Ich gebe zu, ich bin ein bisschen nervös an diesem Tag.
Das hat mehrere Gründe.
Zum Einen bin ich sehr gespannt darauf, ein Rammstein-Konzert zu sehen. Laut seriöser und unseriöser Onlinequellen und Menschen aus meiner Umgebung ist das ein Event, das man unbedingt erlebt haben muss in seinem Leben. Ob man die Musik mag oder nicht – diese Experience scheint in der Vita eines musikaffinen Menschen nicht fehlen zu dürfen.
Zum Anderen spüre ich schon vorher die Ambivalenz und frage mich, welches Publikum mich dort erwarten wird. Bei 28 Grad und zwischen nicht gerade wenigen Flammenwerfern können Menschen unterschiedlicher politischer Meinung mit einigen Litern Bier im Bauch durchaus ihre friedliche Gesinnung verlieren. Denn das ist mir vorher klar: Es wird heiß werden!
Man hat mir allerdings einen Sitzplatz zugewiesen, so dass ich mich wiederfinde neben einem älteren, ca. 70jährigen Pärchen und hinter einer 6köpfigen Reisegruppe aus Brasilien, die extra wegen des Rammstein-Konzerts angereist sind und sie unbedingt in ihrer Heimatstadt Berlin erleben möchten.
Dass das hier ein Heimspiel ist, ist etwas Besonderes. Ebenso, dass dieses Konzert an eben diesem Ort, dem Olympiastadion stattfindet. Die Ambivalenz meldet sich also wieder zurück und wird sich für den Rest des Abends nicht ganz legen.
Die Einstimmung durch das Klavierduo Jatekok bringt zum Anfang aber eher Ruhe und Frieden ins ausverkaufte Olympiastadion. Die beiden Frauen aus Frankreich interpretieren vierhändig die bekanntesten Rammsteinklassiker.
Und dann geht es los, Rammstein schreiten die Schritte des Olympiastadions hinunter, gehen vom Backstagebereich auf die Bühne und eröffnen mit „Was ich liebe“ dieses Konzert. Erster dunkler Rauch steigt auf, die Experience ist eröffnet. „Links 2-3-4“ folgt und die Menge ist aktiviert. Die ersten Feuerspielchen beginnen und „Mein Herz brennt“ führt zu den ersten Moshaktionen.
„Puppe“ ein Song vom neuen Album wartet mit einem riesigen brennenden Kinderwagen auf und sorgt zumindest bei mir für die Art von kindlichem Urgrusel, der dazu führt, dass manche Kinder auch mit 12 am liebsten mit Licht schlafen wollen.
Nicht lange später kommt der Song, auf den alle gewartet haben – „Deutschland“. Meine Ambivalenz erreicht ihren Höhepunkt, wird aber durch eine kleine spaßige Intro-Aktion ein wenig gebremst: Rammstein tragen dunkle Anzüge mit LED-Streifen, die sie aussehen lassen wie zu „Deutschland“ tanzende Strichmännchen. Das erinnert ein bisschen an Kraftwerk und ist auf jeden Fall ganz nett. Beim anschließenden Song selbst dann legt sich meine Ambivalenz zumindest ein wenig. Bei den prekären Zeilen wird auffällig leiser mitgesungen als beim Rest, die einzige Deutschlandfahne, die ich jetzt in der Menge erblicken kann, ist nach spätestens 20 Sekunden wieder verschwunden.
„Radio“ sorgt noch für einige Tanzstimmung, bis dann die Bühne für „Mein Teil“ zurechtgemacht wird. Der Kessel wird aufgebaut, Till entzündet ihn, die Menge jubelt, der arme Flake wird in feuerfestem Anzug von ihm mit einem Flammenwerfer bearbeitet, die Messer werden gewetzt und die Konzertbesucher, die wirklich heute mit Kochmütze und Schürze aufgelaufen sind, freuen sich am meisten.
„Du hast“ und „Sonne“ treiben die Stimmung natürlich noch mal richtig auf die Spitze und die Feuershow erreicht ihren Höhepunkt. Wie am Ende von „Sonne“ dunkle Rauchschwaden den abendroten Himmel bedecken, das hat schon etwas sehr Mystisches. Ich bin definitiv zutiefst beeindruckt.
Das ist allerdings noch steigerbar. Für den nächsten Titel begeben sich Rammstein auf die Mittelbühne, um zusammen mit dem Duo Jatekok zu performen. Das Stadion wird zu einem Lichtermeer, das Publikum singt zum größten Teil alleine „Engel“ und zum Abschluss wird die komplette Band in Schlauchbooten zurück zur Hauptbühne gereicht – von ihrem Publikum.
Spätestens jetzt habe ich dann doch Gänsehaut. Mit einigen weiteren Krachern geht dieses Konzert dann zu Ende, u.a. „Du riechst so gut“ und „Ohne Dich“. „Ich will“ läutet dann das imposante Finale ein. Ein kurzes „danke“ an die Zuschauer, ein ohrenbetäubender Knall und die Show ist vorbei.
Diese Show und diese Band (die ich beide definitiv als Gesamtkunstwerk betrachte), räumen mit meiner Ambivalenz zwar nicht komplett auf, aber lassen mich dieses Stadion doch mit einem sehr viel besseren Gefühl zu Rammstein verlassen als betreten.
Das meine ich allerdings ausschließlich politisch. Mein CO2-Fußabdruck hat durch den Besuch dieses Feuer-Rauch-Kerosin-Konzerts definitiv sehr gelitten.
Rammstein Tour 2020 – 5 neue Deutschland-Termine im Rahmen ihrer „Europe Stadium Tour“
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