StartInterviewsKommando Kant im Interview "Wir nehmen eine kritische Satellitenposition ein"

Kommando Kant im Interview „Wir nehmen eine kritische Satellitenposition ein“

Im August haben Kommando Kant nach vier Jahren ihr zweites Album „Aussterben ist ein schönes Hobby“ auf DevilDuck Records veröffentlicht. Die Indie-Rockband stammt aus Husum, trinkt ihr Bier nun aber schon seit einigen Jahren in der nordischen Hansestadt an der Elbe. Kommando Kant sind Björn Albertsen, André Kurberg, Marius Magaard und seit letztem Jahr Lilian Stenzel.

Ich sitze mit André, Marius und Björn in einem Café im Hamburger Karoviertel. Lilli kann leider nicht dabei sein, weil sie just in dieser Woche ihren Job als Ergotherapeutin begonnen hat. „Schade“, sage ich, „ich hätte euer einziges weibliches Mitglied gerne kennen gelernt“. André nickt und fügt hinzu: „Weibliche Schlagzeuger sind selten, deswegen freuen wir uns umso mehr, dass Lilli bei uns dabei ist.“ André selbst arbeitet als Grafikdesigner, Marius als Redakteur und Björn als Ingenieur. Dennoch haben sich die drei Zeit frei schaufeln können – nicht nur vor einem ihrer raren Konzerte in diesem Jahr, sondern auch vor ihrem Bandjubiläum. Sie haben mit der vermeintlich philosophischen Bedeutung ihres Bandnamen aufgeräumt und Fragen beantwortet, wie es ist ein Album in Zeiten von Corona zu veröffentlichen und Songwriting bei verschiedenen Meinungen funktionieren kann.

Wie fühlt sich für euch als Band der Album-Release in dieser Zeit gerade an?

B: Erstmal ist es total nervig, weil wir erst seit Anfang diesen Jahres das Label mit angeschlossener Booking-Agentur am Start haben (Anm.: DevilDuck Records). Eigentlich hätten wir im März das Booking für die Zeit jetzt gestartet, aber letztendlich ging nichts. Das ist eigentlich das Jahr, in dem wir hätten viel spielen können und deswegen ist es extra bitter.
M: Drei Jahre haben wir daraufhin gearbeitet. 2017 waren wir im Studio für das Album. Im Januar hatten wir noch den Eindruck, dass sich alles richtig fügt.
B: Andererseits sind wir dankbar, dass wir ein Konzert spielen konnten, das schön war und angemessen.
A: Wir waren die erste Band, die wieder im Molotow spielen durfte! Um es mal positiv zu sagen: Wir mussten uns noch nicht so umgewöhnen wie andere Bands, die schon größer sind und hatten noch nicht so sehr darunter zu leiden. Gleichzeitig hatten wir das Glück ein Release-Konzert spielen zu können im vollen Molotow.
B: Im Gegensatz zur restlichen Kulturlandschaft sind wir auch nicht darauf angewiesen, weil wir noch unsere Jobs haben.
M: Wir haben keine Crew, die wir bezahlen müssen und deswegen trifft es uns in unserem Stadium ganz ok.

Wie schätzt ihr den weiteren Verlauf in Bezug auf die Kulturbranche ein?

A: Natürlich hoffe ich, dass es die Clubs schaffen zu überleben.
M: Es ist schon traurig, dass Hamburg als Kulturstadt sich damit schmückt auf Biegen und Brechen so ein Reeperbahn Festival durchzuführen, aber nicht Stamm-Institutionen am Leben zu halten. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Stadt der Prestige-Mantel aufrecht erhalten wird, aber nicht wirklich das, was es zum Leben braucht.
B: Man steht da irgendwie zwischen den Stühlen. Gerade für die freien Mitarbeiter in der Branche ist es gerade echt schwierig in Bezug auf Veranstaltungen. Natürlich ist es toll, wenn unter diesen Umständen etwas stattfinden kann, aber es ist schwierig, wenn die Botschaft vermittelt wird „Geht ja!“ und der Eindruck entsteht, dass es ja scheinbar funktioniert und man sich darum nicht mehr zu kümmern braucht. Was überhaupt nicht der Fall ist. Natürlich werden Dinge auf die Beine gestellt, alleine um Aufmerksamkeit zu erzeugen „Uns gibt es noch“, aber das soll nach Außen nicht die Botschaft vermitteln, dass es kostendeckend sei. Das ist ein Spannungsfeld, in dem sich gerade alle Kulturschaffenden befinden.
M: Man ist halt nicht vorbereitet, auf das, was noch kommt und die nächsten Monate wird es noch schlimmer werden. Open Air-Veranstaltungen fallen im Winter flach und parallel steigen auch die Infektionszahlen. Deswegen fühlt sich für mich persönlich unser Konzert jetzt beim Knust wie eine letzte Möglichkeit an, zu spielen bevor es wieder richtig schlimm wird.

