Erstmal mag es seltsam anmuten, in den nach Punk und Politk riechenden Räumlichkeiten der Münsteraner Baracke gemeinsam mit gut zwei dutzend anderen Leuten Werbung auf (und erstaunlich oft auch für) Youtube anzuschauen, doch im Grunde wird an genau diesen Punkten, wenn der Ton ein bisschen lauter wird und Shoreline-Sänger und -Gitarrist Hansol durch die improvisierten Sitzreihen der Baracke wirbelt, die Notwendigkeit dieses Abends besonders deutlich.
„Your Bands On Tape / Ein Filmabend mit Musikvideos von DIY Bands“, den hat sich das Münsteraner Punk-Quartett einfallen lassen, um am Vorabend des anlässlich ihrer Debüt EP „You Used To Be A Safe Place“ gespielten Releasekonzertes bereits ein bisschen Zeit mit Freunden zu verbringen, wie Hansol betont, nebenbei aber auch einem Medium Raum zu geben, auf das dank Youtube heute zwar fast jeder Zugriff hat, dort aber oft entweder untergeht oder als blinkendes Beiwerk zu ohnehin laufender Musik wegkonsumiert wird.
Shoreline bilden hier, nicht nur aufgrund der Organisation dieses Videoabends, eine klare Ausnahme: Seit ein paar Jahren organisieren sie die Shortest Pier Sessions, die Bands eine Bühne zur Reinterpretation eigener Songs bieten, und haben mit „Breakfast (At 5 P.M.)“ gerade selbst ein Video veröffentlicht, das durch clevere Inszenierung die Grenzen des im Low-Budget-Bereich Machbaren austestet. Gemeinsam mit Hansol und Bassist Tobi habe ich mich daher nach der Veranstaltung über Bedeutung und Stellenwert von Musikvideos in der DIY-Szene unterhalten.
Welchen Stellenwert hat ein eigenes Musikvideo für euch?
Hansol: Zu dem „Breakfast (At 5 P.M.)“ Video muss man sagen, dass wir das nicht komplett selber gemacht haben. Eike von Banana Roadkill hat mit uns daran gearbeitet: Wir haben das Konzept entworfen und das dann mit ihm durchgesprochen. Ich glaube, weil das Musikvideo ja ganz oft an eine Single gekoppelt ist, ist das so ein Aushängeschild. Das Erste, was die meisten Leute von der Band mitbekommen. Für mich ist es schon mehr als nur eine Untermalung zu einem Song, zumal wir in dieses Video super viel Geschichte gepackt haben. Das ist auch eine Möglichkeit, dem Inhalt eines Liedes mehr Gesicht zu verleihen.
Tobi: Man probiert das Ganze ja unterstützend zu machen, das Visuelle noch dazuzukriegen. Wir hatten am Anfang auch schon die Idee im Hinterkopf, dass sich erst am Ende herausstellt, dass es sich um ein lesbisches Pärchen handelt. Ob die Umsetzung klappt, ob die Leute das beim ersten Sehen bis zum Ende nicht merken, das war uns nicht klar, und ich glaube, das ist Eike vom Schnitt her ganz gut gelungen.
Welche Rolle spielen für euch Drehorte? Münster ist in „Breakfast (At 5 P.M.)“ prominent platziert, viele andere Videos heute haben auch markante Orte gezeigt.
Hansol: Als wir überlegt haben, was wir für ein Video machen wollen, war zumindest mir und Martin wichtig, wo wir es drehen. Dass das einerseits die Geschichte des Songs widerspiegelt, aber andererseits auch viel von Münster zeigen soll. Wir haben uns extra überlegt, welche Orte in Münster so repräsentativ sind, dass man die Stadt sofort erkennt. Das ist die Stadt, aus der wir herkommen und in der wir uns heimisch fühlen.
Geht es euch dabei auch um die Repräsentation einer Szene?
Hansol: Also für mich eher nicht.
Tobi: Es geht halt um Münster als Ganzes, und da gehört die Szene auch dazu. Wie Hansol schon sagte, es ist eine Stadt, in der wir uns alle super wohl fühlen, nicht zuletzt weil es diese Szene hier gibt. Das gehört irgendwie alles zusammen.
Hansol: Was noch dazu kommt: Es gibt diese typische Performanceszene, die in jedes Muskvideo reingequetscht wird. Das ist so eine Chance, viele Freunde von sich einzuladen und zu versuchen, die auch im Video unterzubringen.
