StartInterviewsSchon wieder so ein "Philosophie-Anfall"- Mine im Interview zum neuen Album

Schon wieder so ein „Philosophie-Anfall“- Mine im Interview zum neuen Album

Mine veröffentlicht am 12. April ihr drittes Album “Klebstoff” bei Caroline International. Henry Lührs hat die Künstlerin in Hamburg Eimsbüttel zum Interview getroffen. Er hat mit ihr über das Verhältnis zur eigenen Platte, dem Umgang mit der Fanbase und die oftmals sehr persönlichen Songs geredet. Gemeinsam haben sie festgestellt, dass Philosophie zwar richtig geil sein kann, aber auch ein bisschen Angst macht. „Das kann einen richtig ficken“ sagt Mine selbst treffend.

Mine (Foto: Simon Hegenberg)

Als ich das erste Mal dein neues Album “Klebstoff” gehört habe, lief es eher so nebenbei und ich habe wenig auf die Lyrics geachtet. Das lag auch daran, dass “Klebstoff” in einem sehr poppigen Gewand daher kommt. Beim zweiten Mal habe ich allerdings eine gewisse Ehrfurcht entwickelt. Die Songtexte bilden einen philosophischen Komplex, aber auch musikalisch nimmst du sehr Vieles selbst in die Hand. Insgesamt ist es eine sehr persönliche Platte geworden. Hast du eine konkrete Vorstellung davon, wie ein solches Album gehört werden soll oder steht für dich der eigene Output im Vordergrund?

Ehrlich gesagt ist mir das völlig egal. Mir ist alles wichtig, bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Album fertig ist. Wenn ich es dann in die Öffentlichkeit lasse, soll jeder damit machen, was er will. Mir ist es auch völlig wurscht, in was für ein Genre die Leute mich stecken oder auch, was die Leute damit verbinden oder was sie denken, worum es inhaltlich geht. Ich finde es schön, wenn sie etwas damit anfangen können, wenn es sie in irgendeiner Weise emotional triggert. Aber das ist auch kein Muss. Ich mache es in erster Linie für mich. Dass es mir gefällt, ist erstmal das Wichtigste. Es ist natürlich berührend, wenn ich Nachrichten lese, wo mir Leute sagen, dass sie es voll geil finden oder es ihnen über irgendetwas hinweggeholfen hat oder whatever. Das freut mich total.

Wenn du sagst, du machst das für dich, hat das dann auch einen therapeutischen Aspekt?

Ich glaube dadurch beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema. Es ist bei jedem Menschen so, dass wenn er sich ein bisschen mit sich selbst beschäftigt und sich reflektiert, dass einen das natürlich weiterbringt. Deswegen hat es auch einen therapeutischen Touch. Es ist nicht so, dass es mir total schlecht geht, ich einen Song schreibe und danach geht es mir super. Ich setze mich einfach damit auseinander. Am meisten inspirieren mich Dinge, die emotional etwas mit mir machen. Auch wenn ich ein total lebensbejahender Mensch bin, ist das, was mich inspiriert, oft etwas Melancholisches. Auch das, was so automatisch aus mir raus fliegt, ist meisten eher melancholisch. Die großen Veränderungen passieren durch die Beschäftigung mit sich selbst und nicht durch das reine schreiben der Songs.

Du eröffnest Menschen durch deine Musik einen tieferen Blick in deine eigene Persönlichkeit. Was macht das mit dir, wenn Menschen mit dem interagieren, was du von dir selbst erzählst?

Das ist der Teil, der mir am schwersten fällt. Ich finde es voll schön, wenn die Leute das fühlen. Für die Menschen ist es, als wenn sie jemanden kennengelernt haben, aber für mich sind es letztendlich Fremde. Manche öffnen sich mir gegenüber extrem. Das muss ich dann erstmal verarbeiten und schlucken. Auf der einen Seite fühle ich mich sehr geschmeichelt, aber auf der anderen Seite ist das auch sehr fordernd. Was am meisten Kräfte zieht ist der Kontakt mit Leuten, denen das total viel bedeutet, aber auch Interviews. Wenn ich so eine Musik mache, dann muss ich auch damit rechnen, dass so etwas passiert. Wäre ja dumm sich darüber zu beschweren. Aber ich finde das sehr herausfordernd.

Gibt es auch Momente in denen du dich abgrenzen musst?

