Die Operation Ton ist ein liebevoll gestaltetes, familiäres Festival. Das merkt man an diesem Wochenende schon beim Betreten des Hamburger Medienbunkers. In pinker Tradition werden die Gäste im „Foyer“ des ehemaligen Flakbunkers in der Feldstraße begrüßt. Hier und da lässt sich ein Tatort finden: pink umrandet sind die Umrisse eines Menschen zu erkennen. Die möglichen Tatwaffen liegen daneben: Kaktus, Wasserpistole und ein Stück Plüschstoff lassen nichts Gutes vermuten. Oder doch? Auf dem Weg hoch in den Bunker wird das diesjährige Motto „Killing me Softly“ auf surreale Weise deutlich. Im großen Fahrstuhl des Bunkers findet sich eine Videoinstallation der Sound- und Performancekünstlerin Luise Vind Nielsen, welche mit ausgestreckter Zunge durch eine Wand zu den Fahrgästen spricht.
Klingt ungewöhnlich. Ist es auch. Die Operation Ton ist nicht einfach nur irgendein Musikfestival. Es ist ein Festival für musikalische Zukunftsfragen. Eine Mischung aus Festival und Konferenz. Die Operation Ton hat in diesem Jahr gefragt „Wo sind die smoothen Antworten der Kunst auf den harten Ton der Neuzeit?“ Die Vielzahl an gut besuchten Workshops, Walks, Panels und ihre Ergebnisse aber natürlich auch die Liveperformances waren zumindest ein erstes positives Zeichen. Nicht nur das Programm an sich, sondern auch die neuen Begegnungen und Vernetzungen innerhalb einer Szene machen die Operation Ton zu etwas Einzigartigem. Wir haben uns einen Überblick verschafft, die Lieblingsprogrammpunkte herausgesucht und die Operation Ton #11 vom 3-4. November begleitet. Mit dabei waren u.a.: BOY, Mine, Kat Frankie, Pöbel MC, Mili Dance, Keno von Moop Mama, Pierre Sonality, Leila Akinyi, Dream Nails, Die Achse (Farhot + Bazzazian), Sven Amtsberg, Jenni Zylka, Robert Seidel und viele mehr.
„Weg vom ewig Gleichen. Hin zum Neuen“
Eröffnet wurde das Konferenzprogramm am Freitag von der Kulturstaatsrätin Jana Schiedek im Resonanzraum. Sie freute sich besonders über ein „grandioses und interessantes Line-Up“ und hebt besonders die Frauenpower hervor, die hinter und in der Veranstaltung stecke und nicht selbstverständlich sei. Musikwirtschaft brauche gerade so etwas wie Operation Ton und diesen „inspirierenden Austausch“. Jana Schiedek ist es auch persönlich leid, immer nur die ewig gleichen Songs im Radio zu hören und hofft auf eine Rettung des Pops. Für sie stehe die Operation Ton für „weg vom ewig Gleichen. Hin zum Neuen.“ Die Moderatorin Jenny Zylka bedankt sich für die „warmen Worte“. Moderatorenkollege und selbsternannte Rampensau Cosmic Dj fügt hinzu: „Danke auch für das warme Geld“.
Boy hat ausgetourt – „Auf die große Vision warten wir noch“
Der Resonanzraum ist knackevoll und das sympathische Duo BOY, bestehend aus Sonja Glass und Valeska Steiner sitzen dem Clueso-Drummer Tim Neuhaus gegenüber. Dieser war spontan für Enno Bunger eingesprungen. Unter dem Namen „Ein Lausbub wird Erwachsen – Boy“ soll es um den Werdegang der beiden Singer-Songwriterinnen gehen, aber auch um den Status Quo der Band. Als Tim Neuhaus die beiden fragt, wie das eigentlich mit den Songwriting so abläuft, entgegnet Sonja Glass, dass das meistens nicht so träumerisch ist wie man sich das vorstelle. „Wir schreiben getrennt voneinander, schicken uns etwas und tragen das so zusammen. Wir würden zwar auch gerne beim Schreiben romantisch zusammen sitzen, einer spielt Gitarre. Aber das klappt leider gar nicht“, gibt sie selbst amüsiert zu. Das Lausbub-Zweigespann wirkt entspannt und ausgeruht. „Wir haben ausgetourt und auf die große Vision warten wir noch“, sagt Valeska Steiner. Das etwas kommen wird, steht aber offensichtlich außer Frage. „Jedes Mal wenn uns etwas Neues gelingt und es funktioniert hat, dance ich und freue mich total“ sagt Sonja Glass. Zum eigenen Song tanzen finden die beiden dann allerdings wieder etwas befremdlich. „Es kommt vor, dass man feiern ist und plötzlich wird der eigene Song gespielt. Ich hatte es auch schon, dass der DJ mich dann extra anguckt. Soll man dann einfach tanzen?“ fragt Sonja Glass ins Publikum. Das seltsame sei, diesen so vertrauten Songs in völlig anderen Kontexten zu begegnen.
