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Wenn eine Band lange Zeit lebt – Die letzten Tage der Puhdys

Rock Legenden“-Konzert mit den Puhdys, City und Karat (Mitsubishi-Halle Düsseldorf, 4. Mai 2016)

Puhdys Albumcover 1975

Schlimm ist die Behauptung, die Puhdys seien ein ostdeutsches Pendant zu irgendeinem westdeutschen Stadionrock-Firlefanz à la Peter Maffay. Sie haben sich Ende der 1960er zur gleichen Zeit wie Can und Amon Düül gegründet, als Rockmusik allgemein progressiver, experimenteller und ekstatischer zu werden begann. Die Puhdys gingen jedoch im Vergleich zum westdeutschen Krautrock definierter mit der lyrischen Ebene um. Man höre sich einmal den Originalsong von Türen öffnen sich zur Stadt an, mit dem sie ihren ersten TV-Auftritt hatten: Durchaus könnte man von den deutschen Deep Purple sprechen. Jedenfalls fiele mir persönlich keine hiesige Band ein, die ähnlich nahe dran gewesen wäre.

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Schlimm ist außerdem, dass es Tradition zu sein scheint, die Band stets damit anzuteasern, dass ein besonderes kontroverses Potential in ihrer nicht veräußerten Kritik zur DDR liege. Die einen würden sie dafür hassen, die anderen trotzdem lieben. Diese Form von Erwartungshaltung an Künstler ist dumm und absurd und taucht immer wieder wie selbstverständlich im Feuilleton auf. Als 2015 in NRW die großangelegte Ausstellungsreihe CHINA 8 eröffnete, schallte es im empörten Medienecho, man habe viel mehr Kritik der Künstler am chinesischen Schweinesystem erwartet. Es ist schon interessant, wenn im Gastgeberland regelrecht eingefordert wird, was ausländische Künstler über ihre Lebensrealität abzubilden haben, damit das eigene Weltbild bestätigt wird.

Und überhaupt: Welche westdeutsche Rockikone wird denn angeprangert, sich zu wenig unverschlüsselt offensiv kritisch über die BRD geäußert zu haben? Nicht nötig, weil im Westen alles vorbildlich gerecht zugeht? Eine recht affige Ansicht ist es, wenn man ernsthaft meint, als Künstler im Westen solle man tun wonach einem der Sinn steht, als künstlerisch praktizierendes Volksmitglied eines Unterdrückungsregimes habe man sich aber in erster Linie zur vordergründigen Auflehnung gegen das Politsystems nützlich zu machen. Es gibt ein interessantes Arte-Feature über Flake von Rammstein, in welchem er aus seinem Musiker- und allgemeinen Punkeralltag in der DDR erzählt. Er fühlte sich nicht als Teil einer politischen, sondern vielmehr als Teil einer ästhetischer Rebellion und hatte ganz andere Dinge im Kopf als den Machtwechsel eines Staates, der ihn nicht weiter interessierte – ist er deshalb nun gleich ein repressiver Stasi-Befürworter?

Was man den Puhdys neben dem blöden Bandnamen vorwerfen kann, ist, dass sie in den 47 Jahren ihrer Karriere auch viel Quatsch veröffentlicht haben. Bei den 21 Studio-Alben blieb der ein oder andere bittere Versuch, dem Rocksound der jeweiligen Jahrzehnte gerecht zu werden, nicht aus. Wer nur Stimmungsliedchen wie „Rockerrente“ gehört hat („Mein Leben ist der Rock and Roll – Ich bin dabei mit Herz und Soul“), wird sich vielleicht nur schwer überzeugen lassen wollen, dass den Puhdys ein bedeutenderer Platz in der jüngeren Musikgeschichte eingeräumt werden sollte.

Hinzu kommt, dass sie nicht unbedingt das beste Händchen in Sachen Öffentlichkeitsarbeit haben. In ihren Interviews (um die sich unglücklicherweise der MDR praktisch im Alleingang zu kümmern scheint) geben sie sich bescheiden und pragmatisch, was gewiss keine Sympathie-Masche ist. Sie sind halt keine Rockstars, sondern mehr so Malocher-Typen – spricht ja eigentlich auch schon fast wieder für sie.