Wie war die Zusammenarbeit an „Aussterben ist ein schönes Hobby“ mit dem Produzenten Hauke Albrecht, der auch mit Turbostaat und Leoniden zusammen gearbeitet hat?

B: Hauke war, glaub ich, zehn Jahre bei Turbostaat als Mischer mit auf jeder Tour und hatte ihre Live-Platte gemacht, die vor zwei Jahren rauskam. Bei den Leoniden hat er die Debüt-LP gemastert und mit Findus hat er auch zusammen gearbeitet. Er macht viele Sachen, die uns gefallen.
A: Die einem Teil der Band gefallen (lacht).

André spielt damit auf die verschiedenen Geschmäcker innerhalb der Band an, bei der jede*r eine eigene Playlist in den sozialen Medien auf den Bandseiten veröffentlicht, um die individuellen Vorlieben heraus zu streichen.

Führen eure unterschiedlichen Musikgeschmäcker beim Songwriting zu Diskussionen?

A: Songwriting ist Streit bei uns. Der Hauptteil beim Songwriting besteht bei uns aus Gezerre.
B: Wir hören sehr unterschiedliche Sachen und haben uns gerade in den letzten Jahren noch mehr auseinander entwickelt. Wir wissen auch heute noch nicht genau in welche Richtung es bei uns gehen soll, aber das sehen wir als einen positiven Einfluss aufs Songwriting.
A: Spannungen können ja auch positiv klingen.
B: Wir haben selten ein Riff und schreiben dann einen Song dazu. Eher „Hier hast Du einen Furz, mach einen Song daraus“ in Anspielung an „Fleisch ist mein Gemüse“. Jeder hat so seine Ideen bei uns und André und ich kabbeln uns meistens in welche Richtung es gehen soll. Halftime oder Punk und dann mit welcher Instrumentierung. Marius hat immer eine Meinung, aber lässt sich auf vieles ein und Lilli leidet dann darunter (lacht).
A: Wir haben Diskussionen mit verhärteten Fronten und da muss man dann argumentativ vorgehen.
B: Und Lilli haut dann manchmal auf den Tisch. Unsere Diskussionen sind insgesamt sehr produktiv geworden.
M: Zusätzlich haben wir ja auch noch unterschiedliche Gesangstimmen. Das ist das Spannungsfeld bei uns, verschiedene Menschen, die einen Tonklumpen in verschiedene Richtungen entzerren.
A: Am Ende kommt dann etwas raus, was wir alle mögen.

Sing Lilli auch?

M: Nein, bei dem Lied „Zeitalter der Fische“ auf unserem neuen Album singt eine Freundin von uns, Lia Bilinksi von The Anahita Project.
A: Lilli kann aber singen und wir arbeiten daran ihren Gesang bei unseren neuen Sachen einfließen zu lassen.

Wieviele Lieder schaffen es am Ende nicht aufs Album?

A: Wir legen uns immer sehr schützend über unsere Sachen und wollen eigentlich alles erhalten, was wir zusammen erarbeiten.
B: Es gab nur einen Song, der es nicht aufs Album geschafft hat, aber jetzt drei Jahre später nach der Studiozeit habe ich ihn mit Hauke fertig gestellt und er wird mit der nächsten Single erscheinen.

Ist das die Anspielung aus dem Studio gewesen, die ihr vor ein paar Wochen auf den sozialen Netzwerken gepostet habt?

A: Ja, es wird ein neues Video mit der Single kommen.

Apropos Video: Mögt ihr die Geschichte zu eurem Video „Stuck Inside Neugraben With The Death Wish Blues Again“ erzählen?

M: Ich habe das Lied geschrieben, aber André war als Regisseur tätig.
A: Ich bin Produzent, Regisseur, Kameramann und Editor in Einem. Was Marius und mir gelungen ist, ist die Verfilmung des Songtextes. Es geht darum wie es ist betrunken in der S-Bahn einzuschlafen. Neben Marius Method Acting sieht man in dem Video eine Fotostrecke von Menschen, die in der Bahn eingeschlafen sind und die beruht auf Fotos eines Kommilitonen von mir: Lorenz Vetter.