„Ein Song der nur laut wirkt, ist kein guter Song“
Im SEA Institut wartet der Singer-Songwriter Cyrus Aschraf darauf, Kat Frankie und Tim Neuhaus in dem Workshop „Platten vor Gesicht- Der Democheck“ seinen mitgebrachten Song vorzuspielen. Cyrus Aschraf macht zum Großteil Ambient Musik und hat auf seinem Stick einen Song dabei, den bisher nur seine Frau gehört hat. Der Musiker ist zum zweiten Mal begeisterter Besucher der Operation Ton. „Es geht hier nicht nur ums Musikmachen, sondern auch um die ganzen Fragen, die daran geknüpft sind.“ Gerade ihm als ein Künstler, der viel alleine Musik mach, tue es gut, in diesen übergeordneten Austausch mit anderen Künstlern zu kommen. In einem kleinen Tonstudio trifft sich der Musiker mit Kat Frankie und Tim Neuhaus. Es kann losgehen und Aschrafs Song hat es in sich. Die beiden Profis haben kaum etwas zu kritisieren und sind dazu auch noch sichtlich berührt von dem Song, der über mehrere Minuten in einer angenehmen Spannung und mit besonderer Stimme und Stimmung die wenigen Zuhörer in seinen Bann ziehen konnte. Irritiert ist Cyrus Ashraf nur davon, dass Kat Frankie den Song so leise lassen möchte. „Ein Song überzeugt dadurch, dass er auch leise wirkt. Ein Song der nur laut wirkt, ist kein guter Song“. Nachdem der Workshop vorbei ist, gibt der Singer-Songwriter zu: „Ich habe erwartet, dass ich das Stück mal richtig laut auf richtig genialen Boxen höre“. Trotzdem ist Cyrus Aschraf sehr zufrieden: „Ich wollte einfach mal eine Meinung hören von Leuten die nichts mit mir zu tun haben, die aber auch professionell sind. Umso mehr hat es mich gefreut, dass die Beiden auch persönlich davon berührt waren.“
„Anfangs nannten Sie sich noch die Bunkels, später die Beatles“
Dass es eine Tour zum Schmunzeln werden würde, konnte man sich vorher denken. Der Schriftsteller und Verleger Sven Amtsberg organisiert Stadtführungen in Hamburg mit „erfundenen“ Informationen. Zusammen mit seinem Kumpel Lars Dahms will er im Rahmen der Operation Ton die Wahrheit über den Hamburger Medienbunker aufdecken. Vom Resonanzraum zum Terrace Hill, vom Übel und Gefährlich bis in die verwinkelten Tonstudios und andere Ecken des Bunkers und wieder zurück. Begleitet wird das Ganze von den absurdesten Gerüchten, die je innerhalb der dicken Mauern verbreitet wurden. So absurd, aber auch so ehrlich vorgetragen, dass man den beiden Autoren für eine Weile in eine verrückte Welt folgt. In einem versteckten Hinterzimmer bleibt die Gruppe stehen und Sven Amtsberg sagt: „Auch die Beatles haben sich hier schon zurückgezogen, um zu trinken. Anfangs nannten sie sich noch die Bunkels, später die Beatles“ Auf einem Balkon des Bunkers sagt Lars Dahms in die Menge: „Wir wollen mit euch etwas machen, was absolut illegal ist. Wir verabschieden uns schon einmal von denjenigen, die es nicht wieder hierher zurückschaffen“. Das Dach des Hamburger Medienbunkers ist ein Ort, an dem sich viele Hamburger gerne mal hinbeamen würden. Ein 360°-Panoramablick über die gesamte Stadt eröffnet sich einem und ehe man aus dem Staunen herauskommt, haben Sven und sein Kumpel die Station schon wieder für abgehakt erklärt. Es geht wieder hinunter an einen minimalistischeren Ort, eine Toilette. Minimalistisch allerdings nur auf den ersten Blick, denn der gesamte Raum ist größtenteils in Gold tapeziert.
