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Kill your own pop song – Maurice von Bilderbuch im Interview

Maurice Ernst von Bilderbuch (Foto: Björn Buddenbohm)

Nach unserer Albumkritik zu Magic Life kommt nun der Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst zu Wort. Es ist bereits unser zweites Treffen. Das letzte Mal saßen wir vor zwei Jahren zusammen, um uns über Schick Schock zu unterhalten. Diese Mal sprechen wir über die Zeit nach Schick Schock, den fehlenden Mut in der deutschsprachigen Popmusik und natürlich über ihr neues Album Magic Life. Eine Gänsehaut haben wir bei dem Interview bekommen, als Maurice mit uns seine Prince und David Bowie Geschichten teilt. Wir treffen uns mit Maurice in Hamburg am Morgen nach Eröffnung der Elbphilharmonie, die gerade Stadtgespräch ist.

Gestern hat in Hamburg die Elbphilharmonie eröffnet. Kannst Du Dir auch vorstellen in einem Konzerthaus wie der Elbphilharmonie zu spielen?

Maurice: Ja, auf jeden Fall. Wir passen mit unserer Musik und der Dramaturgie gut rein und wir haben gerade im Wiener Volkstheater gespielt und spielen demnächst in der Volksbühne in Berlin. Wenn Du auf der Bühne stehst und in diese Räume reinspielst, das ist schon unglaublich toll. Es kommt da so viel rüber. Man darf es nur nicht zu oft machen, denn es ist furchtbar teuer. Von daher sollte man diese besonderen Momente für sich und die Fans einsetzen.

Wir haben uns fast genau vor zwei Jahren vor der Veröffentlichung von Schick Schock zum Interview getroffen. Damals wart Ihr quasi noch ein Geheimtipp. Was ist in der Zwischenzeit und nach der Veröffentlichung von Schick Schock passiert?

Maurice: Gefühlt sind wir immer noch eine coole Underground-Pop-Geschichte. Das empfinde ich noch als ganz angenehm. In dieser Position kann man sich viel trauen und genau an so einer Stelle befinden wir auch gerade. Wir haben einen Step gemacht, alles geändert und einen Pop-Approach in die Geschichte eingebracht, den man auch fortführen kann und den wir auch bewusst in gewissen Momenten fortführen. Aber auch die Zwischentöne, die wir bei Magic Life jetzt wieder angeschlagen haben, beweisen uns, dass wir uns auch die Freiheit nehmen Sachen zu probieren, die auch für uns nicht ganz logisch sind. Wir versuchen Songs zu generieren, die wie z.B. bei I ♥ Stress eine Mischung aus Kendrick Lamar und Radiohead sind. Wie können wir diese europäische Welt mit dem HipHop verbinden? Wie können wir uns nicht nur eindimensional am HipHop und Funk abarbeiten wie auf Schick Schock? Wie wichtig ist jetzt wieder Atmosphäre in unseren Songs?

Wir haben einige Konzerte von euch in den vergangenen beiden Jahren gesehen und waren überrascht über die bunte Mischung im Publikum und vor allem darüber, dass gar nicht so viele Teenies unter Euren Fans sind.

Maurice: Aber das ist doch gut. Uns war klar, dass wir kein Ventil für eine Jugendbewegung der 14 bis18-jährigen sein würden, die sagen: „Das ist unsere Lösung und unser Ventil zum Älterwerden“. Das wollten wir auch nicht sein. Wir sind ja selber zu Musikern gewachsen, die sich gleichzeitig am Pop und Zeitgeist versuchen.

Wann sind die Songs zum neuen Album entstanden?

Maurice: Wir haben uns Anfang 2016 hingesetzt und haben fast bei null angefangen. Das war eine lustige Zeit. Wir haben viel gejammt, alles zugelassen und irgendwann hatten wir alle Ideen liegen gehabt und uns dann für eine Richtung entschieden.

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In 2016 sind zahlreiche Musiker wie David Bowie und Prince gestorben. Beeinflussen solche Ereignisse auch einen künstlerischen Schaffungsprozess?

