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Zwischen Kult und Kommerz: Ein Interview über den Record Store Day und die Vinylszene

Der Record Store Day 2025 steht vor der Tür und am Samstag, den 12. April 2025, dürfen sich Musikliebhaber:innen erneut auf exklusive Vinyl-Veröffentlichungen, In Store-Gigs, DJ-Sets und Signierstunden freuen. In diesem Jahr habe ich mich als Vinyl-Liebhaber und -Sammler etwas intensiver mit den Veröffentlichungen und dem Record Store Day an sich auseinandergesetzt.

Unter anderem habe ich hier 10 meiner Highlights mit euch geteilt. Ebenso habe ich ein Interview mit Carsten Wetzl geführt. Carsten ist Projektmanager vom Record Store Day Germany. Das Interview gibt einen Einblick hinter die Kulissen der deutschen Organisation. Er spricht offen über die Herausforderungen, etwa bei der Künstlerakquise, der Rolle von Vertrieben und den Einfluss großer Labels. Gleichzeitig betont er, wie wichtig der RSD für unabhängige Plattenläden und die Vinylkultur ist – auch wenn sich Bedeutung und Zielgruppen über die Jahre verändert haben. Carsten verrät mir aber auch, auf welche Releases er sich persönlich freut.

Kannst Du uns einen kurzen Überblick über den Record Store Day (RSD) 2025 geben? Welche Neuerungen gibt es in diesem Jahr?

Carsten: Neuerungen in dem Sinne, dass man den RSD komplett dreht, gibt es nicht. Es passiert nichts, was das Konzept grundlegend verändert.

Aber natürlich gibt es einzelne Bausteine, die wir in den vergangenen Jahren nicht hatten – wie unsere Botschafterrolle, die in diesem Jahr von den Fantastischen Vier übernommen wird. Letztes Jahr war das Frank Turner für Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Wie kam die Zusammenarbeit mit den Fantastischen Vier zustande?

Carsten: Das war eigentlich eine ganz einfache Kaltakquise, ehrlich gesagt. Wir haben eine Liste mit Künstlern, die wir uns gut als Botschafter vorstellen können – Künstler, von denen wir wissen, dass sie eine Verbindung zu Vinyl und Plattenläden haben.

Dann fragen wir eine kleine Auswahl an Bands an. Da es sich um sehr bekannte Namen handelt, können wir nicht einfach 20 Künstler dieses Kalibers gleichzeitig anfragen – wenn wir dann mehrere Zusagen bekommen, müssten wir einigen absagen, und das wollen wir vermeiden.

Der Erstkontakt mit den Fantastischen Vier entstand, wenn ich mich richtig erinnere, ursprünglich im Zusammenhang mit einer möglichen Record Store Day-Veröffentlichung. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, ob sie Lust hätten, einen speziellen Release beizusteuern. Daraus entwickelte sich das Gespräch weiter, und wir haben gemerkt, dass sie richtig Bock auf die Idee hatten – sowohl auf die Botschafterrolle als auch auf coole Vinyl-Produkte. So hat sich das Ganze dann einfach weitergesponnen.

Wird es spezielle Aktionen oder Releases mit den Fantas geben?

Carsten: Es wird ein cooles In-Store-Event mit den Fantastischen Vier am Record Store Day in Düsseldorf geben – bei A&O Medien.

Dort wird es einen exklusiven In-Store-Gig von Thomas D. mit Flo Mega und den KBCs geben. Die bringen zum RSD auch eine eigene Veröffentlichung raus und sind ohnehin auf Tour, weshalb der Termin perfekt passte. Die Fantastischen Vier selbst werden an dem Tag ebenfalls vor Ort sein – nicht für ein Konzert, aber sie werden für ihre Fans da sein, sich Zeit nehmen, sprechen, Fotos machen und signieren.

A&O Medien ist ein unabhängiger Plattenladen, der erst letztes Jahr in eine größere Location umgezogen und von der Fläche her einer der größten Plattenläden Europas ist. Das gibt uns genug Platz, um dort ein tolles Event auf die Beine zu stellen.

Welchen Stellenwert hat der RSD für unabhängige Plattenläden? Ist er wichtiger denn je?

Carsten: Der RSD hat nach wie vor einen großen Stellenwert für unabhängige Plattenläden, auch wenn sich seine Bedeutung über die Jahre verändert hat. Vinyl befindet sich heute in einer ganz anderen Situation als 2008, als der RSD gegründet wurde, oder 2011, als er erstmals in Deutschland stattfand.

