„The Next Day“ hätte sich auch gut als letztes Kapitel in David Bowies Diskographie gemacht. Das 2013 recht spontan veröffentlichte Album folgte Jahren, die von Krankheit, öffentlicher Abstinenz sowie höchst sporadischen Gastauftritten geprägt waren und blickte so entschlossen in die Vergangenheit, dass die Funktion als zusammenfassender Epilog nur logisch schien. Ein letztes Mal erhobenen Hauptes, im vollen Besitz der eigenen Kräfte und gestützt von einer über Jahre etablierten Band sowie Stammproduzent Tony Visconti noch mal den klassischen Momenten des eigenen Schaffens zunicken und dann verschwinden – ja, das hätte wohl funktionieren können. Doch es kam anders.
„★“ klingt nun so gar nicht nach einem Künstler, der bereits alles gesagt hat. Bowie präsentiert sich anlässlich der Veröffentlichung zwar nicht weniger schweigsam – Interviews geben nur Mitarbeiter und Konzerte bleiben ebenfalls aus -, doch im Grunde steckt ohnehin bereits genug Rätselhaftes in dem Album an sich. Gemeinsam ist beiden Veröffentlichungen der Blick in die Vergangenheit, der im Fall von „★“ jedoch weniger resümierend denn suchend ausfällt. Jemandem, der schon mal alles ausprobiert hat, fällt es natürlich schwer, sich neu zu erfinden, doch genau das war es doch, was Bowie als Künstler immer auszeichnete. Wie könnte also der Weg aus einer solchen Zwickmühle aussehen?
Bowie wählt dazu einen postmodernen, collagenhaften Ansatz: Unterschiedliche Versatzstücke aus seiner Karriere, gerne auch von kritisch aufgenommenen Platten, werden hier zu einem düster funkelnden Gesamtwerk zusammengedacht. Hier sind also nicht nur die teils rockistischen, teils elegischen Großtaten der 70er präsent, sondern etwa auch das Jazz-Experiment „Black Tie, White Noise“ oder die Industrial/Drum-and-Bass-Versuche von „Outside“ aus den 90ern. Das klingt deutlich ambitionierter als „The Next Day“, doch wie das nun mal ist: Nur wer wagt, kann auch gewinnen.
In diesem Fall ist es ein höchst widersprüchliches, spannendes und vor allem sehr gelungenes Album, das Bowie sich und uns zu seinem 69. Geburtstag schenkt. Mehr als einmal erinnert er darauf an Scott Walker, den knarzigen Grantler, der sich alle paar Jahre dazu herablässt, uns ein Werk voll finster-theatralischer Avantgarde zu überreichen. „★“ ist nun nicht ganz so biestig ausgefallen wie etwa „Bish Bosch“, doch es dürfte mit Blick auf das Zielpublikum eine verhältnismäßig ähnliche Wirkung haben. Alleine der zehnminütige, vollkommen entrückte Titeltrack ist mit seinen wirren Breakbeats und dem exotischen Saxophon ein Brocken, der erst mal verarbeitet werden möchte.
Hinter diesem Monstrum verbergen sich lediglich sechs weitere Stücke, von denen zwar keines an die Länge des Openers heranreicht, die ihm in Sachen Kreativität jedoch in nichts nachstehen. Zwei Songs sind zudem bereits bekannt: In früheren Versionen wurden „Sue (Or In The Season Of Crime)“ und „‚Tis A Pity She Was A Whore“ bereits im Zuge der Best-Of Compilation „Nothing Has Changed“ veröffentlicht. Auf „★“ fügen sie sich dennoch nahtlos ein in diesen Flickenteppich, der sich stets einer einheitlichen Deutung entzieht. „‚Tis A Pity“ zeigt Bowie etwa extra exzentrisch und das Saxophon schön wirr aufspielend, während „Dollar Days“ eine wunderbar beiläufige Ballade geworden ist.
Balladesk fällt auch „Lazarus“ aus, dieses Mal jedoch mit jeder Menge Theatralik ausgestattet. Diese Tendenz zur Inszenierung schwebt über vielen Stücken des Albums und weist die Stoßrichtung als betont artifiziell aus. Gemeinsam mit den komplexen Rhythmen und dem allgegenwärtigen Saxophon prägt dieses Element außerdem den zugleich hetero – wie homogenen Klang des Albums, das abseits aller Debatten über Originalität und den Bruch von Konventionen aber einfach auch als Sammlung großartiger Musik funktioniert. Wer dringend Hits oder eingängige Melodien braucht, zieht hier freilich den Kürzeren, alle anderen finden hier ein ebenso verstörendes wie vitales Spätwerk eines der größten Künstler des Pop-Zeitalters.
9/10
„★“ erscheint am 08.01. via Columbia auf Platte, CD und digital.
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