StartInterviewsNew York Cares - Interpol im Interview mit Matthes Köppinghoff

New York Cares – Interpol im Interview mit Matthes Köppinghoff

Es gibt Musik aus New York vor dem 11. September 2001 – und es gibt Musik aus New York seit dem 11. September 2001. So sind da zum Beispiel The Strokes, auf der anderen Seite Interpol. Als letztere ihr Debütalbum „Turn On The Bright Lights“ damals veröffentlichten, da war es der gefühlte Gegenentwurf zu den Strokes: Melancholisch-romantisch. Statt dürren Figuren in Lederjacken gab es hier ein paar blasse Typen in Anzügen. Und was waren es für Songs, die sie da raus hauten. „NYC“ war eine so schöne Liebeserklärung an ihre Stadt – so gut, dass sogar R.E.M. das Ding coverten.

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich diese Kapelle nun gesehen habe. Eindrucksvoll im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem ein Auftritt im Prospect Park in Brooklyn – und auch ein Interview mit Paul Banks in Berlin vor drei Jahren. Zum letzten Mal hatte ich Interpol bis dahin letzten Mal im Juli 2018 im Londoner Hyde Park gesehen: Sie standen auf der handverlesenen Special Guest-Liste, die für den 40sten Geburtstag von The Cure einheizen sollten. Es war ein verdammt sonniger Samstagnachmittag, etwa 32° Grad, viele hatten Sorge, dass der eine oder andere Fan (und vielleicht sogar Robert Smith) zu Staub zerfallen würde. Trotzdem rannte Daniel Kessler im Anzug, Krawatte und zugeknöpften Jackett über die Bühne – ihr optisches Außenbild ist ihnen halt sehr wichtig. „Jeans? Nein, nie. Ich glaube, unser Schlagzeuger trägt sowas manchmal“, soll Kessler mal in einem anderen Interview gesagt haben. Etwas angewidert.

Etwas karg, es ging aber: Eine Garderobe im Keller vom Hamburger Mehr! Theater am Großmarkt. Drei Stühle, wenig später bitten Paul Banks und Daniel Kessler von Interpol zum Gespräch.

Marauder-Tour 2018: Zu Gast im kalten Hamburg

An diesem Tag sind Interpol in Hamburg zu Gast, es ist kalt und windig, abends spielen sie ein Konzert im Rahmen ihrer „Marauder“-Tour. Bis zu diesem Interview-Freitag hatte ich nicht gewusst, wie verwinkelt es unter dem Mehr! Theater eigentlich so zugeht. Wir werden diverse Treppen herunter geführt, durch mehrere Gänge, an Ecken entlang und landen schließlich in einem kargen Garderobenraum. Ein paar Spiegel, ein trauriger Kleiderständer und ein verwaister Schrank. Wir drapieren drei Stühle, damit es halbwegs wohnlich aussieht, bedienen uns am Catering-Kaffee, und wenig später stürmen Paul Banks und Daniel Kessler den Raum. Während Pauls Anzug noch in irgendeinem Flight Case steckt (er kommt in Lederjacke und Mütze rein, etwas übermüdet hält er sich an einem Coffee To Go fest), hat Daniel seinen „Freizeit“-Anzug an. Das heißt in diesem Falle, der Anzug entspricht schon dem bandinternen Dresscode, dazu trägt er aber weiße Vans um das Bild aufzulockern. Gelingt nur mittelprächtig, sieht aber immerhin chic aus und nennt man glaube ich „Smart Casual“.

Dressed For Success

Dann geht“™s auch schon zur Sache: Gut geht“™s ihnen, auch wenn Daniel am Anfang der deutlich gesprächigere der beiden ist. Daher antwortet er mir auch zuerst zur Frage dazu, was ihm bezüglich des 7. Juli 2018 besonders in Erinnerung geblieben ist. Es war Gay Pride Day, England hat das Viertelfinale der Fußball-WM gewonnen, es war brutal heiß; für ihn war der Tag etwas ganz besonderes.

Von links nach rechts: Daniel Kessler (Interpol, Gitarre), Matthes Köppinghoff (nicht bei Interpol), Paul Banks (Interpol, Gesang, Gitarre). Alle drei sind Netflix-Kunden und können „Narcos Mexico“ empfehlen.