Maurice: Es geht einem unglaublich nah. Gefühlt haben dich beide täglich begleitet. Beide hast du so oft konsumierst. Die beiden sind nicht nur Idol und Begleiter, die sind Lehrmeister. Wenn die dann auf einmal plötzlich sterben und du gerade wieder selber anfängst Musik zu machen, dann geht dir das schon nah. Bei Bowie war es das Ende unserer Tour beim letzten offiziellen Schick Schock Konzert. Mike [Anm. d. Redaktion: Gitarrist Michael Krammer aka Mizzy Blue] hat an dem Abend ein David Bowie Low-Shirt getragen. Am nächsten Morgen nach der Show wache ich im Hotel auf und schau auf mein Handy weil ich wissen wollte, wie spät es ist. Ich lese, dass David Bowie gestorben ist. Später haben wir alle in der Lobby so gesessen [macht ein trauriges Gesicht], schauen uns die Bilder vom Vortag an und sagen „Hey Mike, Du hast ja das Low-Shirt zum ersten Mal angehabt“. Das war dann schon Gänsehaut und voll krass nah. Es gibt dieses eine Bild, auf dem Mike die Gitarre hinterm Kopf hält und in die Kamera schaut. David Bowie ist so 100% da in dem Moment. Dieses Bild haben wir auch gepostet, weil es gerade passiert ist. Das ist diese Energie, dieses Spiritualität in der Musik. Ohne groß esoterisch zu sein, aber wir machen ja nur Energien, und das dieses Gesicht vom Shirt runterlacht an diesem Tag ist auch eine Energie. Das ist schon krass. Und zu Prince habe ich leider auch eine Geschichte.

Teil sie mit uns bitte.

Maurice: Nach eineinhalb Monaten im Studio haben wir uns zur Erholung dazu entschieden ein Kino zu mieten, um als Band mit Freunden und alle die halt dazu gehören zum ersten Mal richtig gescheit Purple Rain zu schauen. Das Kino hatten wir wirklich eineinhalb Monate vorher gebucht. An dem Tag an dem wir ins Kino wollten, haben wir drei Stunden zuvor beim Essen zusammen gegessen. Wir sitzen am Tisch und auf einmal sagt der erste: „Prince ist tot“. Und ich sag: „Welcher Prince?“ Danach hat keiner mehr einen Bissen heruntergekriegt. Das war so krass. Das war so unglaublich krass. Ich bin danach auf dem Weg ins Kino noch kurz Heim gegangen und habe eine Boombox geholt. Ich wollte mich wie in einem schlechten Film und wie ein Kind benehmen. Ich habe die Box zu Hause ins Fenster gestellt, habe eine Prince Platte aufgelegt und wollte es nach draußen schreien, so dass alle Leute es mitkriegen, dass Prince gerade gegangen ist. Dann habe ich die Boombox mitgenommen und vor dem Kino extrem laut Prince gehört. Immer mehr Leute sind stehen geblieben und haben ein, zwei Prince Songs gehört bis wir ins Kino gegangen sind, um uns an diesem verdammten Abend den Film anzuschauen.

Gänsehaut Geschichte. Hast Du ihn mal live gesehen?

Maurice: Nein und das ist das Schlimme. Die letzten drei Mal in Wien habe ich immer Auftritte gehabt. Das allerletzte Mal als er auf Piano Tour kommen wollte, hat er die Tour nach den Anschlägen in Paris abgesagt. So viel dazu. Dann gehst Du wieder zurück ins Studio und setzt dich hin und machst für I ♥ Stress eine Bass-Progression. Und ich sag zu Peter [Anm. d. Redaktion: Bassist Peter Horazdovsky]: „Das klingt ja nach Prince und Prince hat es verdient, dass das kurz nach ihm klingt.“ Dann haben wir keine Angst mehr vor diesem Sound gehabt. Natürlich ist es eine andere Progression aber es hat genau diesen Flair. Und dann stehst Du da und denkst: „Ja, genau das ist es, eine Hommage von genau dem, eine Energie, die wir weiterführen sollen. Eine Energie, die wir adaptieren, die wir neu formulieren müssen, die wir in uns aufnehmen und die wir irgendwann zu neuen Ufern treiben sollen.“ Als die beiden gegangen sind, hat uns das schon zu denken gegeben. Aber jetzt gibt es etwas aufzufüllen. Es gibt etwas zu tun. Es ist nicht so, dass durch den Tod der beiden die Hoffnung stirbt. Im Gegenteil, ganz positiv gesehen, ist jetzt wieder Platz da.

Ihr nehmt euch auf dem neuen Album erstaunlich viele Freiheiten. Das ist etwas was wir im deutschsprachigen Pop nur noch selten erleben. Warum machen das andere Bands nicht auch?

