StartAlbum der WocheMarissa Nadler - Strangers (Kritik)

Marissa Nadler – Strangers (Kritik)

Der Blick in den Kalender verrät: Es ist Mai. Der Blick nach draußen verrät: Graue Wolken verdecken einen möglichen blauen, von Sonnenstrahlen gekrönten Himmel. Der Blick auf meine Mitmenschen verrät: Dieser Zustand wird als untragbar, ja nahezu katastrophal empfunden. Da fragt man sich doch, ob diese Menschen noch nie etwas von dem Konzept der Summertime Sadness (zu deutsch: Sommerzeit Traurigkeit) gehört haben, also jener angenehmen Form der Melancholie, mit der man sich so vortrefflich ohne ermüdende Euphorie durch die heißen Monate schlawinern kann.

Als Einführung in die Thematik veröffentlicht Marissa Nadler, genau zur rechten Zeit, ihr siebtes Album. Wenige Menschen kennen sich in der Zusammenführung von Schwermut und Leichtfüßigkeit so gut aus wie die Amerikanerin, die seit 2004 auf einem recht klar abgesteckten Feld agiert, welches in seinem Minimalismus jedoch eine Vielzahl möglicher Kombinationen zulässt. Mittlerweile stehen dem puristischen Folk der frühen Tage sogar E-Gitarren, Synthesizer und Soundeffekte zur Seite, so dass auf „Strangers“ auch Platz für ein schmachtend-düsteres Stück Pop-Grandezza wie „All The Colors Of The Dark“ ist.

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Diese Mischung aus großer Geste und langsamer, somnambuler Musik erinnert noch stärker als früher an das offizielle Aushängeschild der traurigen Sommerzeit, Lana del Rey. Immer wieder poppt diese Referenz im Laufe des Albums auf, ohne jedoch zum Damoklesschwert zu werden. „Strangers“ bietet genügend Eigenständigkeit und Finesse, um dem Vergleich mit del Rey und ihren schwindsüchtigen Songs standzuhalten, zumal Nadlers Ansatz noch immer um ein paar Stufen finsterer ausfällt. Im Rahmen dieser Farbwahl passt der obligatorisch aufgeführte Link zur Metalszene noch am besten, obwohl er im Grunde noch mehr Staffage ist als etwa bei Kollegin Chelsea Wolfe.

Es ist vor allem das Umfeld, welches solche Assoziationen begünstigt. Nadler tourt mit Rockbands und arbeitete für „Strangers“ erneut mit Randall Dunn zusammen, der sonst eher für einen Sound der Prägung Wolves In The Throne Room, Earth oder Sunn O))) bekannt ist. Einflüsse aus diesem Bereich bleiben dabei stets Nuance, wie etwa im Fall der sich zeitlupenartig windenden Gitarren im Unterholz von „Hungry Is The Ghost“, sorgen aber auch dafür, dass die Songs trotz ihrer Monotonie abwechslungsreich und detailverliebt bleiben. „Katie I Know“ verbindet so zum Beispiel klackernde Drums, flächige Synthesizer und perlende Gitarren mit Nadlers verspieltem Gesang und erschafft damit ein Klangbild, das sich neben Traditionen wie Pop, Folk oder Indierock ansiedelt.

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Neben dem charakteristischen Gesang ist es also vor allem eine bestimmte, verhangene Atmosphäre, die solche Genre-Kombinationen ermöglicht. Unheilverkündende Synthesizer verschmelzen mit repetitivem Fingerpicking („Skyscraper“), eine finstere Orgel tut sich mit einer strengen Snare zusammen („Nothing Feels The Same“) und spätestens, wenn sich im Titeltrack Nadlers tastende Stimme und eine besonders traurige Steelgitarre begegnen, möchte man sofort David Lynch kontaktieren und ihm das Stück für den Soundtrack der kommenden Staffel Twin Peaks ans Herz legen.

Wie besagter Regisseur streift Nadler auf „Strangers“ durch ein Amerika zwischen Glanz und Niedergang, zwischen Folklore und Modernisierung. Nach dem introspektiven Ansatz vorheriger Alben ist der Blick dieses Mal nach außen gerichtet, manifestiert vor allem im beobachtenden „Shadow Show Diane„, das nicht als einziges Stück einen fremden Namen im Titel trägt. Trotz dieser thematischen Öffnung hat Nadler dafür gesorgt, kaum Licht in ihren abgedunkelten Klangentwurf hineinzulassen und somit ein Album zu schaffen, das in den zweifelsohne kommenden, heißen Tagen uns bleichen Musiknerds wohltuende Kühle spenden wird.

7,7/10

„Strangers“ erscheint am 20.05. via Bella Union auf Platte, CD und digital.

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