Aufbau und Niedergang, Schönheit und Zerstörung können sehr nah beieinander liegen, gerade in der Musik. Wo der eine simplen Lärm vermutet, da findet der andere Momente erhabener Transzendenz. Dass man als Künstler über diese dünne Schnur auch stolpern kann, erfuhr Justin Lockey am eigenen Leib. Der Editors-Gitarrist wollte einfach nur Krach auf die Welt entlassen, wuchtige Streicher so formieren, dass sie den Hörer in Form einer Kakophonie überfallen. Ein paar Blicke ins Adressbuch und ein wenig digitaler Datenwechsel später hatte Lockey eine neue Band gegründet, deren Debüt nun so gar nicht nach zukunftsverweigerndem Lärm klingen mag. Doch zum Glück liegen ja auch Scheitern und Triumph vor allem im Auge des Betrachters.
So klingt „Minor Victories“ keinesfalls nach missglücktem Experiment, obwohl die Grundkomponente durchaus Präsenz zeigt: Lockeys Streicherarrangements schmiegen sich prominent um die ätherischen Vocals, die Slowdive-Sängerin Rachel Goswell zur Verfügung stellt. Fehlt nur noch der Krach, den Bruder James Lockey und Mogwais Stuart Braithwaite mit allerlei Geknacke und Geknirsche im Unterholz zwar andeuten, aber selten wirklich konsequent heraufbeschwören. Vielmehr bildet sich aus den unterschiedlichen Komponenten ein Hybrid, der offenkundiges Interesse daran zeigt, den seit längerem auf der Stelle wabernden Kollegen Postrock mal wieder ein paar frische Impulse zu verpassen.
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Die unterschiedlichen Akteure sorgen effektiv für Abwechslung und lassen ihr tendenziell elegisches Verständnis von Musik hervorragend ineinandergreifen. „A Hundred Ropes“ führte da als Vorgeschmack schon auf die richtige Fährte, spätestens wenn Streicher, Goswell und Braithwaites schönste Gitarren zu einem Himmelfahrtskommando ansetzen; glücklicherweise sind mit diesem Song jedoch noch nicht alle Tricks der Band verraten. So lauert in „Minor Victories“ noch die ein oder andere Überraschung, etwa das großartige Duett „For You Always“, auf dem sich Goswell und ein gewohnt grimmiger Mark Kozelek zu milde-angespannten Xylophon-Klängen duellieren.
Das andere Duett liefert ganz im Gegensatz dazu den größten Pop-Moment der Platte. „Scattered Ashes (Song For Richard)“ stellt Goswell James Graham, seines Zeichens Sänger bei The Thwilight Sad, zur Seite und verfällt der Grandezza, der sich auch die Editors gerne mal hingeben, die hier aber die Ausnahme bildet. Viel lieber stürzt sich die Band in statisch aufgeladene Klangflächen, wie es etwa das mit großen, schweren Harmonien aufwartende „Folk Arp“ vormacht, das deutlich an die Experimente erinnert, die Mogwai in jünster Zeit mit der menschlichen Stimme angestellt haben, spätestens wenn malmende Gitarren das sechsminütige Stück entern.
https://vimeo.com/161946587
Solche Mahlströme meistern Minor Victories problemlos, und sie zählen fraglos zu den packendsten Momenten des Albums, das die Band folgerichtig ganz nonchalant mit dem Song „Higher Hopes“ absaufen lässt. In dessen Finale kippt die Stimmung noch am ehesten in Richtung Destruktion, während das vorrangegeange Epos „The Thief“ zwar einen ähnlichen Weg geht, seine anfängliche Zurückhaltung jedoch weniger für ein vernichtendes Gemetzel denn ein lieblich erblühendes Gitarren-Buquet aufgibt. Strahlen können derart zeitintensive Arbeiten vor allem, weil Minor Victories nicht zehn Mal die ewig gleiche Formel wiederholen, sondern auf Variation setzen.
„Corgs“ wartet etwa mit bekannter Gitarrenarbeit und besonders sanft gehauchtem Gesang auf, ist jedoch so strukturiert, dass man vielmehr an einen konventionellen Rocksong denn an ein experimentelles Stück Postrock denken muss. Form und Inhalt treten hier in einen gewinnbringenden Widerspruch, der „Minor Victories“ in Gänze vor blinder Gefallsucht rettet. Das Album ist eben nicht einfach die Summe der einzelnen Teile, sondern eine vielgestaltige Verzahnung geworden, die darauf hoffen lässt, es nicht mit einem einmaligen Intermezzo zu tun zu haben. Auf diesem neu erschlossenen Terrain gibt es fraglos noch einiges zu entdecken.
8,1/10
„Minor Victories“ erscheint am 03.06. via Pias auf Platte, CD und digital.
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