Mit „Patience“ melden sich Mannequin Pussy furios zurück! Das Quartett war in der Vergangenheit durch Musik aufgefallen, die gleichermaßen emotionale und Genre-Grenzen überschritt.
Die neue Platte weiß zu überzeugen: Es ist eine klare Entwicklung auf musikalischer Ebene zu hören. Auch wenn die Texte weiterhin ehrlich und schon fast emotional Roh klingen, zieht man hier jetzt mehr an einem Strang. Dass das nicht bedeutet, dass Ausbrüche wie „Romantic“ der Vergangenheit angehören, zeigt die erste Single „Drunk II“.
Was sich in der Zeit zwischen „Romantic“ und „Patience“ getan hat, warum „Drunk II“ vor dem ersten Teil auf der Platte kommt und was ihre Mutter mittlerweile vom verhassten Bandnamen hält, hat mir Sängerin und Gitarristin Marisita Dabeast im Interview verraten:
Ich habe ein Interview von dir aus dem Jahr 2011 gefunden. Damals meintest du, dass deine Mutter euren Bandnamen hasst. Wie sieht’s drei Alben weiter aus?
Oh mein Gott! Das muss das Village Voice Interview gewesen sein – das war so surreal. Es gab die Band gerade mal für ein paar Monate und wir hatten nur ein paar grausame Demos online veröffentlicht. Dann wurden wir gefragt, ob wir Interesse an einem Interview hätten – und ehrlich: Zu der Zeit hatten wir auf keinen Fall ein Interview verdient! Vermutlich war der Bandname der einzige Grund, dass es überhaupt dazu kam. Meine Mum hat den Bandnamen gehasst, bis der Rolling Stone etwas positives über unser Debüt geschrieben hat. Ab da gefiel er ihr.
Während ich die Track-List von „Patience“ gelesen habe, spielte sich eine Geschichte vor meinem inneren Auge ab. Jemand sucht nach der Liebe und sieht sich mit den verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, die die Suche so mit sich bringt. Frust-Saufen, Verlangen, Angst, Leute die einen Bewerten, und und und. Am Ende steht dann da aber doch die neu gefundene Liebe. War das so gewollt oder interpretiere ich da einfach viel zu viel rein?
Wow, ich bin beeindruckt! Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Für mich ist die Reihenfolge der Songs beim schreiben eines Albums am wichtigsten. Ich sehe es als Chance einen emotionalen Fluss entstehen zu lassen, der sich dann über drei Akte erstreckt. Als erstes wird die Situation definiert, die Charaktere vorgestellt und die Story eingeleitet. Im zweiten Akt beginnen die Emotionen in Hoffnungslosigkeit umzuschlagen. Die dunkelste Stunde wird eingeläutet. Im dritten Akt beginnt man dann Frieden und auch wieder Hoffnung zu finden. Für mich ist es unglaublich wichtig, ein Wechselspiel dieser extremen Emotionen in unseren Alben zu zeigen. Und dass man am Ende etwas Optimistisches daraus mitnimmt.
Warum kommt „Drunk II“ vor „Drunk I“ auf dem Album?
Im Kontext des Flows hat diese Reihenfolge einfach mehr Sinn gemacht. Ich habe beide Lieder am selben Wochenende geschrieben und es gibt viele Parallelen bei den „Gitarren-Formen“. Ich spreche mit Absicht von Formen. Damals habe ich mit unterbrochenen Akkorden experimentiert, was zu den Riffs der beiden Songs geführt hat. Abgesehen davon fühlen sie sich aber komplett unterschiedlich an. Abgesehen davon mag ich es Leute mit genau solchen Sachen auch ein wenig zu ärgern. Auf unserer ersten Platte gibt’s „Meatslave 2 & 3“. „Meatslave 1“ gab’s dann aber erst auf „Romantic“. Das ist unser Humor als Band. Also so richtig schön unlustig.
Eure Musik wird oft als Mischung aus allem beschrieben. Ich bin mal so frei und behaupte, dass ihr euch zumindest nicht scheut eure Einflüsse zu mischen. Auf „Patience“ klingt ihr das erste Mal musikalisch sehr viel stringenter, ohne dabei die emotionale Rohheit zu verlieren. Wie würdest du die Entwicklung der Band in den letzten Jahren beschreiben?
Wir sind eine Band, die nie unter Zeitdruck stand. Der einzige Druck, den wir je gespürt haben kam von uns selbst. Ich denke wir sind beinahe immun gegen die Erwartungen anderer. „Patience“ fühlt sich wie ein zusammenhängendes Werk an, unsere anderen Alben eher wie Sammlungen von bereits fertigen Songs. Das Album ist auch das erste, bei dem wir Vier mehr kollaboriert haben als vorher. Früher habe ich Songs zum üben mitgebracht. Auf „Patience“ finden sich vorwiegend Lieder, die wir während des Probens zusammen geschrieben haben. Ich denke diesen Schreibprozess werden wir auch weiter beibehalten. Unsere Geschmäcker gehen sehr weit auseinander. Das führt dazu, dass wir öfter unterschiedlicher Meinungen sind, als derselben. Sowas macht aber natürlich das Song-Writing auch erst interessant. Wir sind nicht davon besessen unsere Einflüsse und Vorgänger zu vergöttern. Respektvoll ausgedrückt ist es uns scheissegal, welche Bands es vor uns gab. Wir machen unser eigenes Ding, alles andere würde nicht nach uns klingen.
