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Secret Groove im Wohnzimmer

Die „Sofar Sounds“-Bewegung organisiert weltweit Konzerte in Privatwohnungen. Die Heim-Auftritte mit Überraschungsfaktor sollen Newcomern eine Bühne geben und das Musikerlebnis besonders persönlich machen – egal, ob in Atlanta, Hamburg oder Istanbul. Am 14. Mai hat ein Sofar-Abend in Berlin stattgefunden. Mit Ezra Furman, Brendon Miller und Zapéd.

Ezra Furman – Alle Bilder: Martin Deeley

Donnerstag Abend, Berlin-Prenzlauer Berg, Hausnummer 16 einer Seitenstraße. Im Halbdunkel des Hausflurs hängen Zettel mit Anekdoten zur Erfindung der Treppe an der Wand – als Motivation für den Weg nach oben. Neugierig stapfen die ersten Gäste über die knarzenden Stufen hinauf in den fünften Stock, zur Tür in die „Sofar“-Welt. Heute: ein lichtdurchflutetes Dachatelier einer riesigen Altbauwohnung. „Hereinspaziert, Schuhe ausziehen und auf dem Fußboden platznehmen bitte“, begrüßt Franziska vom Sofar-Team Berlin an der Wohnungstür. Die ersten Gäste ziehen mitgebrachte Sitzkissen und Bierflaschen aus der Tasche. Neugierige Erwartung erfüllt den Raum. „Wie eine Mischung aus Blind Date und WG-Party“, wispert es aus einer Ecke.

„Mich störte, dass die Leute bei Auftritten von Vorbands oder noch nicht so bekannten Musikern oft quatschen und mit dem Smartphone herumspielen, anstatt wirklich zuzuhören“, erklärt der Londoner Rafe Offer. Der heute 49-Jährige legte vor rund fünf Jahren den Grundstein für eine internationale Konzertbewegung, die zurzeit auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet. Um ein respektvolleres und persönlicheres Musikerlebnis zu schaffen, lud Offer damals in ein Appartement im Londoner Stadtteil Kilburn ein. Was mit nur einem Künstler, fünf Songs und acht Gästen begann, hat mittlerweile Wohnzimmer in aller Welt erfasst – in Buenos Aires, Lissabon oder Tel Aviv, aber auch Hamburg, Essen, Berlin und München.

„Sofar“ steht für „Songs from a room“ und beschreibt damit ganz simpel den Grundgedanken: Jeweils drei talentierte Nachwuchsmusiker pro Abend bekommen eine kleine Bühne in privaten (Wohn-)Zimmern. Den Eintritt ersetzt ein Spendenbeutel, das Publikum wird bewusst begrenzt. Im Mittelpunkt steht die pure Konzentration auf die Musik: Handy aus, still sitzen, Klappe halten, zuhören. Viele, die einen Sofar-Abend miterlebten, wollten diese musikalische Intimität auch in ihre Heimatstädte holen. Und so organisieren heute mehr als 600 Freiwillige monatliche „Sofar“-Abende in 110 Städten weltweit – immer auf der Suche nach Musikern mit noch wenig Bekanntheitsgrad, aber viel Talent.

Studenten, Mitvierziger, Hauptstadt-Touristen aus Schweden oder Spanien – das Berliner Publikum ist an diesem Abend bunt gemischt. „Mich fasziniert besonders das „šWundertüten-Konzept“™, sagt Tatjana, 38, aus Berlin-Kreuzberg, die mit Freunden gekommen ist. „Zu einem Konzert zu gehen und überhaupt nicht zu wissen, was einen erwartet – das ist auch für Berliner noch ein spannender Abendplan.“

Bis vor einer Woche wusste noch keiner der 60 Gäste, ob er heute dabei sein darf. Auf der internationalen Homepage von Sofar Sounds hatten sich alle Anwesenden um einen Platz für diesen Konzert-Abend beworben. Weil die Raumgröße auch das Publikum begrenzt, bekommt nur ein Teil von ihnen eine Zusage. Erst 24 Stunden vor Beginn geben die Organisatoren die Adresse preis – und welche Musiker spielen werden, bleibt bis zuletzt ein Geheimnis.

In Istanbul hat die „Sofar“-Bewegung bereits knapp16.000 Facebook-Fans gewonnen. In Barcelona sind es derzeit 4000, in New York 2.500, in Berlin 1.500, in Hamburg 645,  in München 700. Derzeit planen inspirierte Musikfans, auch in anderen deutschen Städten neue Sofar-Teams zu gründen, zum Beispiel in Hannover und Frankfurt. Das Konzept ist ansteckend.