Trotzdem bleibt der RSD relevant. Es gibt regelmäßig neue Läden, die sich registrieren – jedes Jahr kommen mindestens fünf neue Plattenläden hinzu. Gleichzeitig gibt es aber auch ältere Läden, die aus Altersgründen oder weil sie den Trubel nicht mehr möchten, nicht mehr teilnehmen. Dadurch bleibt die Zahl der teilnehmenden Läden mit rund 240 in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit Jahren relativ konstant.

Die Resonanz ist weiterhin groß – sowohl bei den Läden als auch bei den Künstlern. Gerade bei den Fantastischen Vier haben wir gemerkt, dass sie richtig Lust auf die Geschichte hinter dem Record Store Day und ihre Rolle als Botschafter haben.

Einige Läden nutzen den Tag, um große Events auf die Beine zu stellen. Dodo Beach in Berlin wird zum Beispiel wieder eine große Veranstaltung auf der Straße vor dem Laden machen. A&O Medien in Düsseldorf wird das In-Store-Event mit den Fantastischen Vier hosten, und es gibt sicher noch einige weitere relevante Veranstaltungen mit Künstlern, die RSD-Releases veröffentlichen.

Natürlich kann man sagen, dass die Bedeutung des RSD für Plattenläden in den letzten Jahren etwas gesunken ist, weil Vinyl insgesamt ein starkes Revival erlebt hat. Aber es bleibt ein wichtiger Tag für die Szene.

Die Vinyl-Verkäufe steigen weiter. Ist das eine nachhaltige Entwicklung oder nur ein Hype?

Carsten: Schwer zu sagen, aber ich glaube schon, dass das ein langfristiger Hype ist.

Hat sich das Publikum des RSD verändert? Wer kauft heute Vinyl?

Carsten: Das Publikum des RSD hat sich auf jeden Fall verändert – ähnlich wie bei den Plattenläden selbst. Viele langjährige Vinyl-Fans sind mittlerweile in einem Alter, in dem sie entweder andere Prioritäten haben oder sich nicht mehr so intensiv mit Schallplatten beschäftigen. Manche sterben leider auch, weil sie schon sehr alt sind.

Gleichzeitig wächst aber eine neue Vinyl-Community heran. Ich selbst bin mit 31 Jahren noch nicht super alt, aber ich sehe, dass eine jüngere Zielgruppe nachkommt. Interessanterweise besitzen viele dieser jungen Leute nicht einmal einen eigenen Plattenspieler. Sie haben einfach Bock auf das Medium Vinyl – sie wollen etwas in der Hand halten, ihre Lieblingsplatten signieren lassen oder sich einfach an der physischen Präsenz der Musik erfreuen.

Ich glaube, dass viele dieser Leute sich irgendwann doch noch einen Plattenspieler zulegen. Denn wenn man erst mal eine Sammlung von Platten hat, die man vielleicht an die Wand hängt oder einfach besitzt, kommt irgendwann das Bedürfnis, sie auch zu hören.

Ob dieser Vinyl-Boom noch fünf oder 20 Jahre anhält, ist schwer zu sagen. Aber ich denke, dass wir noch nicht das Ende der Entwicklung erreicht haben.

Es gibt Stimmen, die behaupten, dass der Record Store Day mittlerweile von großen Labels dominiert wird, wodurch unabhängige Künstler und kleinere Labels weniger Sichtbarkeit erhalten. Wie stellt ihr sicher, dass der RSD weiterhin eine Plattform für unabhängige Musik bleibt?

Carsten: Wenn man sich den Record Store Day von Anfang an anschaut, sieht man, dass er schon 2008 mit großen Namen gestartet ist. Ich kann jetzt nicht genau sagen, wer damals auf der Liste stand, aber es waren definitiv Acts im Kaliber von The Rolling Stones oder U2 dabei.

Das zeigt, dass der RSD von Anfang an eine gewisse Strahlkraft hatte, was auch der Grund dafür ist, dass er sich so schnell international verbreitet hat.

Die Kritik, dass große Labels mittlerweile dominieren, nehmen wir natürlich wahr. Ich habe kürzlich ein anderes Interview geführt, in dem gefragt wurde, ob wir die Indie-Szene überhaupt noch wahrnehmen. Meine Antwort darauf ist ganz klar: Ja, definitiv!

Allerdings muss man bedenken, dass durch die Releases aus den USA und Großbritannien automatisch viele große Titel dabei sind. Der RSD ist mittlerweile so etabliert, dass sich alle Releases – auch die kleineren – mit diesen großen Namen messen müssen.