In Low-Budget-Produktionen spielen Performanceszenen oft eine wichtige Rolle, das hat man auch den Videos heute angesehen. Sind solche Performanceszenen für euch ein notwendiges Übel?
Tobi: Ich glaube, es ist vermarktungstechnisch nicht ganz verkehrt, dass man die Gesichter zu einer Band überhaupt mal sieht. Wir wollten aber kein reines Performancevideo, weil es unserer aller Meinung nach recht schwierig ist, ein Performancevideo über drei Minuten wirklich interessant zu halten. Deswegen haben wir überlegt, wie wir das am besten reinbauen können, dass es subtil reinkommt, man uns aber trotzdem sieht.
Woran orientiert ihr euch, wenn ihr an ein Musikvideo rangeht? Am eigenen Umfeld oder an größeren Produktionen?
Hansol: Als wir uns überlegt haben, was wir für ein Video machen wollen, haben wir uns definitiv nicht am Budget orientiert, sondern Youtube durchforstet und geguckt, was für Videos wir gut finden und warum. Ein Video, das sehr oft im Gespräch war, war das zu „After The Party“ von The Menzingers. Das Musikvideo ist irgendwie untergegangen, ich hab es erst gesehen, als wir nach Videos gesucht haben. Wir haben versucht, bei unserem Video die Performanceszene ähnlich reinzuschmuggeln, wie The Menzingers das gemacht haben. Es geht in dem Video um ein Paar, und das geht irgendwann in eine Bar, in der die Band spielt. Wie Tobi meinte ist es wichtig, dass man beim ersten Video auch die Gesichter der Band sieht.
Verfolgt ihr regelmäßig, welche Musikvideos neu rauskommen?
Hansol: Man muss vielleicht dazu sagen, dass wir alle uns bis auf unseren Gitarristen Julius, der ein bisschen mit Fotografie zu tun hat, mit Filmen oder Videos kaum wirklich auseinandergesetzt haben. Also habe ich Eike geschrieben, was ich cool/schön/schrecklich an bestimmten Videos finde, ich aber nicht genau weiß, warum und ob es Sinn macht, das auch so zu tun. Seitdem ich mir mega fein aufgedröselt reingezogen habe, wie oft und auf was geschnitten und so, bewerte ich Videos automatisch danach. Ich glaube, das macht auch wenn man Songs schreibt, dass man anfängt andere Songs zu analysieren, auch wenn man das gar nicht möchte.
Tobi: Bei mir ist es auch oft so, dass ich Bands, die ich neu entdecke erstmal über Spotify höre, mich dann aber frage, wie die Leute dahinter aussehen. Und dann seh ich mir ein Musikvideo von denen an.
Kennt ihr auch dieses Gefühl von MTV-Nostalgie?
Tobi: Es geht. Dadurch, dass ich keinen Fernseher habe, würde ich sowieso nicht die Möglichkeit haben, MTV zu schauen. Ich glaube, dadurch dass wir so ein bisschen nerdig in dieser Punkwelt unterwegs sind, würde auf MTV zu wenig laufen, was wir interessant finden. Auf der anderen Seite ist es schade, dass ein Fernsehsender auf dem Musikvideos laufen, einfach ausgestorben ist und jetzt nur noch Jersey Shore oder sowas da läuft.
Hansol: Es gibt auf Deluxe Music aber zum Beispiel diese Sendung von Jennifer Weist.
Tobi: Das hab ich mir noch nie angeguckt.
Hansol: Ich auch nicht, aber ich war auch noch nie der MTV-Konsument um ehrlich zu sein. Ich bin da zu jung für. Ich hab mir irgendwelche Videos auf Youtube angeguckt als ich 13, 14 war. Deswegen ist MTV auch an mir vorbeigegangen.
Hat die Entwicklung um Youtube die DIY-Videoszene beflügelt?
Hansol: Früher mit Sicherheit. Youtube hatte ja den Slogan Broadcast Yourself, das hat super viel verändert, das jeder die Möglichkeit hatte, sich mit einer richtig schlechten Kamera zu filmen, selber Kram zu erstellen und hochzuladen. Mittlerweile ist das immer noch super gut, es bietet noch immer sehr viele Möglichkeiten, aber es macht eben jeder, so dass schneller untergeht, was man selber macht.