Maurice: Das frage ich mich auch. Im deutschsprachigen Raum kommt es mir so vor, dass die Leute die meiste Zeit von einer Attitüde wie die Texte gesungen werden oder von Text an sich reden. Ist die Band politisch extrem? Will sie politisch witzig sein? Oder ist sie nur witzig à la Pizza von der Antilopen Gang? Oder sie ist sehr intellektuell wie Isolation Berlin und muss das was Ja, Panik mit Leichtigkeit gemacht haben wieder nur auf eine neue Art und Weise machen. Aber es gibt nicht diesen musikalischen Zugang, denn auch wenn eine deutschsprachige Band extrem gute Mucke hört, dann neigt sie dazu diesen Funk zur Liebe an Prince so extrem sauber und korrekt nachzuspielen wie andere Bands korrekt in deutscher Sprache singen, nämlich immer so nahe beim Wort, so nahe beim Ding. Wo bleibt da der Dirt? Wo ist da der verdammte Fehler im System? Und genau diesen verkackten Fehler im System gilt es wieder hervorzuheben. Den Moment einzufangen, die Direktheit, das ist etwas was ich extrem und grundsätzlich an der globalen Entwicklung der Musik vermisse. Den Session-Charakter bekommt man nur vorgegaukelt. Im deutschsprachigen Raum wird meist alles nur perfekt probiert, so dass man vergisst strange zu werden.

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Auch live, so hat es den Anschein, nehmt ihr euch bewusst den Spielraum bei der Interpretation eurer Songs, was wir ebenso nicht mehr so häufig bei Bands erleben.

Maurice: Das ist auch ein Grenzgang. Deine Fans wollen das Lied hören. Jetzt kommst Du um die Ecke und spielst einen deiner größten Hits nicht in der Originalversion nach, sondern acht Minuten lang. Bei uns ist das mit OM ganz extrem. Eigentlich ist der Song einer der Hauptsingles von Schick Schock. Wir haben daraus gefühlt eine acht Minuten lange Pop-Oper gemacht und die Leute sind nicht enttäuscht. Das ist wichtig, weil es könnte auch sein, dass die Leute da schon sagen: „Och, spielt doch mal das Original wie es auf Platte ist.“ Das ist nicht passiert. Das Entscheidende ist, das Wichtige herauszuarbeiten. Wir nehmen uns die Freiheiten, aber ich kann mir auch nicht erklären, warum das nur so wenige Bands machen. Bei Wanda z.B. hat man das Gefühl, dass in der Performance und auch in der Umsetzung diese Freiheit da ist, aber wieder künstlerisch eine sehr eindimensionale Geschichte ist.

Wir hatten geglaubt, dass noch mehr Bands auf euren funky Zug aufspringen, aber bis heute ist da nichts passiert. Uns fällt zumindest niemand ein.

Maurice: Es ist auch sehr schwer Bilderbuch zu covern. Maschin z.B. ist eigentlich ein sehr einfaches Lied. Trotzdem ist die Art und Weise und die Attitude wie wir das Lied präsentieren so wichtig. Das Geheimnis von Bilderbuch liegt im Wie liegt und nicht nur im Inhalt. Das ist der Soul und der Funk, den die wenigsten Leute einfach in sich haben. So machen sie ihre eigene Interpretation, die zwar auch funktioniert, aber degeneriert klingt.

Wir müssen nach Covern suchen.

[Später haben wir ein Cover gefunden. Ob er dieses gemeint hat?]

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Der Song ist auch recht vielschichtig.

Maurice: Kill deinen Pop-Song, mach“™ ihn nicht zu perfekt. Bei Bungalow war es auch genau diese Entscheidung. Der Song hat die Basis eines Hits, die alles sein könnte. Du hast diese sehr saubere Strophe und Refrain, aber Du haust ein Gitarrensolo rein, ein Ohrgasmus von einem Gitarrensolo, so konkret am Punkt und so poppy und kurz. Danach bist Du wieder im Song und es gibt wieder einen Part der noch nicht da war. Trotzdem ist der Song die ganze Zeit so easy. Kill your own pop song sozusagen. Die strangeness ist eines der Keywörter, wenn Du etwas machen willst was nicht nur Mark Forster ist.

Als wir Dich vor zwei Jahren getroffen haben, hattet ihr vor Erscheinen des Albums schon die Hit-Singles wie OM, Spliff und Maschin veröffentlicht. Dieses Mal habt ihr offenbar bewusst einen anderen Weg gewählt. Ihr habt erst Sweetlove, dann I ♥ Stress, dann Erzähl Deinen Mädels Ich Bin Wieder In Der Stadt und zuletzt erst Bungalow veröffentlicht. Parallel dazu gab‘ es überhaupt keine PR-Story zum Album. Was hat es mit der Veröffentlichungsstrategie auf sich?