Natürlich gibt es in Deutschland auch größere Indie-Künstler wie Von Wegen Lisbeth oder Bernd Begemann, die eine gewisse Fanbase haben. Aber am Ende haben sowohl die Plattenladenbesitzer als auch die Endkunden ein begrenztes Budget.

Ein Plattenladen wird sich daher eher eine Rolling Stones- oder Taylor Swift-Platte bestellen, weil er sicher weiß, dass diese verkauft wird. Bei einer Von Wegen Lisbeth- oder Bernd Begemann-Platte ist die Nachfrage schwerer einzuschätzen. Das ist genau der Punkt, den Kritiker anbringen – und wir verstehen diesen Vorwurf.

Es geht darum, ein gewisses Level an Nachfrage zu erreichen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Natürlich könnten wir solche Künstler stärker einbinden, aber am Ende liegt die Entscheidung nicht nur bei uns. Die Vertriebe spielen hier eine große Rolle, denn sie haben die Rechte an den Titeln und entscheiden, welche Veröffentlichungen sie für den Record Store Day vorschlagen. Oft schlummern irgendwo in ihren Archiven noch unveröffentlichte Titel, die dann für den RSD genutzt werden.

Gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr Künstler:innen, die am Record Store Day teilnehmen möchten, als letztendlich auf die Liste aufgenommen werden können?

Carsten: Es wäre schön, wenn wir mehr Bewerber hätten, als letztlich auf die Liste kommen können – so wie es in den USA oder Großbritannien der Fall ist. Dort müssen tatsächlich Titel gestrichen oder verschoben werden, weil einfach zu viele Anfragen kommen.

In Deutschland ist es eher andersherum: Wir kämpfen darum, genügend lokale Artists zu finden, die die nötige Relevanz für den Record Store Day haben. Das liegt auch daran, dass der RSD für die Vertriebe nicht oberste Priorität hat – er ist ein besonderer Tag mit coolen Releases, aber eben nur ein Tag im Jahr.

Deshalb versuchen wir auch direkt über persönliche Kontakte, Künstler für den RSD zu gewinnen. Manchmal klappt das super, wie bei Die Fantastischen Vier, die sich wirklich mit Begeisterung engagiert haben. Auch Milky Chance oder Lea konnten wir letztes Jahr für den RSD begeistern.

Aber am Ende können wir nicht einfach zu einer Künstlerin wie Lea sagen: „Hey, produziere doch mal eine exklusive Akustikplatte für uns.“ Es muss eben passen – sowohl für die Künstler als auch für den Markt.

Letztendlich liegt die Entscheidung über die Releases nicht direkt bei uns, sondern läuft über die Vertriebe. Diese müssen dann wiederum mit den Labels, Managements und Künstlern sprechen, um einen Release für den Record Store Day anzustoßen.

Ein weiteres Kriterium ist natürlich der Veröffentlichungszeitpunkt – es muss in den Release-Zyklus der Künstler passen.

Allerdings haben wir schon eine gewisse Einflussmöglichkeit: Wenn ein Titel aufgrund öffentlicher Kritik oder Anschuldigungen problematisch ist, können wir ihn von der Liste streichen. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon getan.

Teilweise empfinde ich die Preise für einzelne Releases, wie beispielsweise in diesem Jahr von Fred Again.. [Anmerkung: Die Fred Again.. Releases sind inzwischen nicht mehr Teil der Liste.], als völlig überteuert. Wer ist für die Preise verantwortlich?

Carsten: Die Verteilung der verfügbaren Mengen läuft komplett über die Vertriebe – sie sind diejenigen, die mit den Plattenläden die Geschäfte machen. Auch die Preisgestaltung liegt in ihrer Hand.

Natürlich sind RSD-Platten oft teurer als reguläre Veröffentlichungen. Das hat mehrere Gründe:

  • Sie sind limitiert und oft exklusiv für diesen Tag produziert.

  • Es müssen Presswerke für diesen Zeitraum geblockt werden, was die Produktionskosten erhöht.

  • Die besondere Gestaltung oder zusätzliche Inhalte (z. B. farbiges Vinyl, Sonderverpackungen) machen die Platten aufwendiger in der Herstellung.

Wir haben keinen Einfluss darauf, wie die Vertriebe die Preise ansetzen. Wenn also eine Platte 70 statt 50 Euro kostet, können wir das nicht regulieren. Das ist schlicht nicht unser Zuständigkeitsbereich.

Welche besonderen Releases oder Aktionen können Vinyl-Liebhaber dieses Jahr erwarten? Gibt es Highlights, die du empfehlen kannst?