Warum Neugraben?

M: Neugraben hat einen wunderbar apokalyptischer Bahnhof. Außerdem hat sich Neugraben gut in das Reimschema gefügt in Anlehnung an Bob Dylans „Stuck Inside of Mobile With the Memphis Blues Again“.

Hast Du blöde Erlebnisse beim Einschlafen in der S-Bahn gehabt?

M: Ein unfreiwilliges Easter Egg in diesem Video sind zwei Diebe, die mir während des Videodrehs in die Manteltasche gegriffen haben, um mein Portemonnaie zu klauen.
A: Der Song ist eine Hymne an alle, die in Hamburg schon einmal in der S-Bahn eingeschlafen sind und beklaut wurden.
M: Oder ein Springbrett für ein größeres Unzufriedenheitsgefühl.

Woran arbeitet ihr aktuell?

A: Wir gehen regelmäßig in den Proberaum und haben viele neue Songs fürs dritte Album zusammen. Aufmerksamen Beobachter*innen ist nicht unentdeckt geblieben, dass zwischen dem ersten und zweiten Album vier Jahre lagen. Um den Ruf loszuwerden, wir seien langsam, haben wir uns gedacht, dass es mit den dritten Album ruhig schneller gehen darf.
B: Das heißt nicht, dass wir schneller beim Songwriting geworden sind, aber wir haben jetzt ein Label am Start und dann liegt das Material nicht so lange rum.
A: Dann holen wir uns endlich mal selbst ein und empfinden die neu veröffentlichten Sachen nicht direkt wieder als alt. Beim vierten Album wird es dann nochmal neu spannend.
M: Es ist schon mystisch über den Neugraben-Song zu sprechen, den ich 2015 geschrieben habe.
B: Der Song „Bräist“ vom neuen Album ist der älteste Song, der es mit aufs Album geschafft hat. Der wäre fast noch auf dem ersten Album erschienen.

Ihr werdet gerne als Band mit Großstadtgeschichten aus Kleinstädtersicht dargestellt. Worum geht es in euer Musik?

M: Das ist eine Sache, die wir machen, aber nicht alles. Ich finde es auch Quatsch uns auf das Kleinstadt-Ding zu reduzieren. Das zieht sich zwar als roter Faden durch, aber wir machen zum Beispiel auch politische Songs.
B: Wir machen gesellschaftspolitische, nicht tagespolitische Musik und behandeln gleichzeitig Alltagsthemen, die viele Menschen beschäftigen. Auf dem neuen Album sind auch Liebeslieder, auch wenn sie nicht so klingen.
A: Diese Bezeichnung Kleinstädter mit Blick auf die Großstadt ist ja auch nur eine Abgrenzung zwischen den Coolen und den Außenseitern. Kommando Kant nehmen eher eine kritische Satellitenposition ein.

Woher kommt eigentlich euer Bandname?

M: Wir sind uns einig, dass wir keine philosophischen Ambitionen damit haben, auch wenn uns das gerne unterstellt wird von Menschen, die uns nie gefragt haben. Die beschissene Wahrheit ist, der Name beruht auf Tom Gerhardt.
B: Das ist aber auch wieder falsch.
M: Nee komm Björn, versuch es nicht zu relativieren.
A: Es basiert auf dem Klamauk-Film „Voll normal“ aus den 90ern, nicht zu vergessen von Bernd Eichinger produziert. Es gibt da diese Szene, wo Tom Gerhardt um eine Kiste Kölsch „Kommando Pimperle“ spielt. Es gibt Kommando Pimperle, Kommando Kant, Kommando Flach, Kommando Faust.
B: Und ich hatte schon eine Liste mit Bandnamen zusammengestellt und einer davon war irgendwas mit Kommando… und dann haben wir diesen Film geguckt.
A: Sagen wir Philosopie 0% richtig, „Voll normal“ und das Spiel „Kommando Pimperle“ 50/50%.
M: Ich kannte diese Menschen zwei Monate und musste diesen Film mit ihnen gucken.
A: Lilli muss da in zwei Wochen zu unserem 8-jährigen Bandgeburtstag auch durch, weil sie wissen muss woher unser Name kommt. Ich lade alle zu mir ein und wir bestellen Pizza.

Kommando Kant spielen am 24. Oktober beim Knust Lattenplatz um 18:30 Uhr.

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