Maurice: Das schöne ist, das wir auch unser eigenes Label sind. Und als Chefs können wir uns genau diese Ideen ausdenken und machen. Das Internet macht’s möglich, dass Du einen Song in ein Licht stellst und der muss nicht mehr nur Single sein. Du kannst Sweetlove nehmen und kannst sagen „hier habt ihr eine Idee, einen Moment, auch eine Punk gefühlt“, den wir euch als erstes Zeichen nach Schick Schock hinhauen. Natürlich denkt jeder „wow, was ist das denn jetzt? Ist das nur ein Teaser? Ist das ernst gemeint? Was soll das?“ Aber genau das macht es doch aus. Dass die Leute irgendwie mit dem in Kontakt treten. Es geht nicht immer nur darum, „das gefällt mir gut oder das will ich jetzt 1000 Mal hören“, sondern es geht auch um die Sache an sich. Musik muss nicht nur die Begleitung sein, wenn ich mir ein Milchbackl aus dem Billa hole. Musik kann auch Gegenstand sein, über den man sich unterhält und der Menschen vielleicht im richtigen Moment wieder Inspiration gibt.

Wir haben es nach amerikanischen Vorbild gemacht und unseren Fans Songs über das Internet gegeben, den wir zwar kein komplettes Video aber trotzdem eine Plattform geben wollten. Die Zeit dafür war da und wir wussten, bevor wir nix machen, können wir ja häppchenweise immer wieder mal Songs in den Raum werfen und dann schauen wir mal, was die Leute dazu sagen. Wir wollten damit einen Musikbeitrag abliefern. Das ist nicht immer pointiert nach dem Motto: „Jetzt haben sie wieder einen Hit abgeliefert und danach kommt wieder ein Hit.“ Die Idee war, sich davon frei zu machen und sich als Musiker und nicht nur als Pop-Opfer zu sehen. Ein richtig guter Bilderbuch Fan wird daran Spaß haben und das ist vielleicht auch der Grund, warum er Bilderbuch längerfristig geil findet, weil wir noch mit Wut und Laune Musik machen.

Gab es auch negative Reaktionen?

Maurice: Sicher, aber das waren nicht so viele. Viele haben es eher gar nicht mitbekommen. Und das ist auch okay, weil in dieser unglaublichen Welt so viel mit Informationen geschossen wird, dass nach fünf Minuten alles schon wieder alt ist. Man kann nicht erwarten, dass sich alle über Deinen Song unterhalten, nur weil er geil und unique, aber vielleicht gar nicht so leicht zu konsumieren ist. Es ist auch etwas für die Fans gewesen. Es war bewusst für die Leute, die uns mögen. Mittlerweile können wir das auch für unsere Leute machen. Mit einem Song wie Bungalow holt man dann wieder viele neue Leute in Deinen Kreis. Und nächstes Mal machen wir vielleicht ein Pop-Up Release. Es geht darum, dass man sich auch darin im Verhalten frisch hält. Wir wollen uns nicht einem Pseudo-Release-Verfahren unterwerfen.

Das neue Album ist insgesamt etwas ruhiger, verspielter und hat mehr Zwischentöne…

Maurice: …Fragmente, man weiß nicht genau wo man sich auf dem Album befindet, Du tappst von einem Moment in den nächsten und weißt, ob Du in einem Song bist. Wir wollten Schick Schock nicht wiederholen, sondern es kontrastieren. Schick Schock ist ein knackiges Album, das Song by Song abhandelt.

Die Gitarre z.B. ist noch präsenter als auf Schick Schock. Sie darf noch mehr geigen. Die Stars auf Magic Life sind auf jeden Fall die Gitarren. Wir haben auch viel darüber nachgedacht, wie wir der Gitarre wirklich auch diesen Platz geben, weil wir der Meinung waren, wenn jemand der Gitarre 2017-2020 einen neuen Sound geben kann, ein Sound von dieser Generation, dann sind das wir. Und dann müssen wir auch einfach ein bisschen ran und auch etwas probieren. Deswegen auch das Sweetlove. Da ist die Gitarre nicht am Amp angesteckt, sondern wir stecken die direkt am Computer an. Da machen wir einen Song wie in den 70ern rein theoretisch mit einem AC30 [Anm. d. Redaktion: Der wohl bekannteste Gitarrenverstärker von 1957]. Wir haben auch viele first takes und Jams auf dem Album. Wenig überlegen und viel mit Gefühl. Und wenn Du einen Overdub mit Autotune als 2. oder 3. Stimme machst, dann nimmst Du den direkt und probierst nicht lang (singt). Obwohl es digital ist, ist Magic Life weniger gefiltert als Schick Schock. Sie ist noch direkter bei uns.

Bilderbuch sind ab März auf Tour. Unsere Albumkritik findet ihr hier.