„Glaubt man heute, es wäre die Speerspitze der Fortschrittlichkeit, dass das Geld aus der Wand kommt, was hätte man wohl damals gesagt, als es aus dem Hintern kam. „Oh Money“ hätte man gesagt. Ein Wort, dass sich heute noch in dem überkanditelten Wort Portemonnaie wiederfindet und dessen Ursprung er darstellt. Man sieht, dass man im Grunde damals schon viel viel weiter war als heute. Natürlich für größere Summen brauchte man etwas Zeit. Nicht unüblich, dass man für ein paar Tage beim Verkäufer blieb, um sich die Summe irgendwie aus dem Leib zu drücken. Manch einer hatte noch versteckte Reserven: Geheimkot. Vieles war früher besser“, erzählt Sven Amtsberg, während er mit stolzem Antlitz auf dem Klodeckel sitzt.
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„Kommentarspalten sind der Beweis, dass feministische Texte wichtig sind“
Ein Highlight der Konferenz war die Lesung von Margarete Stokowski aus ihrem Buch „Untenrum Frei“. Wenn Menschen Tabus brechen oder Themen ansprechen, über die die Gesellschaft nicht gerne spricht, dann schlägt das bekanntlich Wellen. So ist es auch bei Margarete Stokowskis, die man aus Kolumnen von TAZ und Spiegel Online kennt. Die Autorin spricht über Sex, Identität & die Rolle der Frau. Aber sie spricht und erzählt konkret erst einmal von sich. „Ist mir doch egal ob das peinlich ist. Alles Mögliche ist peinlich. Ich erzähle es halt, helfe damit anderen und verdiene nebenbei auch noch ein bisschen Geld“ sagt sie trotzig und schmunzelt in die Runde. Aus ihrem Buch erzählt sie, wie sie als kleines Mädchen aufgrund ihrer Frisur immer für einen Jungen gehalten wurde und anfing, sich eine hohe piepsige Stimme anzueignen. Sie stellt die Frage, wie man eigentlich als kleines Mädchen auf die Idee kommt, dass eine hohe Stimme ein weiblicheres Erscheinen suggeriert. Auch erzählt sie von den ersten sexuellen Fantasien und davon, wie absurd sie mit dem Thema Aufklärung konfrontiert wird. In einer späteren offenen Runde geht es auch darum, dass Prominente ununterbrochen mit ihrer Oberfläche konfrontiert werden. „Ich würde gerne mal ein Praktikum bei der „InTouch“ machen und den Autoren dort richtig auf den Arsch filmen und ranzoomen“ sagt Margarete Stokowski. „Auch ich wurde letztens in der Kommentarspalte eines Interviews auf mein Äußeres reduziert und beleidigt. Ich verstehe nicht, was mein Körper in dem Moment damit zu tun hat, was ich erzähle. Kommentarspalten sind eigentlich der Beweis, dass feministische Texte wichtig sind.“
„Zusammenarbeit fängt erst da an, wo man sich einigen muss“
Die Sängerin Mine hat kürzlich ein Album mit dem Rapper Fatoni aufgenommen. Mine ist Singer-Songwriterin, Produzentin, zeichnet sich aber besonders durch ihre unterschiedlichen Kollaborationen aus. Und genau darüber spricht sie zusammen mit dem DJ Booty Carrell. Der DJ und Autor entlockt ihr mit einer Frage ein Video, das bis Dato noch gar nicht erschienen war. In einer Zusammenarbeit mit einem Orchester hat Mine ein einzigartiges Stück komponiert und genau ein einziges Mal live gespielt. Die Mischung aus Gesang, Electro Beats und die Wucht der Akustik eines Orchesters begeistert. Als eine Zusammenarbeit sieht Mine das allerdings nicht. „Zusammenarbeit fängt erst da an, wo man sich einigen muss. Das ist beim Orchester nicht der Fall gewesen. Wenn ich mit anderen Künstlern zusammenarbeite aber schon“. Meistens sei das aber auch kein Problem, dadurch, dass sie oft die Songs produziere und mehr Entscheidungsspielraum hat. Deutsche Künstler mit denen Mine gerne mal zusammen arbeiten würde, gibt es aber auf jeden Fall noch: „Ich feiere den Rapper Bausa hart ab aber mein Endgegner ist und bleibt Peter Fox„
Die Loop Sessions haben am Samstagabend mit einer Bühne und vielen verschiedenen Künstlern wie Moop Mama-Frontmann Keno, PÖBEL MC oder MILLI DANCE von WAVING THE GUNS eine erfolgreiche Konferenz und ein buntes Festival abgerundet, das uns so schnell nicht in Vergessenheit gerät.