„Für mich war es besonders rührend, nur im Hyde Park zu sein – ich war als Kind oft dort, ich bin nicht so weit weg von dort aufgewachsen, also war ich auch oft mit meiner Familie dort. Und meine beiden Brüder kamen zu dieser Show. Es war ein seltsamer Kreis, der sich da geschlossen hat. Die Tatsache, dass wir direkt vor The Cure spielen durften, und… Ich kann mich nicht mehr an die Anzahl der Leute erinnern, aber es war eine Menge. Es war wirklich voll – es war ein toller Tag.“

Man verbindet Interpol zwangsläufig mit ihrem Wohnort New York (und jetzt nicht Brooklyn oder so, sondern wirklich MANHATTAN). Aber zwei der aktuell drei Mitglieder wurden in England geboren. Und diese sitzen mir gegenüber: Daniel Kessler stammt aus London, Paul Banks aus Clackton-on-Sea. Letzterer meint sich zu erinnern, dass etwa 65.000 Leute im Juli da waren. Er erwähnt auch, dass Interpol schon vorher im Vorprogramm von The Cure unterwegs waren – aber auch er ist noch sichtlich beeindruckt, darüber täuscht auch sein genuscheltes „it was cool“ nicht hinweg.

New York City Cops

Ich arbeite meine Interviewfragen ab, wir kommen zum neuen und sechsten Album. Bei den Aufnahmen zur Platte „Marauder“ durften Interpol die Räumlichkeiten von den Yeah Yeah Yeahs nutzen – allerdings nicht sehr lange, weil die Nachbarn die Polizei riefen. Stichwort Ruhestörung.
„Sie riefen sie zweimal an. Das zweite Mal war das Finale, wir wurden rausgeschmissen, ähm…. ja, wir teilten, wir benutzten den Raum von den Yeah Yeah Yeahs Raum in New York. Das erste Mal kamen die Cops zur Warnung, und dann das zweite Mal kamen sie mit einer Einladung zum Gehen. Diese Einladung nahmen wir an und… naja, wir nehmen es als eine Art Dekoration.“

Macht sich immerhin schön in jedem Pressetext. Apropos: In eben diesem steht, dass „die Band auf dem Weg zurück zu alter Stärke“ sei und dass es im Studio sehr viel Spontanität gegeben hätte. Dem stelle ich meine Vorstellung der Band gegenüber: Detailverliebte Musiker, die darauf achten, dass bitteschön nichts spontan zu sein hat und alles an seinem Platz sein soll. Wie passt das zusammen? Würde Daniel Kessler nicht Gitarre bei Interpol spielen – der Initiator der Band wäre auch ein guter PR-Mann.
„Da ist zum Teil etwas Wahres dran. Die Songs sind ein bisschen direkter. Da ist so eine Energie und Dringlichkeit auf dieser Platte und den Songs, etwas, das auf der ganzen Platte zusammenhängend ist. Ich denke, es gibt Elemente, stimmlich und musikalisch, die sind der nächste Schritt nach vorne. Es ist so gut wie alles was wir vorher gemacht haben, in diesem Sinne kommen wir vorwärts. Ich denke, das ist die Idee hinter unserer Band: Vorwärtskommen.“

Paul Banks, in seiner Freizeit übrigens passionierter Surfer und Boxer; er schätzt auch im Interview erst einmal seine Gegner ab. Er antwortet: „Deine Einschätzung passt schon ganz gut – also dass alles an seiner Stelle zu sein hat, nichts ist zufällig… Ich denke, als Künstler wollen wir wachsen und verschiedene Dinge machen. Es ist am besten, sich künstlerisch nicht zu wiederholen. Ich zu meinem Teil bemühe mich, das nicht zu tun.“

Der allseits bekannte Mittelweg also – als Band hat man natürlich etwas abgeliefert was anders und ein Fortschritt ist, aber wo Interpol draufsteht, da ist natürlich auch Interpol drin.

Netflix statt Hafenrundfahrt

Ein neues Album, vielleicht etwas mehr Spontanität im Studio, vielleicht etwas mehr autobiographische Texte von Paul Banks – es spielt für viele Fans abends fast schon eine untergeordnete Rolle. Hauptsache die Band mit Dresscode, die niemals von vorn beleuchtet wird, spielt ihre Songs, vornehmlich die Indie-Hits der ersten beiden Interpol-Platten – der Rest fügt sich schön ins Allgemeinbild. Und eben diese Band ist auf Tour, sechs Alben hat sie schon im Gepäck; auch wenn der Tour-Alltag ab und zu nervt, freut sich Daniel noch über das Privileg des Reisens.

