StartAlbum der WocheMitski - Puberty 2 (Kritik)

Mitski – Puberty 2 (Kritik)

Das Sommerloch klafft noch immer im VÖ-Kalender der Labels. Wir machen das Beste draus und stopfen es erneut mit einem hervorragenden Album, dem im Laufe des Jahres an dieser Stelle nicht die ihm gebührende Würdigung zu Teil wurde: Mitskis „Puberty 2“.

Manchmal helfen Kontraste ja weiter, also blicken wir kurz auf das Album, das wir am 17. Juni statt „Puberty 2“ zum Album der Woche kürten: Swans „The Glowing Man“. Bis auf den Veröfffentlichungstag und ihre Qualität teilen sich beide Platten kaum etwas. Mitski ist eine junge, kosmopolitische Japanerin im New Yorker Exil, Michael Gira ein faltiger Cowboyhutträger. Ihre Songs sind kurz und wendig, die der Swans sind massiv und überdimensioniert. „The Glowing Man“ markiert das Ende, „Puberty 2“ den Beginn einer Karriere. Wollte man es noch schärfer zuspitzen, man könnte schlussfolgern: Swans sind die Vergangenheit, Mitski ist die Zukunft.

Ganz falsch läge man damit sicher nicht, würde jedoch keinem der beiden Alben wirklich gerecht werden. „The Glowing Man“ ist weit mehr als ein müder Abschied, und Mitski braucht derartige Konstrukte nicht, um sich und ihre Musik zu profilieren. Sie ist eine Singer/Songwriterin, die sich der Traditionen des Genres bewusst und nicht gekommen ist, um etwas von Grund auf neu zu erfinden. Über derartige Reflexe ist Mitski hinaus, stattdessen kompiliert sie freimütig all die unterschiedlichen möglichen Varianten, die ihre Vorgänger_innen im Lauf der Jahre zwischen Grunge, Folk, Indie und Pop erarbeitetet haben.

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So sind Gegensätze für „Puberty 2“ sicher zentral, wie schon der Opener „Happy“ darlegt. Nach einem Drumcomputer-Stakkato entfaltet Mitski einen lieblichen Song, der sich zunehmend zwischen einem einnehmendem Groove und seinem Konterpart in Form eines manischen Saxophons verliert, bis das Stakkato erneut in vollkommen zerschossener Form die Kontrolle übernimmt. Natürlich lässt sich das in Addition aller Elemente ironisch lesen, widerspricht der Song doch auch ohne den mit Klischees spielenden Clip seinem positiven Titel; doch Mitski leistet hier eben mehr als eine ironische Gegenübertstellung.

Vielmehr vermischt sie die gegensätzlichen Emotionen und musikalischen Möglichkeiten zu einem indifferenten Matsch, der nicht mit witzelndem Zeigefinger, sondern äußerst behutsam die poröse Natur des (amourösen) Glücks aufzeigt. In dieser Manier funktionieren beinahe alle der hier versammelten Stücke, ohne dabei auf ein Rezept fixiert zu sein. „Fireworks“ kombiniert etwa sanfte Streicher, einen billigen, aber treibenden Beat, unheilvolle Synthesizer und eine folkige Akustikgitarre zu einem wehmütigen Stück zwischen Lana Del Rey, EMA und einer Prise Chelsea Wolfe.

Vorbilder sind auf diesem Album ohnehin permanent präsent; die Stimme erinnert mal an Annie Clark aka. St. Vincent , die Wut an die junge PJ Harvey, doch Mitski findet stets einen Weg, sich dieser und nicht diese Assoziationen zu bedienen. So ist „My Body’s Made Of Crushed Little Stars“ etwa ganz klar in den Neunzigern verwurzelt, schafft es jedoch durch das Fehlen jeglichen Beats die verzerrte E-Gitarre vollkommen auf der Stelle treten zu lassen und damit für einen überraschenden Verfremdungseffekt zu sorgen. Am nutzbarsten setzt Krach als Stilmittel jedoch das monumentale „Your Best American Girl“ ein, in dessen Refrain Mitski raumgreifende Mogwai-Post-Rock-Gitarren auffährt und den Song damit zu einem gerade ob seiner Distortion erstrahlenden Juwel formt.

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Ebenso wenig wie es hier bei der Verzerrung der Fall ist, sind die rauschenden, knackenden oder krachenden Details, die beinahe jeder Song in sich trägt, dazu gedacht, den Hörgenuss zu stören, sondern vielmehr einen spezifischen Charakter herauszuarbeiten. Synthetische Orgeln, Streicher aus der Dose, all das stützt die Songs, füllt ihre Leerstellen auf und reißt neue ein, wie etwa im grob fahrlässigen Closer „Burning Hill“, der sich gerade mit feinen Streichern in Richtung Hymne schraubt, als das Stück einfach ausklingt, noch bevor die Klimax überhaupt in Sichtweite gerät.

Mit seiner Spielzeit knapp unter zwei Minuten ist der Song symptomatisch für die Platte, die mit immerhin elf Songs nur knapp über die 30-Minuten-Marke kriecht. Die Kürze ist jedoch keiner Form von Schludrigkeit oder Selbstzweck geschuldet, im Gegenteil: „Crack Baby“, eine sanfte Ballade, die gegen Ende in kaltem Rauschen verschwindet, bekommt die fünf Minuten die sie braucht, um ihren vollen Zauber zu entfalten. Analog dazu wird jedoch auch keine Idee künstlich aufgeblasen, was „Puberty 2“ zu einem wundervoll pointierten Album macht, an gerade wegen kleiner Widerhaken alles genau dort sitzt, wo es hingehört.

8,6/10

„Puberty 2“ erschien am 17.06. via Dead Oceans auf Platte, CD und digital.

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