Wenn es zu weit geht auf jeden Fall. Ich versuche jedem Einzelnen zurück zu schreiben. Ich schreibe wirklich jedem zurück! Noch kriege ich das einigermaßen hin. Ich bin viel am Handy dadurch. Aber ich bin auch sehr sehr dankbar. Ich mache das schon sieben Jahre und jetzt wird es ein bisschen mehr. Ich finde es krass, dass ich so unterstützt werde. Deswegen darf ich diesen Job ja überhaupt machen. Aber wenn ich merke, jemand wünscht sich eine persönliche oder freundschaftliche Beziehung, dann gehe ich schon einen Schritt zurück. Ich möchte eigentlich schon mein Privatleben behalten. Abstand ist mir also schon wichtig.

Mine Klebstoff Albumcover

Kommt es vor, dass du auf bestimmte Songs keinen Bock hast. Die Termine für deine Konzerte sind gesetzt, aber ich kann mir vorstellen, dass du nicht immer in der Stimmung bist einige, vielleicht auch sehr persönliche Songs zu spielen…

Nein, dann spiele ich die nicht. Da bin ich ganz rigoros. Es gibt so ein paar Songs, wo ich sage, die spiele ich nicht oder die spiele ich nicht mehr. Das ist bei den aktuellen Alben aber eigentlich nie so. Ich schreibe sehr oft auch autobiographisch. Das ist dann ja meistens nicht so lange her. Ich kann mich meistens auch hineinversetzen. Das Einzige, was mir tatsächlich im Weg steht ist Lampenfieber. Ich bin immer sehr sehr aufgeregt und am zittern. Wenn ich das nicht unter Kontrolle bekomme, und solche Auftritte gibt es, wo die Nervosität über der Musik steht, verpasse ich den Zugang zu mir selbst. Dann wird es zum Job und zur Arbeit und dann macht es mir nicht wirklich Spaß. Sobald ich in einem Song drin bin, passiert das aber von ganz alleine, dass ich den auch fühle.

Das Intro stellt einen Dialog mit deinem “Zukunfts-Ich” dar, der bis in den Song „90 Grad“ hineingeht. Ist das für dich eine Möglichkeit, Gefühle und Erinnerungen zu konservieren? Oft erlebe ich es, dass ich eine starke Emotion habe und schon in diesem Moment diese reflektiere. An das Darüber-nachdenken kann ich mich im Nachhinein erinnern. Bis jetzt bin ich mir aber nicht sicher, ob das dann eine Reproduktion dieser Gefühle ist…

Genauso geht es mir auch. Genau darum geht es auch und genau das ist der Punkt. Ich lag mit meiner Freundin auf der Couch. Es war schon morgens um halb vier. Wir haben wieder so einen Philosophie-Anfall bekommen. Das ist meine Freundin, seitdem ich vier bin. Wir treffen uns nicht so oft, weil wir wohnen schon sehr lange, sehr weit auseinander. Aber drei Mal im Jahr kriegen wir es hin, dass wir zusammen auf der Couch gammeln und nur quatschen. Wir haben dann irgendwann darüber geredet, wie abgefahren es ist, wenn wir darüber sprechen, wie wir beide vor zehn Jahren waren, dass wir voll gerne mit der Person mal reden würden und dass es sich so anfühlt, wie eine ganz andere Person. Ich erinnere mich an die Erinnerung, aber ich kann das Gefühl nicht mehr reproduzieren. Manchmal denkt man, dass ein Gefühl so krass ist, dass man sich auch noch in ein paar Tagen da hineinversetzen kann. Man kann es aber nicht. Ich habe mir dann gedacht: Okay, ich kann zwar nicht mit meinem Verganheits-Ich reden, aber ich nehme eine Nachricht an mein Zukunfts-Ich auf. Und weil es voll flashig wird, wenn ich in der Zukunft diese Nachricht anhöre und weiß, dass dieses Ich nicht mehr Ich bin, das mit mir redet. Das ist eigentlich total irre.

Am Ende von 90 Grad sagst du ja auch: “Ich hoffe du kannst das noch fühlen”…

Das sage ich zu meinem Zukunfts-Ich. Es war ein euphorisch schöner Tag. Wir hatten wundervolles Wetter. Es war so geil. Man kann es aber mit Fotos auch nicht festhalten. Mit keinem Medium kann man das festhalten. Man kann nur probieren, sich an dieses Gefühl zu erinnern. Darum ging es da. Aber geil, du bist der erste, der das richtig gecheckt hat.