Tobi: Es ist vor allem mit wenig Aufwand verbunden. Man legt sich einen Account an, lädt hoch und gut ist. Bei Spotify muss man ja irgendwie über Zwischenhändler gehen, um das überhaupt hochladen zu können. Es ist der einfachste Weg, um Leute zu erreichen.
Ist Low Budget in der Szene eher eine Notwendigkeit oder eine Haltung?
Hansol: Es gibt ja dieses klassische Tourvideo, wo Go-Pro-Aufnahmen zusammengeschnitten werden und ich finde, das ist eine sehr, sehr schöne Art von Video. Eine Eingeschränktheit, dass man nicht so viele finanzielle Mittel zur Verfügung hat oder so krasse Skills, führt ja immer irgendwie dazu, dass man kreativ werden muss, um Dinge irgendwie anders zu lösen. Ich weiß nicht, ob das mit Absicht so gemacht wird, aber dass viele Leute, die Low-Budget-Videos machen, trotzdem dahinter stehen.
Tobi: Ist schon fast ein eigenes Genre. Man denkt sich: ‚Yo, das können wir erfüllen, das passt und Leute gucken sich das an.‘ Ich find es auch cool, weil man die Leute dann mal von einer anderen Seite sieht. Viele der Aufnahmen entstehen ja einfach unterwegs und man sieht, wie die Leute normal drauf sind. Bei einem normalen Video ist alles so durchgetaktet. Ein Tourvideo verrät irgendwie viel mehr über eine Band.
Haben Veranstaltungen wie diese heute abend, wo Videos mit anderer Wertigkeit präsentiert werden, für euch eine Zukunft?
Hansol: Ich weiß nicht wie sinnvoll es ist, das regelmäßig zu machen. Es kommt auf den Abstand an, gerade wenn das Thema ‚Lokale Bands‘ ist. Auch wenn Münster eine lebendige Szene hat, wäre das nach ein paar Monaten erschöpft. Aber allgemein hat das Format sicher irgendwo auch ein Publikum außerhalb der Szene. Für Videomacher von anderer Stelle ist es auch ganz interessant, weil es diese super verkopfte Subkultur gibt, die ständig Videos produziert, weil ständig jemand ein Album rausbringt. Das ist eine sehr eigene, vielleicht auch ein bisschen merkwürdige Videokultur.
Tobi: Ich glaub auch, dass wenn man das abseits der normalen Youtube-Gegebenheiten, also nicht zuhause vorm Laptop, zeigt, man nochmal ein anderes Gespür dafür kriegt, wie viel mehr da vielleicht auch hinter steckt. Hört sich vielleicht ein bisschen hochgestochen an, aber irgendwo ist das ja auch ein bisschen Kunst.
Ihr habt ja auch Videos aus den Shortest Pier Sessions gezeigt, die Bands vollkommen unterschiedlich genutzt haben. Inwiefern seht ihr in solchen Formaten denn Chancen zur kreativen Entfaltung?
Hansol: Die machen wir tatsächlich selber, Martin nimmt den Ton auf, Julius filmt das Ganze. Wir haben damit angefangen, weil wir eine Akustikversion eines Songs veröffentlichen wollten und wir wussten, das wir befreundete Bands haben, die da auch Lust drauf haben könnten. Dadurch, dass Julius Konzerte veranstaltet und wir die Bands teilweise eingeladen haben, ist das dann ausgeufert. Es ist eine sehr gute Möglichkeit, Songs mal anders zu präsentieren als auf Platte. Andererseits wird das von außerhalb auch als super Promovehikel gesehen, ich krieg im Monat immer noch ein paar Anfragen, ob man nicht für bestimmte Bands ne Session machen kann.
Tobi: Wir nehmen da auch nix für, dafür ist es nicht professionell genug. Das ist super für eine DIY-Szene, in der nicht alle mit einer dicken Brieftasche rumlaufen. Wir machen das dann auch mal gerne, um unsere Schuld zu begleichen. Wir spielen oft woanders, und da gibt es dann Leute, die einen bei sich schlafen lassen und Frühstück machen. Das ist so eine Selbstverständlichkeit, dass wir versuchen, irgendwie was an andere Leute zurückzugeben.
Shoreline sind noch bis Ende kommender Woche mit ihrer unten eingebetteten EP auf ausgiebiger Europatour. Behaltet die Burschen im Auge, wenn ihr ein Herz für Punk im weiteren Sinne habt, unterstützt generell eure Szene vor Ort und schaut euch mehr Musikvideos an!
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