Das Trauer-Album gehört ebenso wie das Trennungs-Album zum Standartrepertoire der Popwelt, doch gerade wegen der hier bereits aufkommenden Gefahr, „Stage Four“ auf ein Schema zu reduzieren, soll der Tod von Jeremy Bolms Mutter nicht im Vordergrund der folgenden Rezension stehen, obschon er als zentrales Ereignis unweigerlich über allen Songs dieses Album schwebt. Wie sollte es auch anders sein in einem Genre, das zu großen Teilen von den Emotionen seiner Akteure lebt – andererseits, wie soll man adäquat über diese private Seite sprechen, obschon sie durch die Musik deutlich nach außen gekehrt wird?
So sehr Bolm seinen Schmerz zum Thema macht besteht doch kein Zweifel daran, dass er mit seiner Band auch darüber hinaus ein fulminantes Album aufgenommen hat, das erneut dem leidigen Schicksal vieler anderer Bands der Bewegung namens The Wave entgeht. Statt eine Kehrtwende zu machen und etwas planlos in Richtung Shoegaze/Postpunk zu steuern, erweitern Touché Amoré behutsam ihr Spektrum und entfalten melancholisches Potential, das eigentlich schon von Beginn an in ihrem Sound angelegt war. Das gipfelt nun sogar in getragene Stücke wie „Skyscraper“, auf dem ein singender (!) Jeremy Bolm von einer dezenten, aber wunderbaren Julien Baker gestützt wird, während im Hintergrund schönste Postrockgitarren flirren.
So ist „Stage Four“ auch nur bedingt eine Abkehr von der milde positiven Stimmung, die „Is Survived By“ von seinen Vorgängern abgrenzte. Die Texte sind naturgemäß düster, doch die Songs dazu sind oftmals luftig und halten beinahe hoffnungsfrohe, auf jeden Fall hochmelodische Momente bereit. Zu beiden Tendenzen passt Jeremy Bolms eben bereits angesprochene Singstimme, die technisch betrachtet ordentlich ist, sich aber hervorragend in seine Umgebung einfügt und den Möglichkeiten der Band ein paar neue Nuancen hinzufügt.
„Water Damage“ ist das wohl eindrücklichste Zeugnis dieser neuen Offenheit, jedenfalls bis Bolm aus seiner extra tiefen Grabesstimme wieder in sein heiseres Geschrei verfällt, die Melodien, ohne die Touché Amoré eigentlich gar nicht mehr auskommen, dabei aber nicht aus dem Auge lässt. Selbst in einem Song wie dem druckvollen „Rapture“ sorgen die beiden Gitarristen dafür, den Hörer niemals mit dem keifenden Bolm alleine zu lassen, sondern ihm stets ein paar tröstliche Akkorde zur Seite zu stellen. Wie viel die Kombination aus Schreien und Singen derweil für das Songwriting und dessen Abwechslungsreichtum tun kann, zeigt auch das schnittige und – verhältnismäßig – kurze „Palm Dreams“.
Erst die Komplexität, die durch die Kombination dieser unterschiedlichen Elemente entsteht, sorgt dafür, dass „Stage Four“ seinen ganzen, gereiften Charakter entfalten kann, der die Wildheit eines „Parting The Sea Between Brightness And Me“ noch erkennen lässt, aber eben nicht darauf limitiert ist. Und ja, natürlich spielen da auch Bolms direkte, aber niemals flache Texte mit hinein, die von Banalitäten („Palm Dreams“) über das Wiederholen des Momentes der Todesnachricht („New Halloween“) bis zu existenziellen Sinnkrisen („Displacemet“) ein breites Spektrum abdecken und unweigerlich auf den Kern des Albums verweisen.
Am Ende von „Skyscraper“, beinahe beiläufig, tritt Bolms Mutter dann tatsächlich auch persönlich in Form ihrer letzten an Jeremy gerichteten Nachricht auf und holt selbst den reflektiertesten Hörer auf einer emotionalen Ebene ab. Es ist aber wichtig, sich auch die Rolle des Abwechslungsreichtums, des energischen Drummings und der wunderbar abgestimmten Gitarren bewusst zu machen, um „Stage Four“ voll und ganz gerecht zu werden als berührendem Album, das vor lauter Schmerz nicht die Qualität seiner Musik vergisst.
8,5/10
„Stage Four“ erscheint am 16.09.2016 via Epitaph auf Platte, CD und digital.
Credit für das Bandfoto geht an: Christian Cordon.
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