Ich bin großer Fan von Will Yips Arbeit als Producer. Irgendwie arbeitet der Typ nur mit Bands, die ich geil finde! Kannst du mir einen Einblick in eure gemeinsame Arbeit geben und was für einen Einfluss er auf das neue Album hatte?
Will Yip hat dieses Album gerettet. Zu 100%. Wir hatten „Patience“ schon komplett woanders aufgenommen, bis wir gemerkt haben, dass wir noch genauso klangen wie auf „Romantic“. Ich liebe „Romantics“ Sound und würde rein weg gar nichts nachträglich verändern. Um eine Veränderung als Band zu zeigen, muss man aber manchmal auch anders ans Aufnehmen herangehen. Wir hatten Glück. Als wir mit Turnover (die gelegentlich auch mit Will arbeiten) auf Tour waren, habe ich mal nebenbei erwähnt, dass wir die Platte gerne neu aufnehmen würden.
Ein paar Wochen später war Will bei unserer Show in Philly. Wir haben uns Backstage nur ganz kurz gesehen und danach hat er mir einen DM geschrieben und gefragt, ob wir nicht mal Studio 4 auschecken wollen. Jedenfalls erinnere ich mich so an die Geschichte. Sobald man den ersten Fuß ins Studio 4 setzt, merkt man, dass hier alles auf Fokus ausgelegt ist. Ich mag es einfach nicht, wenn man in Studios ist, in denen Leute ständig ein und aus gehen und damit den Flow kaputt machen. Für mich gilt: Keine Störung durch Handys und voller Fokus! Ich will mit jemanden zusammen arbeiten, der genauso besessen ist wie ich. Will hat mich in der Hinsicht locker überboten. Ich bin immer noch immens beeindruckt und ich habe nach wie vor das Gefühl, dass ich nächstes Mal noch ne Schippe drauflegen muss. Er ist immer optimistisch und weiß genau was er tun muss, um das Maximum aus einem herauszuholen. Ich bin die Art von Weichei, das beim Aufnehmen zu heulen anfängt. Zum einen wegen dem ganzen Scheiß, den ich runterschlucke und zum anderen wegen Frustration. Er hat mir nie das Gefühl gegeben, dass das falsch ist, sondern mich dann wieder zurück zur Arbeit geführt.
Kannst du mir bitte die Geschichte hinter diesem Instagram-Posting erzählen?
Das war direkt nach unserer ersten Europa-Show beim London Calling Festival in Amsterdam – oder heißt es Amsterdam Calling? Ich weiß es nicht mehr, mein Gedächtnis ist beschissen. Es war jedenfalls ein extrem heißer Tag, mit einem schweißtreibenden Set und Bear meinte danach, dass er ne Abkühlung bräuchte. Also habe ich das getan, was ein guter Freund eben tut: Ihn mit einem eiskalten Bier die Brust gekühlt. Dank unseres Freundes CJ Harvey ist dieser Moment nun als Foto verewigt.
Was ist die Geschichte hinter dem brennenden Globus auf dem „Patience“-Cover?
Das klingt jetzt ziemlich langweilig, aber ich hatte einfach diesen Traum einen Globus anzuzünden. Vorahnung? Vielleicht. Oder hat sich einfach der REM-Kreis geschlossen? Als wir in etwa das halbe Album geschrieben hatten, wurde die Idee für das Albumcover immer präsenter für mich. Am Ende hat es die Songzeile „your worlds on fire/as i watch up from my high horse,“ in High Horse beeinflusst.
Außerdem wollte ich etwas zeigen, dass unseren aktuellen Status als Planet wiedergibt. Wir befinden uns in einer Umweltkrise, in der wir Bürger mehr zu erreichen versuchen, als die Regierung. Wir nutzen Jutebeutel oder lassen die Plastikstrohhalme weg, während die Industrie, die an einem Großteil des Schadens schuld ist nicht bestraft wird. Ich fühle mich, als wenn alles um mich herum in Flammen steht – und das meine ich nicht nur metaphorisch. Es passiert wirklich!
Ihr seid von der Romantik (Romantic) zur Geduld (Patience) gekommen: Was ist der nächste Schritt für Mannequin Pussy?
Unser nächstes Album soll sich anfühlen, als wenn man gerade ein warmes Bad nimmt. Oder einen Becher heiße Schokolade trinkt. Oder als wenn man den besten Sex aller Zeiten hatte und Lust mit Liebe verwechselt. Ich überlege eher, wie ich diese Gefühle mit unserer Musik transportieren kann, anstatt mit irgendwelchen Songstrukturen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch einige dieser glitzernden Pop-Songs auf der Platte sein werden. „Romantic“ und „Patience“ sind beide sehr weltlich, ich glaube es wird Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Es kommt die Zeit, in der wir so seltsam sein sollten, wie wir nunmal sind.
„Patience“ erscheint kommenden Freitag, den 21. Juni – reinhören lohnt sich!