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Bei 90 Grad geht es auch um das loslösen des Ichs vom Körperlichen. Die philosophischen Fragen des Seins spielen generell eine große Rolle für dich. Was sind wir? Geist oder Körper? In der Philosophie spricht man vom Leib-Seele-Problem. Auch bei Spiegelbild geht es um die Betrachtung des Eigenen Ichs…

Wir sind beides glaube ich. Ich bin nicht esoterisch tatsächlich. Ich glaube nicht an die Seele. Das macht es aber nicht weniger echt. Nur weil ich nicht daran glaube, dass irgendwas in mir drin schwebt sondern mein Gehirn alles steuert und meine Synapsen irgendein quatsch machen, heißt das nicht, dass das weniger wertvoll ist. Bei Spiegelbild geht es zum Beispiel nicht unbedingt um das Aussehen, sondern darum, dass man sich immer wieder ändert. Und manchmal, wie auch bei 90 Grad, hat man das Gefühl auf so ein altes Ich zu blicken und es ist so, als würde man sich selbst zugucken, aber auf jemanden schauen, der man selber gar nicht ist. Dann verändert man sich und denkt sich: weird, ich habe mich so verändert und es gar nicht gemerkt. Ich war gar nicht dabei. Philosophie kann voll geil sein, aber macht mir manchmal auch ein bisschen Angst. Wenn man sich zum Beispiel über die Vergänglichkeit Gedanken macht. Das kann einen richtig ficken.

In Spiegelbild perfektionierst du die Metapher des Spiegels. Du singst: “Wer hat sich gedreht, der Spiegel oder ich”. Du erzählst davon, dass du dich immer wieder änderst ohne es selbst zu realisieren in dem Moment. Wenn du dich selbst aber reflektierst und veränderst, oder in solchen Prozessen bist, fühlst du dich damit auch im Außen gesehen?

Manchmal ja und manchmal nein. Es kommt immer darauf an, wie plakativ die Änderungen sind. Bei manchen Sachen habe ich das Gefühl, mich sehr verändert zu haben und dass es für mich selber voll wichtig war, aber in der Außenwahrnehmung keine große Relevanz hat. Selbstbewusstsein ist das beste Beispiel. Selbstbewusstsein ist auch nur ein Gefühl von Wissen, wo man selber steht. Es gibt auch Leute, die sich die ganze Zeit in den Vordergrund drängen, die nicht selbstbewusst sind. Es hat nichts mit Selbstbewusstsein zu tun, sich in die Mitte zu stellen, laut zu sein und zu schreien. Da habe ich sehr lange dran gearbeitet. Ich glaube nicht, dass das für die Leute außen rum so markant ist. Für mich hat das aber alles geändert.

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Zum Song Klebstoff sagst du, dass du die Metapher interessant findest, dass alle Menschen aneinander kleben bleiben. Was macht diesen Klebstoff für dich aus?

Ich glaube, ein Mensch ist ein Kollektiv aus dem, was man gesehen, erlebt und gefühlt hat. Ich meine damit nicht das bloße aneinanderkleben sondern auch, wie man sich beeinflusst, was man durch andere Menschen herangetragen bekommt. Das macht einfach etwas mit einem und das verändert einen auch. Gerade Erziehung, Soziales Umfeld, Jugend – das ist so prägend.

Ist es für dich ein Thema, Dinge nicht so sehr an dich heran zu lassen?

Ja voll. Das ist ja eh so ein Ding in Zeiten von Instagram. Man muss ständig ganz ganz vorsichtig mit allem sein, weil man ständig ganz viel zu allem gesagt bekommt, ohne es wirklich gesagt zu bekommen.

Das Video zu Klebstoff ist auch ein Selbstexperiment gewesen. Du nimmst die Idee deines Songs auf und stellst dich in die Fußgängerpassage, lässt dich bemalen und wirst zur Leinwand mitten in Berlin. Du gibst fremden Passanten unmittelbar die Macht darüber, einen Eindruck auf dir zu hinterlassen. Wie hat sich das für dich angefühlt? Hattest du von vornherein vertrauen in die Aktion?

