StartKritikenKonzertbericht: At the Drive-In in der Columbiahalle, Berlin

Konzertbericht: At the Drive-In in der Columbiahalle, Berlin

Ausverkauft – At The Drive-In in Berlin, Foto: Marc Ehrich

16 Jahre! 16 verdammte Jahre ist es her, da standen At the Drive-In mit ihrem stilprägenden Album „Relationship of Command“ im Rampenlicht der internationalen Hardcore-Szene. Ich war damals zarte elf Jahre alt und hatte andere Sachen im Kopf als vor sich hin experimentierender Post-Hardcore aus Texas. Dementsprechend habe ich diese Band erst für mich entdeckt, als es sie schon längst nicht mehr gab. Ich habe den Zeiten hinterhergetrauert, mich mit den anderen Projekten der Bandmitglieder versucht zu trösten: De Facto, The Mars Volta, Sparta, Bosnian Rainbows, Omars Solo-Alben, Antemasque. Sparta konnte ich 2007 sehen, Mars Volta habe ich erst 2012 abgehakt. Nie kam mir der Gedanke, At the Drive-In raufen sich nochmal zusammen. Die Reunion 2012 im Rahmen des Coachella Festivals und anderen wenigen Shows habe ich in die Schublade „Geld verdienen“ verfrachtet. Dementsprechend skeptisch war ich, als 2016 auf einmal die Nachricht einer erneuten Reunion in meinem Newsstream aufploppte. Mysteriöses Video, Originalbesetzung, Welttournee, neue Musik – große Ansage, ich hatte meine Zweifel. Bis kurz vor dem Konzert am 4.4. in der Berliner Columbiahalle fühlte ich mich bestätigt: Jim Ward verlässt aus unbekannten Gründen die Band, keine neue Musik aufgetaucht, ganz zu schweigen von den Ticketpreisen. Optimistischer stimmten mich Kommentare zu der Tour auf Facebook und Instagram: Viele feierten die Band derbe ab, betonten die Energie auf der Bühne und die spürbare Lust, wieder zurück bei den Wurzeln zu sein. Dann kam die Vorfreude.

Keine Klimaanlage, eine homogene Masse

Montag, 19.30 Uhr. Ich bin mit Helena und Marc von Testspiel auf dem Weg zur C-Halle. Helena hat keine Karte, wir werden von Ticketverkäufern angesprochen. Das Konzert seit langem ausverkauft, werfen uns viele ihre Tickets fast hinterher. Bei 20 Euro greift Marc doch gerne zu. Angekommen in der Halle, stelle ich zwei Sachen fest:

  • Das wird feucht (meine Brille schlägt an)
  • Das Publikum besteht zu 80% aus Männern (verkehrte Welt beim Stichwort Kloschlange)

Auf dem Weg zur Garderobe am Merch vorbei: T-Shirt – 25 Euro. Ich wende mich schnell wieder ab. Le Butcherettes spielen schon, bevor ich das erste Bier in meiner Hand halte. Die Sängerin Teri Gender Bender hat mir schon bei Bosnian Rainbows gefallen. Die Band ist mehr als ein Support, sie hätten einen eigenen Abend verdient. Pause, Bierzeit. Ich schaffe es sogar noch, mir ein zweites Bier zu holen. Ein Fehler, wie sich kurz danach herausstellt. Ich bin nicht gut darin abzuschätzen, wo der Pogo beginnen könnte. At the Drive-In betreten die Bühne und legen ohne große Worte los. Chaos. Kein Pogo mehr, das ist die kollektive Verschiebung von Menschen. Der Refrain ist noch nicht mal dran, da ist mein Bier schon leer, verteilt auf Münder, Haare und Klamotten der anderen. Und mich natürlich.

At The Drive-In Moshpit in Berlin, Foto: Marc Ehrich

80 Minuten, keine Zugabe

„Arc Arsenal“ als Opener, dann „Pattern Against User“. Ziemlich schnell, nur etwas unkoordiniert, stoße ich bis zur vierten Reihe vor und erhasche zum ersten Mal einen Blick auf Cedric und Co. Spaß und Energie springt aus ihren Gesichtern. Das 80-minütige Set bekommt einen kräftigen Stempel des 2000er Albums „Relationship of Command“ aufgedrückt. Vor allem freuen mich die drei Songs meiner Lieblingsplatte: „Vaya“. Sie ist wie eine Zwischenstufe von At the Drive-In und The Mars Volta, nur ein bisschen schlechter aufgenommen. Cedric bleibt wortkarg, auch sein Schreigesang ist nicht mehr so kratzig wie früher. Trotz seiner Skinnyjeans springt er über die Bühne, aufs Schlagzeug und wieder zurück. Omar lässt ständig sein Talent auf der Gitarre aufblitzen. Die Zeit geht viel zu schnell vorbei. Besonders bitter ist es dann, wenn die Zugabe ausgelassen wird.

Klar, ich hatte zumindest etwas mehr erwartet. Während des Konzerts waren die 15 Jahre seit der Trennung deutlich sichtbar. Trotzdem war ich glücklich. Schließlich kann ich jetzt voller Stolz eine Band von meiner Live-Liste streichen.

Video: At The Drive-In „One Armed Scissor“ live @ Columbiahalle, Berlin

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