So richtig berühmt wurden sie mit ihrem Film-Soundtrack zu Die Legende von Paul und Paula (1973) ein bedauerlicherweise als DDR-Kult und nicht als herausragendes Autorenkino seiner Zeit wahrgenommener Film (gibt es anbei auf Netflix). Hierfür wurden die musikalisch weniger virtuos gestalteten Rocksongs ausgewählt (Wenn ein Mensch lebt, Geh zu ihr, Manchmal im Schlaf). Diese unverkennbaren, ganz eigenen kryptischen Hits lösten ein grenzüberschreitendes Interesse an der Band aus: Ist der lyrische Anteil dieser historischen Dokumente trotz oder wegen der DDR so dringlich und geheimnisvoll?

Die Gruppe hat sich mit zwei Megakonzerten in der Mercedes-Benz-Arena Berlin verabschiedet und tourt inkonsequenterweise noch ein wenig mit der Show Rock Legenden durchs Land, zusammen mit den Berliner Kollegen von Karat und City.

In gewisser Hinsicht war es ein episches Erlebnis Über sieben Brücken einmal von den Urhebern Karat persönlich zu hören – alles steht auf und eine fast sakrale Atmosphäre macht sich im Saal breit. Jedoch sind wir mehrheitlich doch recht eindeutig aufgrund der Puhdys erschienen: Die allerletzte Chance sie noch einmal in NRW live zu sehen. Vorab gab es noch den Showslot von City, derer Sänger Toni Krahl krankheitsbedingt ausfiel. Der einstige Karussel-Frontmann Dirk Michaels übernahm den Job in einer in-sich-gekehrten Weise. Alle Bands hatten ihre 80er-Jahre-Ökodidaktik-Songs dabei: überholte Synthesizersounds und pathetische Worte ermahnten das Ü50-Publikum noch einmal, auch für kommende Generationen etwas von der Erde übrig zu lassen.

Mein Glaube, die beiden „anderen Acts“ hätten eher eine Art Beiwerksfunktion, erfüllte sich nicht – jede der drei Gruppen stand für sich jeweils nur knappe 40 Minuten auf der Bühne. Alle Bands haben es noch drauf – wie man so sagt – und allesamt machen sie Gebrauch vom riesigen LCD-Screen, auf dem im Hintergrund diverses Bildmaterial aus früheren Tagen zu sehen ist. Ein nostalgischer Vibe soll durch die Reihen gehen. Der würde aber auch ohne die visuellen Bemühungen zu Tage treten.

Das erdmännchenmäßige, meist nur vereinzelte kurze Aufstehen einzelner Besucher (insgesamt knapp 4000) während der Songs von Karat und City, endete mit dem Auftritt der Puhdys – da blieb man komplett auf den Beinen, inbrünstig wurde mitgeklatscht und -gesungen: jawoll! Die Puhdys haben neben der jüngeren rockbaladigen Single „Es war schön“, rigoros alte Hits gespielt. Schwer vorstellbar, dass damit irgendwer im Zuschauerraum nicht einverstanden gewesen ist.

Zu Beginn und Abschluss des Events formierte sich der komplette Haufen auf engstem Raum zu einer Art zotteligen Superband. Ob drei gleichzeitig spielende Bassisten tatsächlich einen musikalischen Mehrwert schaffen? Vielmehr hatte das Anschwellen auf 15 gemeinsam praktizierende Musiker symbolischen Charakter. Natürlich macht das temporäre Großkollektiv damit auf eine spezielle Haltung zum Musikbetrieb aufmerksam. Pathetisch und authentisch müssen sich nicht widersprechen, die Rocklegenden vereinen diese Attribute. Auch wenn es auf der Bühne mehrheitlich heiter zuging: das schwere Gefühl von „Hier geht gerade etwas zuende“, war im Zuschauerraum deutlich spürbar.

Fahren zwei durch alle Meere
Fahren zwei in einem Boot
Der eine kennt die Sterne
Der andere misst das Lot

                                    – Puhdys, Lebenszeit

 

/ Julian Gerhard