Es war ganz schön kalt beim diesjährigen Iceland Airwaves Festival in Reykjavik. Immer am Gefrierpunkt, aber bei einem Wind, der so wuchtig war, dass es mir deutlich kälter vorkam. Vielleicht waren ja die isländischen Thermometer eingefroren, aber den Einheimischen
schien das mal wieder nichts auszumachen. Teilweise nur im T-Shirt, hüpften sie leichtfüssig von Venue zu Venue. Also alles beim Alten.
Beim letzten Besuch vor 3 Jahren, hatten ich und mein Begleiter durch ein Missverständnis ein VIP-Bändchen bekommen, wodurch sich der horrende Bierpreis für uns halbierte. Direkt gegenüber vom Reykjavik Art Museum lag die Bar unserer Wahl (die leider nicht
mehr existiert). Ab und zu spielten hier kleinere Acts, die uns mit ihrem verträumten Folk berieselten. Doch an einem Abend war es vorbei mit der Romanze und ein gewisser Sindri Eldon tauchte mit seiner Band auf. Ich mag Noise und steh auf Punk, aber das war einfach nur mieser Trash. Konzeptlos, planlos, wirklich schlecht. An der Bar erzählte uns ein Typ, dass das der Sohn von Superstar Björk sei und wir stellten keine weiteren Fragen, sondern ertrugen die knappe halbe Stunde mit Witzen über Kinder von Superstars.
Dieses Jahr lasen wir im Off-Venue Plan, das eben jener Sindri Eldon immer noch Musik machte und im Lucky Records spielte. Einem schnuckeligen Plattenladen etwas abseits vom Treiben des kleinen Stadtzentrums, der allen Vinyl-Liebhabern und Nick Hornby Sympathisanten das Herzen höher schlagen lässt.
Der guten alten Zeiten willen, gingen wir hin und waren früh genug da, um noch ein bisschen in den vielen Regalen zu wühlen. Als ich mich gerade an einem Plattenständer zu schaffen machte, tauchte auf der anderen Seite plötzlich von unten eine Gestalt auf. Die Haare zu vielen kleinen Knoten gebunden, blickte mich Björk an und machte eine schräge Grimasse. Dass es überhaupt Björk war, erkannte ich erst auf den zweiten Blick, als sie sich schon längst ihrem Sohnemann zugewandt hatte, der gerade den ersten Song anspielte. Noch etwas verwirrt wurde mir schnell klar, dass der Junge da vorne seinen Stil gefunden hatte. Ein rotziger, dreckiger College-Rock mit Grungeattitüden schlug den, gerade mal 20 Zuschauern entgegen. Unter ihnen: ich und meine beiden Freunde, Björk, Björks Sicherheitsmann, der jede ihrer Bewegungen peinlichst beobachtete und ein Typ, der genauso aussah wie Joey Ramone. Es gab keinen Ort in Reykjavik, wo ich lieber gewesen wäre, denn neben der anwesenden Prominenz, machten Sindri Eldon & The Ways eine wirklich tolle, gegen Ende immer mehr ausartende Show. Die Songs handelten (dem Genre entsprechend) etwas oberflächlich von Mädchen, unerfüllter Liebe, Sex („One night stands are overrated, sex makes things so complicated“) und Alkoholkonsum.
Der Mama schien das aber zu gefallen. Vielleicht lag es an der Aufregung oder sie musste sich zusammenreissen nicht lauthals mitzugrölen. Jedenfalls gelang es ihr zu keinem Zeitpunkt ihre Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten, was teilweise etwas bizarr wirkte, aber doch perfekt zur Situation passte.
Als das Konzert vorbei war, landete ich in einem Hinterzimmer vom Lucky Records, das provisorisch als Backstage herhalten musste. Der Sicherheitsmann, der nervlich etwas angeschlagen wirkte, brachte Joey Ramone mit und stellte ihn als David Fricke vom amerikanischen Rolling Stone vor. Der schien das Konzert gut gefunden zu haben und fragte Sindri nach einem Sampler. Die drei verschwanden und ich hatte die Gelegenheit mit The Ways zu quatschen, die erleichtert waren, dass das Konzert gut ankam und miteinstimmten, als ich wieder Witze über den Auftritt von vor 3 Jahren machte. Letztlich bekam ich eine der zwei existierenden CDs. Die andere hatte ja schon David Fricke abgesahnt. Alles Demoaufnahmen, nur ein gemasterter Song und ein selbstbesprühtes Cover, das bei jedem Öffnen der Hülle etwas mehr abbröckelt.
Das ist alles, was von einem ziemlich schrägen Nachmittag bleibt. Der Tipp Sindri Eldon & The Ways auf der Liste zu haben und die Erinnerung an Björks Gesichtsverrenkungen. Ob dieser autistische Schaulauf eine Spätlast aus ihrer Jugend ist, weiss ich nicht. Ich will es auch nicht wissen. Es passt jedenfalls gut zu der Mutter eines Sohnes, der vor einer Handvoll (unbedeutender) Leute in einem kleinen (unbedeutenden) Plattenladen in einem kleinen (politisch) (unbedeutenden) Land spielt.
Anmerkung:
Noch am selben Tag habe ich mir Ghostigital angeschaut. Die Band vom ehemaligen Sugarcubes Gründungsmitglied Einar Örn Benediktsson. Der hat noch deutlich grössere Schäden davon getragen. [sic]
Illustration: Elizabeth Pich
Download & Player des Demo-Albums „Holuhjarta“ von Sindri Eldon
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