Keine Angst, treten Sie heran, nur zu! Das Cover zu „99 Cents“ mag zunächst abschrecken, doch es gibt nichts auf dieser Platte, wovor Sie sich fürchten müssten. Santigold hat ihr Bestes getan, um Ihnen zu gefallen. Denen, die „Disparate Youth“ im Vodafone Werbespot gehört haben. Denen, die 2008 diese maximal unwahrscheinliche Mischung aus Reggea, New Wave, Hip Hop und dutzend anderen Stilen so gerne mochten. Denen, die gerne Pop hören, sich dafür aber immer ein bisschen schämen, es sei denn, er wird von Personen gemacht, die als clever gelten. Und das Beste daran: Dieses Vorhaben gelingt auch noch. Sapperlot!
Nach „Master Of My Make-Believe“ trug manch einer ja Sorge, es könne mit der Unbeschwertheit bei Santigold vorbei sein. Eine latente Melancholie hatte sich eingeschlichen, aber auch eine aufgeregte Anspannung, die etwa das muskulöse „GO!“ prägte. Von all dem ist auf „99 Cents“ wenig zu hören: Um den Klang zu erfassen, sollte man den Blick weniger auf die Kapitalismus/Sexismus/Rassismus-Kritik des Covers richten, sondern auf die allgegenwärtigen, bunten Farben. Zu denen gibt es nämlich das ein oder andere Äquivalent auf der Platte.
Wieso diese ausgerechnet Ende Februar erscheinen muss, bleibt derweil unklar. Alles an diesem Album schreit geradezu nach den Klischees eines sonnigen Augusttages: schmelzende, bonbonfarbene Eiscreme, extravagante Sonnenbrillen, junge Menschen, die sich an Stadtstränden fläzen. Dabei gelingt das große Kunststück, die Ideenvielfalt der Künstlerin in einem eklektischen, aber meist schlüssigen und zugänglichen Album aufgehen zu lassen. Das reicht dann von knallbunten Proto-Singles wie „Banshee“ über die New-Wave-Reminiszenz „Rendezvous Girl“ bis zu vollkommen verballerten „Who Be Lovin Me“, dem ein extrabreiter ILoveMakonnen seine Stimme leiht.
Bei aller unübersichtlichen Vielfalt lässt sich innerhalb der Platte sogar eine leichte Entwicklung feststellen. Gehört der Start fröhlichen Popsongs, nehmen die Wave-Gitarren und ruhigeren Stücke in der zweiten Hälfte zu. Ein qualitatives Gefälle geht damit glücklicherweise nicht einher; das abschließende, nachdenkliche „Who I Thought You Were“ kann ebenso überzeugen wie das Jay Zs „Hard Knock Life“ und World Music verbindende „Chasing Shadows“. Sicher, vereinzelt gibt auch Songs auf diesem Album, die den Standard nicht halten können, die in der recht glatten Produktion verloren gehen und blass bleiben. Aber auf diese Gefahr lässt man sich eben ein, wenn man ein Pop-Album produziert.
Und, liebe Leser, da Sie sich nun herangewagt haben und sicherlich angesteckt wurden von all den schönen Melodien: Natürlich gibt es auf diesem Album auch die Systemkritik, die das Cover bereits andeutet. Für jemanden, der bei einem Major veröffentlicht und seine Musik für Werbung bereitstellt, sogar in ziemlich deutlicher Form, achtet man denn ein wenig auf die Texte. Statt den Zuhörer frontal mit der pessimistischen Einschätzung zum modernen Selfie-Narzissmus und dem Wert des menschlichen Lebens anzugreifen, hat Santigold also ein trojanisches Pferd von einem Popalbum gezimmert. Es wäre schön, wenn sich die ein oder andere Botschaft festsetzt – ansonsten bleibt aber immer noch Musik, die man diesen Sommer gerne noch mal auspacken wird.
7,5/10
„99 Cents“ erscheint am 26.02. via Warner auf Platte, CD und digital.
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