Es war die Angst da, dass vielleicht niemand mitmachen will. Ich finde aber nicht, dass ich die Macht abgebe sondern, dass es vielmehr ein Angebot war, eine Einladung, es anzunehmen. Ich habe die Leute ja darum gebeten. Indem ich mich hinstelle und die Stifte nach vorne reiche, sage ich ja: Bedient euch bitte! Da steht ja auch: Ich bin nicht mein bestes ich. Dahingehend geht es darum, dass sich auch jeder ein Stück weit outet, sodass jeder weiß, dass man viele Dinge macht, die scheiße sind, die man aber trotzdem nicht besser machen kann. Auch in der Zukunft vielleicht nicht. Aber es geht darum, dass man sich das auch selbst eingesteht und merkt, dass es allen Menschen so geht. Ich wusste aber nicht, wie die Leute reagieren. Ich fand es total rührend. Es ging so schnell, dass die Leute reagiert haben. Das fand ich echt überraschend.

Also bist du mit dem Ergebnis zufrieden?

Ja voll. Manche Leute kamen auch einfach nur auf mich zu und haben mich umarmt. Das war wirklich voll schön.

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Dein Song „Einfach so” fühlt sich an wie eine Hommage an die Unabhängigkeit und das einfach machen…

Ich glaube erst einmal ist es eine Hommage an sich selbst. Die Umstände sind egal, aber es geht mir gut – und warum? Einfach nur so! Weil ich es halt kann. Weil es mir gefällt und ich nicht abhängig bin. Ich singe davon, in einem Schloss zu wohnen, dass 50 qm groß ist. Es gibt kein Schloss, dass 50 qm groß ist. Ich fühlte mich aber so, als wäre es ein Schloss, in dem ich gewohnt habe.

Den Song hast du zusammen mit Giulia Becker gemacht. Sie steht als Person mit ihrer Biographie fast schon sinnbildlich für diesen Song. Gab es erst den Track und dann die Zusammenarbeit mit ihr oder andersherum?

Das war die beste Geschichte. Ich bin so ein Fan von ihr. Ich hatte sie in meiner Story verlinkt und dann hat sie geschrieben, dass sie auch voll der Fan von mir ist. Ich habe das gesehen und bin voll vom Stuhl gefallen. OMG! Ich habe dann gesagt, wir müssen etwas zusammen machen. Ich habe da gerade so einen Song gemacht. Den hatte ich zwei Tage vorher eigentlich schon fertig. Ich habe sie dann aber gefragt, ob sie Lust hat, das zu machen. Ja und jetzt bin ich sehr sehr stolz, sie auf dem Album zu haben.

Der Song “Vater” ist einer der persönlichsten Songs. Du singst: “Ist jemand hörig, dann nicht der Vater sondern das Kind.” Wie meinst du das?

Ganz oft, in meiner Generation zumindest, wird gesagt, Kinder seien schwierig. Oder schwieriger als andere. Oder sie bringen etwas mit sich, weshalb sie schwieriger zu erziehen sind. Ich bin immer der Meinung, dass das Quatsch ist. Ich glaube niemand kommt Grund gegeben auf die Welt. Sondern jeder wird auch wieder geformt. Die Verantwortung liegt deswegen immer bei den Eltern und nicht bei dem Kind. Jedenfalls solange man noch nicht voll ausgewachsen ist und die Möglichkeit hat für sich selbst zu entscheiden.

Haben unsere Probleme dann ihren Ursprung in der Kindheit?

In der Kindheit und Jugend. Die Dinge, auch Charaktereigenschaften, die einem nicht gut tun, haben meistens einen Ursprung. Das müssen nicht zwingend die Eltern sein, sondern auch das Umfeld. Es kommt auch darauf an, in welchem Land, mit welchen moralischen Vorstellungen man geboren ist. Das spielt alles da mit rein.

Um welchen Kampf geht es in dem Song “Guter Gegner”?

Es geht um den Kampf mit Selbstzweifeln. Man fühlt sich irgendwie mächtig und hat trotzdem das Gefühl, dass so ein unsichtbares Etwas, dem entgegenhält. Man muss immer probieren gegen Dinge, die in einem hochkommen und eindeutig scheiße sind anzugehen. Das ist ein ewiger Kampf.

Mine Tour 2019

Mine ist im Mai auf Tour.

03.05. Mannheim – Alte Feuerwache
04.05. Wiesbaden – Schlachthof
05.05. Hannover – Musikzentrum
07.05. Konstanz – Kulturladen
08.05. Stuttgart – Clubcann
09.05. Leipzig – Conne Island
10.05. Berlin – Huxley’s
11.05. Hamburg – Mojo
15.05. Wien – Porgy & Bess
16.05. Nürnberg – Hirsch
17.05. München – Ampere
18.05. Zürich – Dynamo Zürich