Während die Abendsonne durch die offenen Dachfenster scheint, geht es zwischen rankenden Zimmerpflanzen und Staffeleien los.  Ezra Furman aus Chicago, ein schmächtger 28-Jähriger mit hippem Blumen-Baseballcap, macht normalerweise experimentierfreudigen Garagen-Rock ´n Roll mit einer Band. Heute sitzt er „unplugged“ und allein mit seiner Gitarre vor dem Berliner Publikum – und hinterlässt vor allem Eindruck mit seiner eigentümlichen Stimme. Mal hoch, mal kratzig, mal quakig – immer wieder unerwartet.

Sein „Nachfolger“, Brandon Miller, ist eher der Typ „gemütlicher Singer/Songwriter“, mit Wollmütze, Strickjacke und frechem Grinsen. Er fesselt mit emotionalen Melodien, tiefgründigen Texten, berührender Stimme – und vor allem viel Charme und Humor. Nach kurzer Pause sorgt dann der Australier Jordan De Pas mit seinem Projekt „Zapéd“ für einen Stilwechsel ins Elektronische. Auch wenn der Ton heute Abend nicht perfekt funktioniert – mit seiner Mischung aus ruhigem Gesang, E-Gitarre und Synthesizer-Sounds versetzt er den Raum in eine ganz eigenwillige Atmosphäre – passend zum Sonnenuntergang.

„Heutzutage machen wir alle immer so viele Dinge gleichzeitig, sind ständig mit dem Smartphone online, auch während wir gerade mit einem realen Gegenüber kommunizieren oder Zeit verbingen“, sagt Johannes Weingand, Teamleiter von Sofar Sounds Berlin. „Ich glaube, den Leuten gefällt das Sofar-Konzept, weil sie sich an so einem Abend mal ganz bewusst und pur auf nur ein Erlebnis konzentrieren können: auf die Musik.“

Ganz nebenbei bietet „Sofar“ auch viel Potential für kreatives Engagement. Alle Bands treten ohne Gage auf, bekommen dafür jedoch Werbeunterstützung: Ehrenamtliche Fotografen und Filmemacher dokumentieren die Abende, Bilder und Videos werden über Facebook und YouTube verbreitet und so zum reichweitenstarken Demo-Auftritt. Nicht selten nutzen Plattenlabels diese Quellen, um Newcomer aufzustöbern. Künstler wie etwa der irische Folk-Rocker „Hozier“, der derzeit mit dem Song „Take me to church“ die Radiosender rauf und runter läuft, hatte zwar bereits einen Vertrag – aber erst „Sofar“ sorgte für den internationalen Bekanntheitsschub.

„Ich hoffe, dass wir unsere Idee mit noch mehr Konzerten in noch mehr Städten weiter verbreiten können“, resümiert „Sofar“-Begründer Offer. Doch mit der Bewegung wächst auch die Herausforderung, authentisch zu bleiben. Bisher ist „Sofar“ nicht darauf ausgerichtet, Gewinn zu machen. Mittlerweile wären allerdings Sponsoren hilfreich, um Unkosten zu decken. „Interessenten gibt es genug“, so Offer. „Aber viele passen nicht zu unserem Spirit.“

Am Ende des Abends ist der offenbar auch auf das heutige Publikum übergesprungen. „Das war das Gegenteil zum schnellen Konsum auf Download-Portalen: Musik-Wahrnehmen mit allen Sinnen“, sagt die 22-Jährige Sarah, die in Berlin Architektur studiert. „Und dann auch noch in so einer gemütlichen Wohnung mit so vielen netten Leuten, die genau dasselbe suchen wie ich.“

Wie „Airbnb“ oder „Couchsurfing“ die Menschen aus anonymen Hotelzimmern retten möchte, will die Sofar-Community sie aus düsteren Konzerthallen und Proberäumen endlich „nach Hause“ holen – um Musikfans und Künstler wirklich miteinander zu verbinden.

Über www.sofarsounds.com oder die Facebook-Seite der jeweiligen Stadt können sich Interessierte um Gästelistenplätze bewerben, Räume anbieten, bei der Organisation helfen – oder ein neues Sofar-Team in ihrem Wohnort gründen.

Zaped

Brandon Miller