann dazu führt, dass der Sohn platzt und sich an allen rächt. Das ist tatsächlich auch ein psychologisches Muster, das für sehr viel Unheil verantwortlich ist. Das greift auch bei großen Diktatoren. Adolf Hitler hatte nur ein Ei. Wenn du dir viele Biografien anguckst, ist so etwas der Fall. Und das ist echt bei Männern ein Problem. Zu viel Testosteron, zu viel Gehabe, diesem Männerbild gerecht zu werden.
Moritz: Das wird vielen ja auch vorgeworfen. Nach dem Motto: Sei mal ein Mann. Du sollst nicht traurig sein.
Du bist jetzt kein Soziologe, sondern Künstler. Trotzdem: Wie kann man dieses Männer-Ehre-Problem durchbrechen, wenn man jetzt theoretisch rangeht? Auch Heranwachsenden würde es unglaublich viel Leid ersparen, wenn dieser Druck des männlichen Idealbildes schwinden würde, vermute ich. Was glaubst du; wo kann man ansetzen?
Indem man Kindern schon früh beibringt, über Gefühle sprechen zu dürfen. Und sich nicht schämen muss. Wenn ein Typ vor zwanzig Jahren zum Psychologen gegangen ist und beispielsweise auch noch aus einem Dorf kam, dann wurde der als Verrückter abgestempelt. Es ist völlig normal, sich Hilfe zu holen. Ich selbst werde den klassischen männlichen Tugenden beispielsweise nicht gerecht. Aber genauso sollten sich Mädels entwickeln dürfen wie sie wollen. Du musst dich nicht schminken, du musst dir nicht die Beine rasieren und auch nicht die Achseln, nur weil es aus der Männerwelt vorgeschrieben wird, wie du dich zu verhalten hast. Und Jungs müssen nicht Alphatierchen sein, sondern sie dürfen neben Stolz und Ehre auch einfach schwach sein.
Glaubst du, dass es in der Musik oder gerade im Deutschrap noch zu wenige Vorbilder gibt? Woran liegt es, dass das toxische Männerbild sich in der Kulturindustrie so gut vermarkten lässt?
Moritz: Ich glaube, weil es tief in unserem Denken verankert ist. Es gab auch Strömungen in der Erziehung, wo man das total aufgebrochen hat. Nach dem Motto: Mädchen dürfen mit Autos spielen und Jungs mit Puppen. Die Entwicklung geht da glaube ich aber eher wieder zurück in den letzten zehn bis zwanzig Jahren. Man muss einfach gucken, was Kinder wollen und wo sie sich zu Hause fühlen. Man muss Kinder sich frei entwickeln lassen.
Jonas: Auch dieser Fitnesswahn, dieser “Ich-pump-mich-auf”Wahn bei Jungen, auch diese Körperlichkeit ist viel mehr geworden. Es ist einfach viel oberflächlicher geworden. Diese Vergleiche mit anderen: “Wie sehe ich aus?” Bei Mädels wird es immer mehr thematisiert. Da ist der offene Dialog schon viel weiter. Dieses “Du hast nicht zu beurteilen wie ich aussehe und wie ich bin”. Bei Typen ist das anders. Wenn die mit fünfzehn aussehen wie ein “Lauch”, dann kriegen die eher weniger Respekt. Dieses körperliche Wettrüsten ist für mich auch einfach lächerlich.