Daniel: „Ich genieße es immer noch sehr viel zu reisen. Was du sagst ist schon wahr – vom Hotel zum Veranstaltungsort bis zum Bus, das ist manchmal eine kleine Herausforderung. (…) Du musst mit deiner Energie gut umgehen, es fühlt sich an wie ein Marathon. Weißt du, es ist seltsam. (…) Aber dann wiederum war ich gestern an meinem freien Tag in Berlin. Im Laufe der Jahre haben wir oft in Berlin gespielt und dort einige wirklich gute Freunde. Die kenne ich seit… sechzehn Jahren, und es ist unglaublich. Jetzt sind die verheiratet und haben Kinder. Das sind Dinge, die meinem Leben einen Reichtum hinzufügen und das gefällt mir wirklich. Ich weiß das sehr zu schätzen was das betrifft, diese Erfahrung und dieses Privileg zu haben.“

Ein Privileg, das zu tun, was einem am meisten Spaß bringt. Daniel reist also gern herum. Die Frage, ob er sich dieses Mal ein wenig Hamburg angeschaut hat, verneint Paul: Statt Hafenrundfahrt gab es Netflix. Er erklärt:
„Ich bin kein Typ für kaltes Wetter. Also… es traf mich gestern wie eine Faust als wir ankamen. Und es war so dunkel und so kalt – und so habe ich „Narcos Mexiko“ geschaut.“
Solltet ihr euch mal ab und zu fragen, wer sich sämtliche Netflix-Produktionen anschauen kann – es sind Bands auf Tour, Banks und Kessler sind jetzt ganz aufgeregt.
Paul: „Es ist wirklich gut. Ich habe die ganze Saison über gebingewatched…“
Daniel: „Ich denke, wir alle haben gebingewatched, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die ganze Season. Ich glaube Sam (Fogarino) ist durch, Brad (der Live-Bassist) ist auch fertig, ich bin… Ich denke, ich liege hinter Paul, aber ich habe gestern definitiv zwei oder drei Episoden am Stück gesehen.“

Das Privileg Interpol

Weiter zum Leben auf Tour. Paul Banks merkt an: „Tour fucking sucks“, lacht dann aber und erklärt: „Das ist das Einzige, was das Ganze erträglich macht, das ist die Show. Und auch Hamburg – es ist ein schöner Ort, eine tolle Venue sollte ich vielleicht auch noch erwähnen. Es sieht…. Ich liebe die Architektur von außen. Es ist… ein alter Hangar?“
Tatsächlich ist es kein Hangar. Ich erkläre, dass das Mehr! Theater am Großmarkt das weltweit einzige Theater mit einem bestehenden Lebensmittel-Großmarkt ist, die beiden nicken höfflich-interessiert. Zurück zur Musik: Nach „Marauder“ werden noch andere Interpol-Platten kommen, meint Paul.

„Ich glaube, Interpol hat noch viele Alben im Tank. Wir haben immer noch dieses kreative Mojo zusammen. Die Zukunft ist hell, soweit ich das sehe – und ja, es ist ein Privileg, in so einer Band zu spielen. Wir haben wirklich das Glück, das geschaffen zu haben. So weit zu kommen und so lange zusammen zu sein: das ist eine sehr wertvolle Sache, an der wir beteiligt sind.“

Wieder das Wort Privileg im Zusammenhang, Teil von Interpol zu sein. Und dann ist die Interview-Zeit auch schon vorbei. Ein Gruppenbild wird von Fotomuffel Paul Banks höchst selbst angeboten – klick – und dann denkt Daniel Kessler schon an den nächsten Posten auf seiner heutigen To-Do-List. Er versucht so langsam alle für den Soundcheck zusammenzutrommeln und zischt ab; während ich mein Zeug packe fragt Banks mich noch ein paar Sachen, bevor er sich und wir uns auch verziehen. Jetzt wo Interpol weg sind, sieht der Raum wieder irgendwie… normal aus. Der Glamour läuft gerade durch die Gänge.

Noch einmal durchatmen und raus. Die verzweigten Gänge, die diversen Treppen wieder rauf, einmal durch das leere Mehr! Theater. Wir sehen noch, wie Drummer Sam Fogarino zur Bühne schlurft, sich vor dem leeren Saal ans Schlagzeug setzt. Wir lassen dem Musiker seinen Moment der Stille und ihn an seinen Arbeitsplatz, es geht weiter durch das leere Theater. Vorbei an der Garderobe, rechts raus zur Tür – und ein erneutes Verabschieden mit Architektur-Fan Paul Banks, der seine Raucherpause dem Soundcheck vorzieht und lächelnd auf den Vorplatz des Mehr! Theaters schaut. „Always Malaise“, aber die Welt ist in Ordnung.

Das Album „Marauder“ ist seit dem 24. August 2018 erhältlich.
Nachhören könnt Ihr das Interview am 03. Dezember 2018 in der Sendung Champagne Supernova bei ByteFM um 22 Uhr (und in der Wiederholung am 05. Dezember um 13 Uhr).