Carsten: Ich bin ein riesiger Sam Fender-Fan und habe mir in den letzten zwei Jahren auch selbst seine Seven-Inch-Veröffentlichungen zum Record Store Day gekauft. Dieses Jahr bringt er allerdings eine komplette LP heraus – sein neues Album erscheint erstmal exklusiv als RSD-Release auf Vinyl. Digital wird es zwar verfügbar sein, aber die physische Vinyl-Version ist zunächst RSD-exklusiv, was natürlich auch daran liegt, dass er dieses Jahr der UK Ambassador ist.

Ein weiteres Highlight ist für mich David Bowie. Dieses Jahr erscheint erstmals auf Vinyl ein Mitschnitt seines Satellitenkonzerts von 2003, das damals weltweit aus einem Tonstudio in London gestreamt wurde. Das finde ich eine richtig besondere Veröffentlichung.

Dann gibt es noch die „Live in L.A.“-Platte von Bilderbuch. Ich persönlich mag Live-Platten, weil sie ein ganz besonderes Feeling transportieren – als würde man sich ein Konzert ins Wohnzimmer holen. Natürlich gibt es Leute, die Live-Alben nicht mögen, aber für mich sind sie immer spannend.

Ich mag es generell, mir Live-Aufnahmen auf YouTube anzusehen – deshalb finde ich die Bilderbuch-Platte besonders spannend. Auch Die Fantastischen Vier bringen eine Live-Platte heraus, aufgenommen beim Konzert in Stuttgart. Das ist der Mitschnitt ihres letztjährigen Konzerts mit Longplayer, und das finde ich persönlich auch super cool.

Es gibt natürlich noch viele weitere Highlights. The Doors, Elton John und The Cure sind dieses Jahr mit Releases dabei. Und es gibt über 400 Titel, das heißt, die Auswahl ist riesig. Jeder hat natürlich seinen eigenen Geschmack, aber ich denke, dass besonders die David Bowie-Platte sehr gefragt sein wird.

Auch Oasis bringen eine große Vinyl-Box heraus – ich glaube, es sind sogar fünf LPs. Das wird mit Sicherheit eine sehr begehrte Veröffentlichung sein, auch wenn sie preislich vermutlich nicht ganz günstig wird.

Wie sieht die Zukunft des RSD aus? Gibt es neue Konzepte oder Erweiterungen, um ihn noch attraktiver zu machen?

Carsten: Ich sage das nicht, weil ich etwas verheimlichen will oder so, aber der Record Store Day existiert in Deutschland seit 2011, und das Prinzip bleibt das Gleiche. Wir werden das Konzept nicht grundlegend ändern können – einfach, weil zu viele Räder ineinandergreifen. Selbst wenn wir wollten, könnten wir das nicht einfach über den Haufen werfen.

Aber genau deshalb sind wir da: um die Geschichte des Record Store Day weiterzuerzählen und mit verschiedenen Bausteinen zu ergänzen. Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit den Fantastischen Vier – mit Botschaftern, die wirklich für Vinyl und Plattenläden stehen.

Wie könnte sich der RSD weiterentwickeln, um auch jüngere Generationen für Vinyl und Plattenläden zu begeistern?

Carsten: Wir arbeiten mit Partnern zusammen, um den Record Store Day weiterzuentwickeln. Seit letztem Jahr ist Marshall dabei, eine Marke, die mit ihren Kopfhörern und Speakern eine relativ junge Zielgruppe anspricht.

Mit solchen Partnerschaften und begleitenden Aktionen versuchen wir natürlich, den RSD auch für ein jüngeres Publikum interessanter zu machen – ohne das Grundprinzip zu verändern, das, wie gesagt, schon ziemlich auserzählt ist. Es geht darum, den Tag attraktiv zu gestalten und auch Leute zu erreichen, die den RSD vielleicht noch gar nicht kennen.

Deshalb haben wir heute erst ein kleines Erklärvideo veröffentlicht, ein Reel, das kurz zeigt, wie der Record Store Day funktioniert. Wir bekommen oft Fragen dazu – also dachten wir, es wäre cool, das mal auf eine persönliche, leicht verständliche Weise zu erklären.

Dazu kommen natürlich Events, die wir drum herum planen: Instore-Gigs, Konzerte, Verlosungen mit Partnern. Dieses Jahr haben wir zum Beispiel ein Warm-up-Event in Hamburg mit Guts und Wolfgang Valbrun. Letztes Jahr hatten wir Kadavar mit einem Clubkonzept in Hamburg.

Mit diesen Live-Events, Kooperationen und Verlosungen versuchen wir, den Record Store Day lebendig zu halten und die Reichweite zu vergrößern.